Superathlet Putin sehnt sich nach alter Stärke

  14 Juni 2018    Gelesen: 1293
Superathlet Putin sehnt sich nach alter Stärke

Fußballerisch ist von der russischen Nationalelf bei der WM wenig zu erwarten. Dennoch will Präsident Putin demonstrieren, dass Russland eine Weltmacht ist. Für sein Volk inszeniert er sich als athletische Leitfigur, verbunden mit einer großen Vision.

Für viele Fans beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft gewöhnungsbedürftig: Russland und Saudi-Arabien duellieren sich zum Auftakt - nach fußballerischem Highlight klingt das nicht. Wladimir Wladimirowitsch Putin dürfte das wenig stören. Schon jetzt gilt als wahrscheinlich, dass die Sbornaja den russischen Präsidenten mit einem Sieg gegen den saudischen Fußballzwerg beschenkt. Das passt in Putins Strategie. Im Moskauer Luschniki-Stadion will er sich wie schon so oft als großer und starker Freund des Sports inszenieren.

Wenn in einer der traditionsreichsten Stätten der russischen Sportgeschichte der WM-Anpfiff ertönt, verwirklicht Putin ein Herzensanliegen. Dabei ist er kein großer Fußballsympathisant, auch wenn ein Video von ihm und Fifa-Boss Infantino das Gegenteil suggeriert. Vielmehr denkt Putin pragmatisch. "Die politische Elite inszeniert sich mit Sport und zeigt damit, dass sie eine Weltmacht ist", sagt Stefan Meister im Gespräch mit n-tv.de. Dem Russland-Experten von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zufolge geht es Putin um Prestige und das Signal, "dass man mitspielen und solche Ereignisse ausrichten kann - und schließlich als wichtiges großes Land anerkannt wird". Ein Blick in die jüngere Vergangenheit offenbart, wie sehr sich Putin nach diesem Renommee sehnt.

Seit fast einem Jahrzehnt investiert der 65-Jährige Unsummen an Geld, um sein Land als Mekka des Sports zu inszenieren. So taucht im Zusammenhang mit seinem Namen in der Sportberichterstattung fast immer das Wort Prestigeprojekt auf. Winter-Olympia 2014 in Sotschi war ein solches, ebenso die Etablierung des dortigen Formel-1-Rennens. Jeweils finanziert mit Dutzenden Milliarden eines Staates, in dem laut der Regierung 22 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze von monatlich 10.329 Rubel (etwa 152 Euro) leben.

"Sport ist Politik in Russland"


Nun folgt der nächste Streich mit dem Fußball. Seit Beginn der russischen Bewerbung im Jahr 2009 ist die WM Chefsache für Putin. "Sport und Politik sind in Russland wie schon in der Sowjetunion viel enger verknüpft als in Westeuropa", erklärt Meister: "Sport ist Politik in Russland." Als logische Konsequenz dieser Symbiose holt Putin die größten Sportfeste in sein Land, um sportlich wie politisch an dessen einstige Größe aus Sowjetzeiten anzuknüpfen. Damals war die UdSSR nicht nur auf dem politischen Atlas ein Gigant, sondern auch in der Sportwelt - obgleich viele der damaligen Bestleistungen wohl systematisch erspritzt worden sind. Dieser Makel spielt für Putin mit Blick auf seine Vision allerdings kaum eine Rolle.

Auch auf gesellschaftlicher Ebene weiß der Kreml-Chef um die Bedeutung des Sports. "Das Niveau der Entwicklung des Sports bestimmt zweifellos das Niveau der Entwicklung des Landes selbst", sagte er bei der Präsentation seiner Judo-DVD 2008. Und so animiert er seine mehr als 144 Millionen Landsleute zur Leibesertüchtigung - mit einem narzisstischen Körperkult: Hier viele Videos von ihm beim Eishockey, dort ein Video, in dem er einen Judoka aufs Kreuz legt. Nicht zu vergessen die Bilder, die ihn mit nacktem Oberkörper reitend und angelnd in Sibirien zeigen. Die Putin-Mediathek ist voll derlei Fotos.

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"Es ist natürlich Teil der Kreml-PR, Putin als starken Mann zu inszenieren. Und da gehört Sport dazu", sagt Meister. Der Propaganda zufolge beherrscht er schier jede Sportart. Judo, Sambo, Wildwasserrafting, Formel-1-Auto-Fahren, Reiten, Fischen, Eishockey, Skifahren, Jagen, Schwimmen, Mountainbiking, Badminton, Billard - eine beachtliche Zahl an Talenten.

