Alle sind gleich, aber einer ist gleicher als andere – Berlin nervös vor Nato-Gipfel

  10 Juli 2018    Gelesen: 1065
Alle sind gleich, aber einer ist gleicher als andere – Berlin nervös vor Nato-Gipfel

Am Mittwoch beginnt ein zweitägiges Spitzentreffen der Staats- und Regierungschefs der Nato. In Brüssel werden harte Auseinandersetzungen zwischen der Führungsmacht des Nordatlantikpaktes USA und den anderen 28 Mitgliedsstaaten erwartet. In Berlin stellt man sich offenbar auch auf einen Eklat wie beim G7-Gipfel im kanadischen La Malbaie ein.

Die Bundesregierung bemüht sich seit Tagen, den Eindruck von Gelassenheit zu verströmen. Wann immer Regierungsvertreter zu den Erwartungen an den Nato-Gipfelangesprochen und befragt werden, heißt es, Deutschland sehe dem Treffen „aufgeschlossen und ruhig“ entgegen. Das, was die meisten Beobachter in Berlin als das Pfeifen im Walde interpretieren, hat wesentlich mit einem grundsätzlichen Dissens zwischen der Bundesrepublik und den USA zu tun.

Auf dem Nato-Gipfel 2014 in Wales hatte das Militärbündnis eine Deklaration verabschiedet, in der sich die Mitgliedsstaaten verpflichteten, „innerhalb einer Dekade“, also bis 2024, mindestens zwei Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandproduktes (BIP) für Rüstungsausgaben einzusetzen, und davon mindestens 20 Prozent für Investitionen, also den Bau oder die Anschaffung von Militärtechnik oder militärischer Infrastruktur (siehe Punkt 14 der Deklaration).

Deutschland unterschreitet seit Jahren das 2-Prozent-Ziel der Nato
Deutschland gab zum Zeitpunkt der Selbstverpflichtung von Wales nach eigenen Angaben etwa 1,1 Prozent seines BIP für Rüstung aus. Inzwischen wird die Bundesregierung nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Deutschland bis 2024 etwa 1,5 Prozent des BIP für Rüstung ausgeben wolle. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen betonte vergangene Woche gegenüber den Journalisten der ausländischen Presse in Berlin, in absoluten Zahlen bedeute dieser geplante Anstieg der Rüstungsausgaben eine gewaltige Steigerung von 80 Prozent seit 2014. Denn, so die Ministerin damals, das BIP Deutschlands sei bekanntermaßen ganz erheblich gestiegen und man gehe davon aus, dass es weiterhin steigen werde.

Brandbriefe Donald Trumps an „säumige“ Nato-Zahler
Natürlich kennt auch das Weiße Haus diese Zahlen. Und natürlich hat auch das Weiße Haus davon Kenntnis, dass Deutschland diese Ausgabenpläne schon vor einer Weile an das Nato-Hauptquartier gemeldet hat. Doch ganz offensichtlich reicht das dem US-Präsidenten nicht. Und es ist auch kein Trost für Berlin, dass der Bannstrahl des US-Präsidenten nicht nur Deutschland trifft. Am 22. Juni veröffentlichte die kanadische Nachrichtenplattform „iPolitics“ einen Artikel, in dem über einen Brief von US-Präsident Donald Trump an den kanadischen Premierminister Justin Trudeau berichtet wurde. In diesem Brief beschwert sich Trump über die seiner Meinung nach zu geringen Rüstungsausgaben Kanadas.

Fünf Tage später berichtete das US-Magazin „Foreign Policy“ von ähnlichen Briefen Trumps an Regierungen anderer Nato-Staaten, neben Deutschland auch Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien. Weitere zwei Tage später schockte die „Washington Post“ die deutsche Politik mit einem Artikel, in welchem über die Kosten fabuliert wurde, die anfielen, um die Stationierung der US-Truppen in Deutschland aufrechtzuerhalten. In Berlin beeilten sich Regierungssprecher zu beschwichtigen, diese Rechnungen seien ein völlig normaler Vorgang in der US-Administration, der sich regelmäßig wiederhole.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen erklärte tapfer, sie habe bei ihren Gesprächen mit ihrem US-Amtskollegen James Mattis, die wenige Tage vor dem Artikel der „Post“ in Washington stattfanden, keinerlei Hinweise auf Pläne für einen Abzug der US-Truppen aus Deutschland erkennen können, sondern das genaue Gegenteil.

Die „Washington Post“ legte dann vergangenen Donnerstag nach. Zwar zitierte das Blatt die US-Nato-Botschafterin Kay Bailey Hutchison mit den Worten, „es wurde nicht über eine Truppenanpassung in Deutschland gesprochen oder das sich daran etwas ändert“, aber gleichzeitig verweist die „Post“ auf Äußerungen von Hutchison, wonach die aus US-Sicht unzureichenden Militärausgaben der Hälfte der Nato-Staaten sicherlich eines der wichtigsten Gesprächsthemen des Brüsseler Gipfels sein werden. Interessant daran ist, dass die „Washington Post“ auch Herausgeberin des bereits erwähnten Magazins „Foreign Policy“ ist, in dem von Trumps Beschwerdebriefen die Rede war. Zufälle sind diese zeitlichen und anderen Zusammenhänge sicherlich nicht.

