Und das an seinem Geburtstag: Man möchte dem Bundesinnenminister fast ein Yes-Törtchen an seinen Platz im Bundestag bringen, denn viel zu lachen hat er heute nicht. Einen erheblichen Teil seines 69. muss Horst Seehofer auf der Regierungsbank sitzen und der zum Teil harschen Kritik der Opposition an der von ihm und Bundeskanzlerin Merkel verursachten Regierungskrise lauschen. Nach wochenlangem Ringen um eine Detailfrage der Asylpolitik, an der die Regierung hätte zusammenbrechen können, bekommen Merkel und Seehofer im Bundestag die Quittung für das, was viele Redner als "Chaos" bezeichnen.
Was die Unionsparteien als Einigung und Erfolg versuchen zu verkaufen, trifft bei der Bevölkerung auf wenig Gegenliebe: Umfragen zufolge hätte eine Mehrheit befürwortet, wenn Seehofer zurücktritt. Die meisten glauben, dass CDU und CSU sich hätten trennen müssten. Die Mehrheit hält den Streit für überzogen. Und nur ein kleiner Teil glaubt daran, dass Merkel und Seehofer künftig noch produktiv zusammenarbeiten können. Und auch im Parlament ist die Stimmung nach dem Flüchtlingskompromiss eindeutig.
"Sie hätten auch Jesus abgeschoben"
Als Geburtstagsgeschenk bezeichnet Linken-Fraktionsführer Dietmar Bartsch die Tatsache, dass Seehofer überhaupt noch auf der Regierungsbank platznehmen durfte. "An Ihrem 70. Geburtstag werden Sie hier nicht mehr als Innenminister sitzen." Die CSU radikalisiere sich beinahe stündlich und es gehe ihr ausschließlich um die Landtagswahl in Bayern. Dass Seehofer überhaupt Innenminister geworden ist, sei eine "grandiose Fehlentscheidung". Die Christlich Soziale Union hätte nach Ansicht Bartschs selbst "Jesus mit einem Lächeln abgeschoben".
Auch FDP-Chef Christian Lindner ist im Angriffsmodus. Seit dem Herbst 2015 gebe es drängende Probleme im Land: Diesel-Betrug, bezahlbarer Wohnraum, Energiewende. "Es gibt Millionen Menschen in der Mitte der Gesellschaft, die Antworten von ihrer Regierungschefin erwarten." Doch seit fast drei Jahren beschäftige sich die Bundesregierung nur noch mit der Flüchtlingskrise. Und nicht einmal dieses Problem habe sie gelöst. Die Einigung der Unionsparteien sei gar keine, sie sei ein "Waffenstillstand", so Lindner. Und an die Adresse des Innenministers sagt er: "Die eigenen Freunde fürchten den Rücktritt nicht mehr – sie ersehnen ihn". Seehofer habe nicht nur die Fraktion gespalten, er sei auch in der Lage, die ganze Regierung in Gefahr zu bringen.
Das Geburtstagskind sitzt neben Finanzminister Olaf Scholz und Merkel auf der Regierungsbank. Und während Kanzlerin und Vizekanzler abwechselnd mit Handy, Tablet und Zuhören beschäftigt sind, auch mal ein paar Worte wechseln, blickt Seehofer fast unentwegt wie versteinert in Richtung des Rednerpultes. Er wirkt erschöpft. Selbst reden wird er heute nicht, obwohl viele erwartet hätten, dass Seehofer sich äußert. Er sitzt, schweigt und verzieht keine Miene.
SPD: "Geschlossene Lager lehnen wir ab"
Am Morgen war Seehofer bei n-tv noch gesprächiger. Er verteidigte die Transitzentren gegenüber den Vorwürfen der Unmenschlichkeit aus Reihen von Linken und Grünen. "Es ist weder eine Haft, noch ist da von Stacheldraht oder Ähnlichem die Rede. Das ist ein Aufenthalt, der längstens 48 Stunden dauern kann nach unserem Grundgesetz", sagte er. Und im Hinblick auf die noch ausstehende Zustimmung der SPD zu den Plänen: "Ich glaube dass wir da schon zusammenkommen. Ich habe da keine Zweifel".
Doch auch der eigene Koalitionspartner hält sich nicht zurück mit der Kritik. Es sei "ja eigentlich kein schlechter Start" in die Regierung gewesen, sagt SPD-Chefin Andrea Nahles. Aber der Motor sei "ins Stottern geraten". "Streit und Drohungen" hätten die vergangenen Wochen beherrscht. "Wir brauchen keine Masterpläne, wir brauchen gutes Handwerk, um das umzusetzen, was im Koalitionsvertrag steht." Bisher hat die SPD der Unionseinigung noch nicht zugestimmt, was sie aber muss, wenn die Regelungen umgesetzt werden sollen. Und auch diesbezüglich gibt es einen Seitenhieb: In der Flüchtlingsfrage habe sich keine neue Sachlage ergeben. "Geschlossene Lager lehnen wir ab", sagt Nahles. Diese Ansage dürfte weder Merkel noch Seehofer gefallen.
Ein bisschen Anerkennung von der AfD
Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter spricht von "beispielloser Verantwortungslosigkeit", von einem "Schauerspiel". Vom "konservativen Bauern bis zum linksliberalen Großstädter" frage sich jeder, "was Sie da eigentlich machen". Die Regierung löse keine Probleme, sie selbst sei das "größte Problem geworden". "Statt den Stapel der Verantwortungen abzuarbeiten, haben Sie, Frau Merkel, sich erpressen lassen und ganz Europa in Geiselhaft genommen."
Und die größte Oppositionspartei AfD - zumindest sie müsste doch Gefallen an der Verschärfung des Asylrechts finden. "Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung", sagt Fraktionschef Alexander Gauland. Der "bizarre Streit" sei entstanden, "weil der Innenminister seine Pflicht tun wollte". Merkel habe Seehofer nicht beigestanden. Und auch bei Alice Weidel, die, wie auch Gauland, wieder einmal Merkels Rücktritt fordert, klingt so etwas wie ein Hauch von Zuspruch durch: "Horst Seehofer, schade. Sie hätten Deutschland einen Neuanfang bringen können", jetzt aber verlängere er nur die Qual.
Und Merkel? Sie spricht relativ am Anfang der Debatte, wirkt jedoch schon zu diesem Zeitpunkt wenig überzeugend. Man brauche "realistische und solidarische Antworten in Europa". Sie habe beim Thema Migration doch schon "viel geschafft". Gelächter ertönt aus der AfD-Fraktion. Und überhaupt: In den 112 Tagen im Amt habe die Bundesregierung doch schon so vieles vorangebracht: Rente, Baukindergeld, Arbeitslosigkeit. Merkel versucht, das alles beherrschende Thema, den erbitterten Streit zwischen den Regierungsparteien, mit Erfolgsmeldungen zu übermalen. Das funktioniert heute jedoch nicht.
Quelle: n-tv.de
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