Von wegen abgesagt: Idlib-Offensive steht noch bevor

  19 September 2018    Gelesen: 800
Von wegen abgesagt: Idlib-Offensive steht noch bevor

Die vom Kreml verkündeten „schicksalhaften“ Vereinbarungen zwischen Russland und der Türkei zur Lage im syrischen Idlib sind offenbar noch nicht endgültig. Weder Wladimir Putin noch sein Amtskollege Recep Tayyip Erdogan sind daran interessiert, dass im Norden Syriens der „Islamische Staat“* oder die al-Nusra-Front** weiter ihr Unwesen treiben.

Angesichts dessen neigen viele Experten zur Auffassung, dass nach der Einrichtung einer „demilitarisierten Zone“ um Idlib sowohl die türkischen als auch die syrischen Kräfte unter Mitwirkung Russlands weiter gegen „unversöhnliche“ Islamisten-Kämpfer vorgehen werden.

Somit handelt es sich bei den von Putin und Erdogan am Montag in Sotschi getroffenen Entscheidungen eher um „Übergangsvereinbarungen“.

„Die Erklärung der beiden Präsidenten, die im syrischen Bürgerkrieg verschiedene Seiten unterstützen, schiebt offensichtlich die voraussichtlich blutige Offensive der Assad-Truppen und ihrer Verbündeten, zu denen auch Russland und der Iran gehören, in Idlib auf die lange Bank. Aber sie wird bestimmt noch kommen“, vermutete die „New York Times“.

Der türkische Politologe Kerim Has von der Denkfabrik „Internationale Organisation für strategische Forschungen“ sagte, dass die Türkei „den Start des Idlib-Einsatzes höchstens bis November behindern könnte“. Dann erwartet er eine rasche Anspannung der Beziehungen zwischen Ankara und Washington. Denn die Türkei, die beim Iran 45 Prozent ihres Öls kaufe, würde die antiiranischen Sanktionen nicht unterstützen und den USA Steine in den Weg legen, die ihrerseits daran interessiert seien, dass die Terroristen dauerhaft in Idlib bleiben.

Zudem zeigte sich der Experte überzeugt, dass die Türkei in Bezug auf Idlib auch einen anderen Grund für die Unterstützung Moskaus haben werde. „Durch die Verzögerung der Hauptphase des Militäreinsatzes entstehen auch für die Türkei Risiken – in ihren Einflussraum könnten Gruppierungen aus Idlib geraten. Dort könnte Ankara mit der Unterstützung anderer Länder, insbesondere Russlands, rechnen, aber auf anderen Territorien müsste sich die türkische Seite mit diesen Gruppierungen aus eigener Kraft auseinandersetzen“, so der Analyst.

Also könnte der Einsatz in Idlib schon kurzfristig beginnen, und die Wahrscheinlichkeit, dass Syrien letztendlich von den Terroristen befreit wird, ist ziemlich groß. Das wäre natürlich ein Triumph Moskaus. Aber es ist auch durchaus möglich, dass seine Opponenten im Nahen Osten ihm Steine in den Weg legen werden. Damit könnte der Krieg des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gegen die Terroristen in absehbarer Zeit in einen Krieg gegen stärkere Akteure ausufern. Weil sich Moskau auf die Friedensstiftung konzentrierte, übersah es quasi die von den USA und Israel ausgehenden Gefahren. Denn diese Länder verletzten zuletzt die getroffenen Absprachen mit Russland zu gegenseitigen Sicherheitsmaßnahmen.

Dieses Fehlverhalten gipfelte am Montagabend im Abschuss eines russischen Il-20-Flugzeugs mit 15 Soldaten an Bord – wegen der Fehler der syrischen Luftabwehr und der israelischen Luftwaffe.

Viele Details dieser Tragödie sind bislang noch unbekannt. Aber der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, warf Israel vor, für den Flugzeug-Abschuss verantwortlich zu sein. Nach seinen Worten hatten die israelischen Kräfte Luftschläge gegen die syrische Provinz Latakia (unmittelbar an der Mittelmeerküste) versetzt und „absichtlich eine gefährliche Situation für Schiffe und Flugzeuge in diesem Gebiet geschaffen“. Die Bomben seien unweit der französischen Fregatte „Auvergne“ und unmittelbar in der Nähe der russischen Il-20 abgeworfen worden, die sich gerade im Landeanflug befunden habe. Am Ende sei das Flugzeug abgeschossen worden. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte bei einem Telefonat mit seinem israelischen Amtskollegen Avigdor Lieberman, Moskau behalte sich das Recht auf Gegenschritte vor. Um welche Schritte es sich dabei konkret handeln könnte, bleibt allerdings unklar.

Der frühere Leiter der Hauptverwaltung für internationale Militärkooperation im russischen Verteidigungsministerium, Generaloberst Leonid Iwaschow, äußerte die Vermutung, dass Russland unter anderem „jedes israelische Flugzeug“ abschießen könnte, das illegal in den syrischen Luftraum fliegen sollte. Außerdem schloss er Lieferungen von „Verteidigungswaffen“ an die schiitische Gruppierung Hisbollah nicht aus, die in Israel als terroristisch eingestuft wird. Iwaschow zufolge sollte sich Russland um die Erhöhung der Qualifikation syrischer Spezialisten bemühen und die syrische Armee „mit moderneren Luftabwehrwaffen versorgen“.

Der Militärexperte Juri Netkatschew bezeichnete den Abschuss der Il-20 als „eine vorsätzliche Provokation“, die zur Zuspitzung der Beziehungen nicht nur mit Israel, sondern auch mit der von den USA angeführten Koalition führe. „Niemand hat die Tatsache bemerkt, dass die Raketenschläge gegen Syrien auch von der französischen Fregatte versetzt wurden. Aber aus welchem Grund?“, fragte er. Solche Umstände erhöhen die Wahrscheinlichkeiten von direkten Zusammenstößen zwischen den russischen Kräften und den Kräften der USA und ihrer Verbündeten, warnte der Experte.

Dieser Auffassung pflichtet auch der russische Parlamentsabgeordnete Wjatscheslaw Nikonow bei. Er erinnerte daran, dass man in den USA in der vorigen Woche von einer möglichen direkten Konfrontation mit Russland im Nahen Osten gesprochen hatte. „Die Situation in Syrien spannt sich an“, stellte er fest.

Quelle : sputnik.de


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