Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen erwartet vom Brüsseler Gipfel vor allem eines: Geschlossenheit. Diese scheint der Nordatlantikpakt bitter nötig zu haben angesichts der offenkundig schweren bis fundamentalen inneren Differenzen und Dissonanzen mit der unbestrittenen Führungsmacht USA.
Dem Zwei-Prozent-Ziel verpflichtet
Von der Leyen ist gut gelaunt, als sie im Stauffenbergsaal des Verteidigungsministeriums vor den in Deutschland akkreditieren Journalisten der Auslandspresse die Rüstungsanstrengungen Deutschlands auflistet. Deutschland nehme das Zwei-Prozent-Ziel der Nato sehr ernst, beteuert die amtierende Verteidigungsministerin. Die Mitglieder des Nordatlantikpaktes hatten sich auf ihrem Gipfel 2014 in Wales verpflichtet, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben. Dem fühle sich Deutschland verpflichtet, erklärt die Bundesverteidigungsministerin:
„In den letzten fünf Jahren haben wir in etwa einen Aufwuchs von 30 Prozent gehabt. Das ist erheblich. Und Sie wissen, dass wir planen und das auch der Nato gemeldet haben, dass wir in den weiteren fünf Jahren, also bis zum Jahr 2024, einen Aufwuchs auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes haben werden. Wir würden dann im Jahr 2024 in realen Zahlen das Budget um 80 Prozent erhöht haben. Wir kommen von einer Ausgangsbasis im Jahr 2014 von 1,1 Prozent, die damals für die Verteidigungsausgaben investiert wurden, würden dann 2024 bei 1,5 Prozent sein. Weil das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland so stark wächst, ist eben der Anstieg der Verteidigungsausgaben auch erheblich.“
Wird Trump beeindruckt sein?
Das sieht der Korrespondent der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press (AP) erheblich anders. Er verweist kühl darauf, dass dies bedeute, zum Ende der Amtszeit von Donald Trump werde Deutschland immer noch weit entfernt sein von dem Ziel, das der US-Präsident ausgegeben und angemahnt hat. Er verwies auf die jüngst versendeten Brandbriefe, von denen einer auch Deutschland zugestellt wurde. Wie Trump beeindruckt sein solle, fragt der AP-Vertreter. Daraufhin wird auch die Ministerin einigermaßen kühl:
„Wir wollen niemanden beeindrucken. Sondern wir investieren soweit, wie es unseren gemeinsamen Alliierten oder Partnern in der Allianz gegenüber notwendig, angemessen und auch fair ist. Das ist der erste Punkt. Für uns ist auch kein Maßstab ein Ende einer Legislaturperiode eines der 29 Länder. Sondern wir sind 29 Länder, die gemeinsam ein Ziel verfolgen und gemeinsame Werte auch verteidigen.“
Die Nato als Wertegemeinschaft
Die feierliche Beschwörung gemeinsamer westlicher Werte, deren Verteidigung zu den noblen Zielen der Nato gehören soll, wirkt angesichts der Widersprüche innerhalb des Pakts albern und hohl. Doch das scheint Ursula von der Leyen nicht zu stören. Obwohl der Präsident des wichtigsten Mitgliedslandes des Nordatlantikpaktes keine Gelegenheit auslässt, kundzutun, dass er keine gemeinsamen, sondern nur eigene Werte kennt, die er im Zweifel auch rücksichtlos gegen vermeintliche Verbündete und Freunde durchsetzen will. Obwohl inzwischen jedes Kind weiß, dass die so theatralisch beschworenen gemeinsamen Werte des Westens immer dann vergessen werden, wenn andere, vornehmlich geopolitische und wirtschaftliche Interessen des Westens ihnen im Wege stehen.
Angebliche gemeinsame Werte wie Demokratie und Menschenrechte hat der Westen und insbesondere seine Führungsmacht in den zurückliegenden Jahrzehnten regelmäßig beiseitegeschoben, wenn es beispielsweise darum ging, angeblichen sowjetischen Einfluss zurückzudrängen, linke Regierungen rund um den Globus wegzuputschen, Zugänge zu strategisch wichtigen Rohstoffen zu verteidigen usw.
Diese Politik der verlogenen Doppelstandards prägt die Nato-Politik bis heute. Auffallend ist dabei die Absurdität, etwa die immensen Rüstungssteigerungen der Nato-Staaten mit russischen Verteidigungsausgaben zu begründen, obwohl Russlands Ausgaben nur einen Bruchteil der Nato-Aufwendungen betragen und sie überdies im vergangenen Jahr sogar gesunken sind. Immer mehr Menschen hinterfragen deshalb die Argumentation der Nato-Strategen. Deshalb soll nun eine andere Begründung herhalten. Das erfährt auch der Sputnik-Korrespondent, der auf seine Frage, ob es fair ist, nach wie vor die Nato-Rüstung mit russischer Rüstung zu begründen, diese Antwort von von der Leyen erhält:
„Ich erinnere mich noch sehr wohl an die Winterspiele in Sotschi. Und eine Woche später hat Russland die Krim annektiert. Und danach begann das, was der hybride Krieg in der Ostukraine nach wie vor ist, in dem Menschen bis heute auch sterben. Erfreulicherweise hat es inzwischen auch erhebliche diplomatische Anstrengungen gegeben, und die Vereinbarungen von Minsk sind geschlossen worden, an denen gearbeitet wird und die einen gemeinsamen Fahrplan auch geben, um aus diesem schwierigen Konflikt auch wieder einen Ausweg gemeinsam zu finden. Aber die Tatsachen sprechen nach wie vor für sich.“
Die Nato zieht in den Cyber-War
Das andere Argumentationsmuster, um die aggressive Nato-Strategie mit angeblich aggressiver russischer Politik zu begründen, ist der sogenannte Cyber-Krieg. Hier sieht Ursula von der Leyen eine Schlüsselaufgabe für die Bundeswehr der kommenden Jahre. Denn die modernen Waffensysteme seien heute so digitalisiert, dass jede moderne Kriegsführung sich des Mittels des Computerhackens bedienen müsse.
„Also nicht nur die konventionellen Waffensysteme, sondern auch die gesamte Form der Kommunikation innerhalb von Streitkräften, Sie können sie abhören, Sie können sie beeinflussen, Sie können sie verändern. Es gibt aber auch die Komponente der Beeinflussung von Gesellschaften, also soziale Unruhen schüren, über die Veränderung von Kommunikation insbesondere in den sozialen Medien, das ist das ganze Thema Bots und Trolls und Fake News.“
Wen Ursula von der Leyen damit meint, ist unausgesprochen klar. Natürlich nicht die nachgewiesene massenhafte Schnüffelpraxis von NSA und GCHQ, die de facto weltweit jedes Telefonat und jede Email mithören und mitlesen. Auch nicht die Umtriebe von Firmen und Organisationen wie Cambridge Analytica oder JTRIG, die Wahlen im Westen manipuliert haben und wahrscheinlich immer noch soziale Medien mit Bots und Trollen vergiften. Nein, natürlich sind auch in diesem Fall die Russen schuld: Die hybride Kriegsführung soll eine Spezialität Russlands sein, zu der andere Staaten komplett unfähig sind. Ganz so, als hätte es die Enthüllungen eines Edward Snowden nie gegeben.
sputnik.de
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