Eine traurige Selbstoffenbarung

  07 Auqust 2018    Gelesen: 1206
Eine traurige Selbstoffenbarung

Die einen sehen Mesut Özil als Opfer von Rassismus, andere beschimpfen ihn als Erdogan-Freund. Doch was denkt die liberale Mehrheit? Sie durchschaut das peinliche Manöver, sich selbst als Opfer darzustellen. Der Rassismus-Vorwurf fällt mittlerweile auf ihn selbst zurück.

In der Özil-Debatte poltern zwei politische Meinungen aufeinander. Die einen sehen den Fußballspieler vor allem als Mobbing-Opfer und wittern Rassismus vom DFB bis in die Fankurven, ja halb Deutschland sei latent rassistisch verseucht. Vom türkischen Staatspräsidenten Recep Erdogan ("Einen jungen Mann, der alles für das Nationalteam gegeben hat, aufgrund seines Glaubens so rassistisch zu behandeln, ist unakzeptabel") bis zu Bundesjustizministerin Katarina Barley ("Ein Alarmzeichen für Rassismus") reicht die Fraktion der Rassismus-Mahner. Vor allem aus linken, grünen und national-türkischen Szenen wird die Rassismus-These verbreitet, variiert, problematisiert und mit allerlei migrationspolitischen Anklagen garniert. In der Türkei taugt diese Stimmungsmache mittlerweile zur anti-deutschen Bewegung. So laufen die Fußballer des türkischen Erstligisten Yeni Malatyaspor mit T-Shirts auf, die ein Bild von Özil mit der Botschaft zeigen: "Wir sind alle bei dir. Nein zu Rassismus."

Auf der anderen Seite der Meinungsskala kritisieren viele Özil als Erdogan-Freund und türkischen Doppelagenten des Sports. Er habe die deutsche Nationalhymne nie mitgesungen, habe sich mit der Nationalmannschaft nicht wirklich identifiziert, sei offener Unterstützer eines üblen Despoten. Von der CSU ("Wer das Trikot der Nationalmannschaft trägt, sollte sich zu den Werten unseres Landes bekennen und nicht Wahlkampf für Despoten machen, die die Pressefreiheit und Menschenrechte einschränken") bis zur Linken-Politikerin Sevim Dagdelen ("Im Londoner Luxushotel mit dem Despoten Erdogan zu posieren und ihn auch noch als 'meinen Präsidenten' zu hofieren, während in der Türkei Demokraten verfolgt und kritische Journalisten inhaftiert werden, ist ein grobes Foul") reicht das Spektrum der Argumente. Rechte Milieus stilisieren die Özil-Debatte sogar zu einer Grundsatzklage über die angebliche Doppelmoral vieler Türken in Deutschland. Sie genössen wie Özil hier die Segnungen von Demokratie und Wohlstand, seien aber türkische Nationalisten und wählten mehrheitlich Erdogan. AfD-Chefin Alice Weidel meint gar: "Integrations-Träumerei funktioniert nicht einmal bei Fußball-Millionären. Mit seiner Abschiedstirade erweist sich Özil als typisches Beispiel für die gescheiterte Integration von viel zu vielen Einwanderern aus dem türkisch-muslimischen Kulturkreis."

Während die eine Seite also das Rassismus-Thema dramatisiert, intoniert die andere Seite den Identitäts-Begriff. Auch beim fußballerischen Urteil über Özils jüngste Leistungen scheint das Meinungsklima polarisiert. Dort mäkelt eine Seite am "Alibi-Spieler" herum, der "seinen letzten Zweikampf vor der WM 2014 gewonnen hat" (Uli Hoeneß) und "die Körpersprache eines toten Froschs" zeige (Mario Basler). Die andere Seite rühmt ihn als "einzigartig elegant" (José Mourinho) oder als "Künstler-Genie am Ball" (Sportzeitung "Marca").

