Warum Joachim Löw der Richtige bleibt

  28 Juni 2018    Gelesen: 969
Warum Joachim Löw der Richtige bleibt

Er lässt seine berufliche Zukunft offen. Für das Scheitern der deutschen WM-Fußballer übernimmt Joachim Löw die Verantwortung. Das soll er tun - und ein neues Team formen. Der Bundestrainer ist dafür der richtige Mann.

Und woran lag's? Das ist die Frage, die alle beschäftigt. Das ist aber leider die Frage, die im Moment wohl keiner beantworten kann. Nicht jetzt, nicht so kurz danach. Die gute Nachricht ist: Sie können das Desaster beim DFB nun gründlich analysieren. Zeit genug haben sie ja jetzt, da die deutsche Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Russland gescheitert ist. Ja, gescheitert. Das lässt sich nicht anders sagen, dafür war die Fallhöhe zu groß. Wer als Titelträger in der Vorrunde gegen Mexiko und Südkorea verliert, in drei Partien nur ein Tor aus dem Spiel heraus schießt und mit drei Punkten auf dem letzten Platz seiner Gruppe landet, der kann sich das nicht schönreden.

Als erste deutsche Auswahl überhaupt verlässt die Mannschaft, die bei diesem Turnier nie eine war, die große Bühne bereits nach der Vorrunde. Das ist, Sie ahnen es, historisch schlecht. Das war so nicht zu erwarten. Schließlich hatte es vor dem Turnier nahezu keine Kritik an der Personalauswahl des Bundestrainers gegeben. Joachim Löw hat, da waren sich alle einig, die richtigen Spieler eingeladen. Den Rest werde er, der Weltmeistermacher, schon richten, entspannt und siegesgewiss wie er sich gab. Nach dem 0:2 gegen Südkorea allerdings war davon nicht mehr viel zu sehen. Sichtlich mitgenommen sagte er nach dem Ausscheiden in der Kasan-Arena: "Ich habe dafür die Verantwortung. Und dazu stehe ich auch."

Was wie ein Rücktrittsangebot klingt, ist erst einmal vor allen Dingen vernünftig. Er sei geschockt, sagte Löw, wolle erst einmal nachdenken. "Ich muss mich sammeln. Da werden wir in Ruhe drüber sprechen." So viel lässt sich jetzt schon sagen: Eine Monokausalität greift, wie meist im Leben, auch hier nicht. Es gibt nicht den einen Grund, warum die Nationalmannschaft so enttäuscht hat. Aber es gibt bei der Spurensuche allerhand Indizien und Fingerzeige. Der DFB sollte sich tatsächlich die Zeit nehmen, das alles aufzuarbeiten, daraus Schlüsse zu ziehen und nicht sofort wieder die mitunter sehr schwer zu ertragende Marketingmaschine anzuwerfen.

Das Gerede vom fünften Stern, dem fünften Weltmeistertitel, der unselige Slogan #zsmmn und das nicht weniger nervige Gerede vom "Best never rest" haben ihren Teil dazu beitragen, dass sich die besten Fußballer des Landes immer mehr von den Menschen entfernt haben. Jenen, die immer mehr als DFB-Kunden erscheinen, nicht als mitfiebernde und mitleidende Fans. Hinzu kommt, und damit nähern wir uns langsam wieder dem Sport, dass der Verband offenbar die Affäre um die Fotos der Spieler Mesut Özil und Ilkay Gündoğan mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan falsch eingeschätzt hat. Oder besser: Die Wirkung auf das Binnenklima innerhalb der Mannschaft, die sich bei dieser WM nur selten als Einheit präsentierte.

Irgendetwas stimmt doch nicht

Irgendetwas im Team hat nicht gestimmt, auch wenn das alle in den vergangenen zwei Wochen munter dementiert haben. Was genau, das erfährt die Öffentlichkeit mutmaßlich wieder erst Jahre später. So ist das meistens. Nach der Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine, bei der die DFB-Elf das Halbfinale gegen Italien verlor, kam dann irgendwann heraus, dass sich die Spieler der Dortmunder Borussia und des FC Bayern nicht allzu gut verstanden haben, es gab Gruppen und Grüppchen, ein Riss ging durch den Kader. Löw hatte sich seinerzeit zwar, so die Exegese, gegen Italien verzockt, indem er sein Team nach den Stärken des Gegners aufstellte, anstatt auf die eigene Kraft zu setzen. Aber er hat daraus gelernt - und wurde zwei Jahre später in Brasilien Weltmeister.

Hinterher sprachen alle davon, dass neben aller spielerischen Klasse vor allem das gute Verständnis der Spieler untereinander und füreinander ausschlaggebend gewesen sei.

Dass er also Mannschaften entwickeln, formen und zu sehr guten Leistungen treiben kann, hat er in den vergangenen zwölf Jahren bewiesen. Doch wie geht es nun weiter? Mit oder ohne Löw? Das ist eine Frage, die im Grunde nur der Bundestrainer selbst beantworten kann. Seinen Vertrag hat der DFB erst jüngst bis 2022 verlängert. Und Präsident Reinhard Grindel hatte sich bereits vor der Schmach gegen Südkorea festgelegt: Löw soll bleiben, geschehe, was wolle, auch das Unvorstellbare. Das ist nun tatsächlich eingetreten.

Und ja, der Bundestrainer hat Fehler gemacht. Er hat eben kein Team geformt und er hat zu sehr darauf gesetzt, dass seine Weltmeister von gestern auch die von morgen sein können. Doch Jérôme Boateng, Mats Hummels, Sami Khedira, Thomas Müller, Özil und mit Abstrichen auch Toni Kroos haben nicht das gezeigt, was alle von ihnen erwartet haben. Und Löw muss sich fragen, ob er mit seiner Analyse richtig liegt, die er nach allen drei Partien, besonders nach den Niederlagen, wie ein Mantra wiederholte: Dass die etablierten Kräfte ihre spielerische Klasse nicht abgerufen hätten. Nach dem schlechtesten WM-Turnier der DFB-Geschichte stellt sich vielmehr die Frage, ob diese Klasse in dem Maße, wie Löw und auch fast alle anderen sie vermuteten, überhaupt noch vorhanden ist.

Nun aber sollte er die Chance ergreifen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Und dass nicht nur, weil ein Nachfolger im Grunde nicht in Sicht ist. Löw hat die Fähigkeit dazu, er hat das Standing und er hat mit der jungen Generation um Joshua Kimmich, Antonio Rüdiger, Niklas Süle, die beiden Julians Brandt und Draxler, Leon Goretzka und nicht zuletzt Timo Werner auch die Spieler dazu. Selten ist der Bundestrainer so aufgeblüht wie im Sommer 2017, als er mit dieser Combo den Confed Cup gewann. Er hat sich selbst als Entwickler bezeichnet, das treibe ihn an. Bitteschön, dann ran ans Werk. Joachim Löw ist der richtige Mann. Und 2020 ist schon wieder Europameisterschaft.

Quelle: n-tv.de


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