Treffen Trump-Putin nach Nato-Gipfel beunruhigt viele
Nicht minder schwer wiegt der Umstand, dass die „Washington Post“ in ihrem Artikel vom 5. Juli auch den Botschafter der USA in Russland, Jon Huntsman, zu Wort kommen lässt. Der Spitzendiplomat referierte über das Treffen zwischen Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin, das am 12. Juli unmittelbar nach dem Nato-Gipfel in Helsinki stattfinden soll. Huntsman verglich die Begegnung mit dem Treffen zwischen Trump und dem nordkoreanischen Führer Kim Jong-un. Dieses Treffen habe die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel verringert, meinte Huntsman, um dann hinzuzufügen, dass jedwede Reduzierung von Spannungen mit Russland in viel größerem Ausmaß stattfinden würde.

Das ließ viele Politiker in Europa aufhorchen, befürchten sie doch schon eine Weile, dass sich die USA und Russland wieder annähern könnten, zu Lasten der Bindungen Washingtons mit seinen europäischen Alliierten. Die Bemerkung von Jon Huntsman, er könne nicht ausschließen, dass es die eine oder andere Vereinbarung geben könne, rief besonders in Berlin unangenehme Erinnerungen an das Debakel mit der Schlusserklärung des G7-Gipfels in Kanada wach.

Bundesregierung ratlos, sollte USA auch gemeinsame Erklärung des Nato-Gipfels boykottieren
Regierungsvertreter in Berlin werden schmallippig, wenn die Frage nach den Abschlussdokumenten des Nato-Gipfels fällt. Aus Regierungskreisen in der deutschen Hauptstadt war dieser Tage zu erfahren, dass das Abschlusskommuniqué derzeit 34 Seiten umfasse. Und es schwingt immer ein leicht verzweifelter Unterton mit, wenn darauf verwiesen wird, dass die Abstimmungsprozeduren für dieses wichtigste Gipfeldokument seit Wochen zwischen den Regierungen der 29 Nato-Staaten laufen. Niemand will sich ausmalen, was geschieht, sollte der US-Präsident auch diesen Gipfel durch die Verweigerung seiner Zustimmung für ein Abschlussdokument ruinieren.

Auch Ungarn nervt die Nato
Doch es ist längst nicht nur das unberechenbare Temperament des momentanen US-Präsidenten, das den Nordatlantikpakt, trotz aller Bekundungen des Einigkeitsgedankens, derzeit zu einer nervenaufreibenden Veranstaltung macht. Auch Ungarn schockierte die Gipfelplaner im Nato-Hauptquartier mit einem Brief. Wie die ukrainische Zeitung „Evropeiska Pravda“ am 2.Juli berichtete, erhielt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor wenigen Tagen einen Brief des ungarischen Außenministers Péter Szijjártó. Darin kündigt Szijjártó an, dass Ungarns Regierungschef Viktor Orban keinen Beschluss mittragen werde, der die Ukraine betreffe. Auf dem Plan des Nato-Gipfels stehen auch Gespräche mit den Nicht-Nato-Staaten Ukraine und Georgien.

Die Boykottandrohung Ungarns, die Ukraine betreffend, hat einen Hintergrund, der aus Nato-Sicht sicherlich komplett nebensächlich ist und das Militärbündnis wenige Tage vor dem wichtigen Gipfel entsprechend fassungslos macht. Aber für Budapest geht es um Grundsätzliches. Ungarn verhandelte mit der Ukraine am 22. Juni über die Bedingungen für die ungarische Minderheit in der Ukraine. Eigentlich schien nach dem Treffen in der ukrainischen Grenzstadt Uschhorod alles bestens, jedenfalls klangen die Bekundungen der beiden Seiten entsprechend. Doch dann dieser Brief aus Budapest. In Brüssel am Nato-Sitz ist man genauso ratlos wie in Berlin.

Berlin scheint mit allen Szenarien in Brüssel zu rechnen
Aus Regierungskreisen in der deutschen Hauptstadt verlautete bislang nur, dass man von etwaigen Boykott-Ankündigungen der ungarischen Seite für die Ukraine betreffende Gipfel-Beschlüsse nichts wisse. Die Bundesregierung bleibt einstweilen bemüht, kein Öl in eines der Feuer zu gießen, die derzeit die Nato-Gemeinsamkeit stören. Stattdessen predigt die Bundesregierung die Bedeutung des Nordatlantikpaktes. Bundeskanzlerin Angela Merkel meinte in ihrer jüngsten Video-Botschaft vom vergangenen Sonnabend ganz staatstragend: „Wir brauchen die Nato auch im 21. Jahrhundert als Garant für unsere Sicherheit und zwar als transatlantisches Bündnis.“ Immerhin bekräftigte die Regierungschefin Deutschlands in dieser Video-Botschaft auch ihren Willen für ein „vernünftiges“ Verhältnis zu Russland.Das wird vielleicht auch nötig sein, wenn der vermeintlich oder tatsächlich engste Verbündete Deutschlands sich ein weiteres Mal von seiner weniger freundschaftlichen Seite zeigen sollte. In Berlin scheint man diesbezüglich im Moment auf alles gefasst. Jedenfalls betonte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor wenigen Tagen vor der ausländischen Presse in Berlin gebetsmühlenartig, dass die Nato „aus gutem Grund“ eine Gemeinschaft aus 29 Staaten sei. Und sicherlich tat auch von der Leyen dies „aus gutem Grund“.

sputniknews


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