Für fußballerisch wie politisch mittige Menschen sind die Polarisierungen rund um Özil verzerrt und falsch. Denn Özil war für das große Publikum immer beides, Türke und Deutscher, ein ballzaubernder Passgeber und zugleich ein schulterhängender Schlunz. Und auch politisch sieht ihn die liberale Mitte als einen ambivalenten Star, der wenig zur Politisierung, weder von links noch von rechts, taugt. Die Mehrheit der Deutschen teilt die Aussage, die Bundesaußenminister Heiko Maas über den Fußballspieler gemacht hat: "Ich glaube nicht, dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit Deutschlands." 52 Prozent stimmen der Aussage von Maas zu, nur jeder Sechste (16 Prozent) lehnt sie ab. Die Mehrheit der Deutschen hält die Rassismus- wie die Identitäts-Debatte für übertrieben und daneben - sie sieht vielmehr das Fehlverhalten eines Einzelnen im Mittelpunkt.

Der Vorstandschef von Eintracht Frankfurt bringt die Özil-Stimmungslage der Mehrheit gut auf den Punkt. Fredi Bobic, selbst ein Mann mit Migrationshintergrund und Erfolgsarchitekt von Deutschlands Multikulti-Pokalsiegermannschaft, findet den Rassismus-Vorwurf "unerträglich". Er sagt: "Dieser Pauschalvorwurf des Rassismus entspricht einfach nicht der Realität." Özil habe sich "wahrlich nicht als Teamplayer erwiesen", so Bobic auch mit Blick auf dessen langes Schweigen und die finale Facebook-Erklärung in englischer Sprache. "Auch das hätte ich als deutscher Nationalspieler nicht gemacht. Meiner Meinung nach ist er da sehr schlecht beraten gewesen." Das umstrittene Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan sei schlichtweg ein Fehler gewesen. "So etwas würde ich einem Spieler zugestehen, der 18 oder 19 Jahre alt ist. Aber ein Spieler, der schon so lange im Geschäft ist, 29 Jahre alt und Weltmeister, muss wissen, was das für Auswirkungen hat", meint Bobic: "Wenn er das nicht weiß, dann ist er entweder total naiv - das kann ich mir bei ihm nicht vorstellen - oder es ist berechnend und er wollte provozieren. Oder aber er ist fremdgesteuert." Bobic weiter: "Klar, er kann sich jetzt in der Türkei abfeiern lassen. Aber das ist ein Trugschluss. Weil er im Endeffekt nur benutzt wurde, um zu spalten - vor allem hier in Deutschland. Und das finde ich vor allem den Türken gegenüber, die hier leben, einfach unfair."

Die liberale und multikulturell offene Mitte in Deutschland versteht sehr gut, dass Deutschtürken wie Özil zwei Herzen in ihrer Brust schlagen fühlen. Die meisten sehen es ihm auch nach, die Hymne nicht mitgesungen zu haben. Aber kaum jemand akzeptiert es, mit dem Prominenzbonus eines deutschen Weltmeisters Wahlpropaganda für einen türkischen Despoten zu machen. Und niemand versteht es, wenn man auf den selbst ausgelösten Skandal mit pauschalen, rüden Attacken auf sein Umfeld reagiert. Özil hat die Rassismuskeule nur geschwungen, weil er seine eigenen politischen und fußballerischen Fehler nicht eingestehen wollte. Er suchte eine Opferrolle und einen Sündenbock für persönliches Fehlverhalten, er glaubte ihn im DFB speziell und in den Deutschen allgemein gefunden zu haben. Wer dieserart Rassismus beklagt und zugleich dem Rassismus eines Erdogan huldigt - der agiert selbst rassistisch. Die Tragödie Özils liegt in einem charakterlichen Versagen, nicht in einem politischen. Linke wie Rechte sollten aufhören, daraus Kapital schlagen zu wollen. Die Sache ist menschlich traurig genug.

Quelle: n-tv.de


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