Bewusste Abgrenzung gegenüber Jelzin


Der Journalist Hubert Seipel sagt im Gespräch mit n-tv.de, dass der russische Präsident tatsächlich sportbegeistert ist. Demnach powert sich der Kreml-Chef fast täglich eine Stunde aus: "Meist schwimmt er 1000 Meter, gelegentlich trainiert er noch Judo oder spielt Eishockey." Seipel ist der erste westliche Journalist, der Putin monatelang begleiten durfte. Dem Autor des Buches "Putin. Innenansichten der Macht" zufolge ist Eishockey allerdings "nicht gerade Putins Stärke". Auch wenn dieser den rauen Sport laut eigener Webseite erst 2011 begann: Putin werden derlei Aussagen kaum begeistern. Sie passen nicht zum vermittelten Image des Superathleten.

Gesichert ist indes, dass Putin ausgezeichnet hebeln und würgen kann. Seit seinem elften Lebensjahr steht der Fabrikarbeiter-Sohn auf der Judo-Matte, wo er einst den Meistertitel seiner Heimatstadt Leningrad errang. Als "nicht sonderlich kräftigen, aber ausdauernden" Kämpfer hat ihn sein erster Trainer einmal beschrieben. Mit dieser Geduld hat es der nur 1,70 Meter große Putin bis nach ganz oben gebracht.

Seit fast 19 Jahren herrscht Putin über das größte Land der Erde. Manchmal entsteht dabei der Eindruck, der Ex-KGB-Offizier regiere mit seinem Körper. Dieser Kraftprotz-Nimbus kommt laut Seipel beim russischen Volk gut an. Auf die Frage, warum er vor Wahlen seine Fitness und den nackten Oberkörper demonstriere, habe Putin erwidert: "Ich will nicht Kanzlerin von Deutschland werden, sondern Präsident von Russland". Zugleich sei der Körperkult Teil einer bewussten Abgrenzung zum unsportlichen und alkoholkranken Amtsvorgänger Boris Jelzin.

Stärke - notfalls durch Doping


Die Entwicklung weg von den wirren Jelzin-Jahren und hin zur Renaissance des starken russischen Sportstaates hat einen herben Dämpfer erhalten, als russische Athleten aufgrund zahlreicher Dopingvergehen lediglich unter neutraler Flagge an der vergangenen Winter-Olympiade im südkoreanischen Pyeongchang teilnehmen durften. Es war auch eine Demütigung für den Ehrgeizling Putin. Das zumindest legen dünnhäutige Reaktionen wie Beleidigungen gegen Whistleblower Grigorij Rodtschenkow oder die kurzzeitige Verweigerung des Visums für den Doping-Journalisten Hajo Seppelt nahe.

Nachdem der McLaren-Report 2006 russisches Staatsdoping aufdeckte, beklagte Putin, dass der Sport wie zu Zeiten des Kalten Krieges als Geisel genommen werde. "Jetzt beobachten wir einen gefährlichen Rückfall einer Einmischung der Politik in den Sport", sagte der Staatschef. Dass die ursprünglich angedachte Inszenierung vor, während und nach Sotschi wegen der Negativ-Berichterstattung nicht nach Plan verlief, wertet Russland-Experte Meister als"wichtiges Element der Entfremdung zwischen Putin und dem Westen". Dass der Westen nun in Gestalt von Fußballteams in Russland gastiert, ist für Putin und die russische Führung laut Meister zwar wichtig. Das politische Gewicht sei nun aber größer als zum Zeitpunkt der Bewerbung: "Russland ist inzwischen über andere Themen wie Syrien, Mittlerer Osten oder Iran international präsent und hat weniger Interesse an guten Beziehungen mit dem Westen."

Unberührt davon ist jedoch Putins Anspruch, eine starke Leistung seiner Sbornaja bei der Heim-WM zu sehen. Umso mehr wurmt es ihn bereits jetzt, dass Russland wohl nur eine Außenseiterrolle einnehmen wird. "Ich muss leider zugeben, dass unsere Mannschaft zuletzt keine guten Ergebnisse erzielt hat", sagte Putin in einem Interview mit dem chinesischen Fernsehen: "Aber wir erwarten ganz einfach, dass das Team mit Würde spielt, modernen und interessanten Fußball zeigt und bis zum Ende kämpft". Wie einst 1956, als die sowjetische Nationalelf Olympisches Gold in Melbourne errang. Damals mit dabei: Lew Jaschin. Heute, 62 Jahre später, wirbt Russland mit dem Bild der Torwartlegende für die WM.

Quelle: n-tv.de


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