Es klang einfach gut. Aber wie so oft, wenn etwas gut klingt, war es eben doch Quatsch. Am vergangen Samstag machten die Berichte zuerst in den Sozialen Netzwerken die Runde, später griffen auch traditionelle Medien die Geschichte auf: Beim 1:0-Sieg ihrer Nationalmannschaft gegen den Irgendwie-ja-doch-Favoriten Deutschland hätten Fußballfans in Mexiko-Stadt so sehr gejubelt, dass mehrere Sensoren ein Erdbeben aufgezeichnet hätten.
Allerdings dauerte es nicht allzu lange, bis Experten die Luft aus der Sache ließen. So hatte sich die Seismologin Suzan van der Lee von der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois die Signale näher angesehen. Dabei hatte sie zunächst einmal festgestellt, dass die betreffenden Messwerte von kleinen Raspberry-Shake-Seismometern stammten. Diese Geräte sind vergleichsweise billig und werden gern von Privatleuten aufgestellt, zum Beispiel im Keller von Wohnhäusern.
Mit einem Raspberry Shake lässt sich, etwas platt gesprochen, auch der Schleudergang an der Waschmaschine der Nachbarn nachweisen. Kein Wunder also, dass sie auch mitbekommen, wenn Fußballfans sich freuen - dafür reichen allerdings einige wenige Menschen aus, wenn sie nur nah genug am Seismometer jubeln.
"Das Signal war ein bisschen enttäuschend"
In den Messwerten der professionellen Station an der Universidad Nacional Autónoma de México konnte van der Lee jedenfalls keine Erschütterungen nachweisen, die sich auf Fußballfans hätten zurückführen lassen. Und rund 220 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, in der Provinz Guerrero, wurde in der 39. Spielminute zwar tatsächlich ein Beben registriert - aber das hatte natürliche Ursachen.
Wie viele Fans müssten aber gleichzeitig jubeln, damit sie ein künstliches Erdbeben erzeugen? Mit dieser Frage hat sich unter anderem Birger Lühr vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam befasst. Er startete dazu vor mehr als zehn Jahren sogar ein Großexperiment beim Festival "Rock am Ring": Bei einem Konzert der Band "Wir sind Helden" hüpften dabei mehrere zehntausend Menschen gleichzeitig - während die Forscher mit vier empfindlichen Messgeräten lauschten.
Diese schlugen auch tatsächlich aus, der Boden des Festivalgeländes bewegte sich vier Mal pro Sekunde - aber nur um 1/20 Millimeter. "Das Signal war ein bisschen enttäuschend, dafür dass so viele Menschen gesprungen sind", erklärte Lühr anschließend. Man kriege die Leute nicht koordiniert, deshalb könne kein scharfes Signal entstehen.
Das Problem: Weil die Springer eben doch nicht ganz exakt zum gleichen Zeitpunkt landen, kommt es zu sogenannten destruktiven Interferenzen. Die leicht verschobenen Schwingungen überlagern sich also - und schwächen sich gegenseitig ab.
Auch wenn es immer wieder anekdotische Berichte über lokale Erschütterungen durch hüfende Menschen gibt, so etwa auch bei mehreren Konzerten der Band "Kraftclub" in Leipzig: Das reicht nicht, um wirklich ein seismisches Ereignis zu generieren. Denn im Vergleich zu einem klassischen Erdbeben werden bei solchen Versuchen einfach viel zu kleine Massen bewegt.
"Bei einem Erdbeben sind deutlich höhere Energien im Spiel. Selbst bei kleinen Beben bewegen sich riesige Gesteinsmassen", sagt etwa Lars Ceranna von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Und dann rechnet der Seismologe vor: Allein ein einziger Kubikkilometer Fels wiege 2,5 Milliarden Tonnen. Und bei einem größeren Erdbeben seien viele, viele Kubikkilometer in Bewegung: So riss die Erde beim schweren Thoku-Erdbeben in Japan 2011 auf 400 Kilometern Länge auf - von der Oberfläche des Meeresbodens bis in 60 Kilometer Tiefe.
Hüpfende Menschen können vergleichbare Gewalten niemals entfesseln. Geoforscher Lühr hatte schon vor seinem Nürburgring-Experiment ausgerechnet, dass selbst bei 1,3 Milliarden gleichzeitig hüpfenden Chinesen nur eine Energie von etwa 1012 Joule zusammenkäme, das entspräche einem für Menschen nicht fühlbaren Erdbeben der Magnitude eins.
Beim Erdbeben in Japan waren es 3,9 × 1022 Joule, also 40 Milliarden Mal mehr.
Bei Lührs Messungen beim "Wir sind Helden"-Konzert kamen die noch am ehesten nachweisbaren Erschütterungen denn auch nicht von den Fans - sondern von den Bässen der Musikanlage.
spiegel
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