Krise: Kein Licht am Ende des Tunnels

  05 Januar 2016    Gelesen: 1203
Krise: Kein Licht am Ende des Tunnels
Auf eine in Russland und auch in der russischen Öffentlichkeit verbreitete mentale Stärke wurde schon des Öfteren hingewiesen: die Fähigkeit, Krisen mit unverhohlenem Pragmatismus zu begegnen und unliebsamen Entwicklungen ins Auge zu sehen. Die Eigenschaft kompensiert gewissermaßen die verbreitete Neigung, sich in guten Zeiten verstiegenen Träumereien hinzugeben.

Konkret geht es um die Aussichten auf ein wirtschaftlich äußerst schwieriges neues Jahr 2016. Jedenfalls in den führenden Print- und Onlinemedien und auch seitens der Fachministerien werden die Fakten in beeindruckender Offenheit gelistet und diskutiert.

Vergleich mit Deutschland

Das gilt vor allem, wenn man es mit der Behandlung der Flüchtlings- und Migrantensituation in Deutschland vergleicht. Dort zeichnen die Medien und die Politiker, als wollten sie den Menschen die Laune nicht verderben, die Risiken in milden, optimistischen Tönen; Worte wie schöngefärbt oder verharmlosend sind sicher nicht fehl am Platz.

Dabei bewegen sich beide Krisen auf durchaus ähnlichem Niveau; die US-amerikanische Denkfabrik „Council on Foreign Relations“ prognostiziert sogar für 2016 weltweit kein höheres Krisenpotenzial als das der Flüchtlinge und Einwanderer in Westeuropa.

Bei den volkswirtschaftlichen Erwartungen herrscht in Russland weitgehend Konsens: Weder wird der Ölpreis im neuen Jahr nennenswert steigen – eher umgekehrt – noch kommt es zu einem Wachstum der Weltwirtschaft. Damit wird das Land gleich doppelt getroffen, zum einen als Exporteur von Energierohstoffen, zum anderen als Produzent klassischer Industrieprodukte wie Eisen und Stahl. Der Dienstleistungssektor, der eine schwache Industrieproduktion in den eigentlichen Industrieländern auffangen kann, ist in Russland unterentwickelt. Gleiches gilt für Brasilien und China; auch deshalb gelten diese drei Länder vielen Analysten als Verlierer der gegenwärtigen Wirtschaftskrise.

BRICS-Länder im Hintertreffen

Damit geht ein rund 15 Jahre anhaltender Trend zu Ende, der gleichzeitig für einen guten Teil der sogenannten Globalisierungsepoche steht. Seit Anfang der Nullerjahre gibt es das Akronym BRIC für Brasilien, Russland, Indien und China; später kam Südafrika hinzu: BRICS. Und nun stehen drei dieser Länder auf der Verliererliste für 2016.

Die Gründe sind verschieden. In Russland ist es in erster Linie der Ölpreis-Einbruch seit Mitte 2014, in zweiter Linie die schwache weltwirtschaftliche Nachfrage, in dritter der Wirtschaftskrieg mit dem Westen (Sanktionen). Weder bei der Weltwirtschaft noch bei den Sanktionen geht man in Russland von positiven Überraschungen aus. Letztere stehen zwar formal im Zusammenhang mit dem Friedensprozess in der Ostukraine, doch in Moskau macht sich kaum jemand über ihren eigentlichen Charakter Illusionen. Starke Kräfte im Westen sind entschlossen, das „System Putin“ auszuhebeln; die Wirtschaftskrise und der Sanktionskrieg gut zwei Jahre vor den russischen Präsidentschaftswahlen kommen da gerade recht.

Beim Ölpreis ist die Zahl der Optimisten noch geringer. Im Dezember hat der Kongress das seit 40 Jahren geltende Exportverbot für US-amerikanisches Rohöl aufgehoben. Brachliegende Pipelines werden hochgefahren, Häfen expandieren. Der Inlandspreis für Rohöl liegt deutlich unter dem Weltmarkt, und die Ölbarone wetteifern um einen Anteil am globalen Kuchen. Gleichzeitig kehrt der Iran nach dem Wegfall der gegen ihn gerichteten Sanktionen als Ölexporteur an den Weltmarkt zurück. Es gibt Stimmen, die erwarten 2016 zumindest vorübergehend ein Preisniveau von 5-15 Dollar je Fass.

Wachstumskorrektur nach unten?

Bislang ging man in Russland für 2016 von einem Wachstum zwischen einem halben und einem Prozent aus – deutlich mehr als das Minus von 3,5-4 Prozent im abgelaufenen Jahr. Vor dem Hintergrund der seit Ende 2015 erneut fallenden Ölpreise spricht jetzt auch die Regierung von einer möglichen Korrektur. Der Minister für Wirtschaftsentwicklung Alexej Uljukaew gesteht ein, dass es dafür gute Gründe gibt: „Vor einiger Zeit war ich ebenso wie viele Experten der Ansicht, dass die Krise ihren Höhepunkt erreicht hätte. Inzwischen – seit November – sehen wir einige weitere Verschlechterungen.“

Derzeit liegen die Wachstumsprognosen der meisten Analysten für 2016 bei rund minus einem Prozent. Je nach Ölpreis-Niveau ist allerdings auch ein Minus wie im Vorjahr drin, also 3-4 Prozent.

In Brasilien herrscht ein durchaus ähnlicher Trend. Die Ratingagentur Fitch sagt dem Land für 2015 ein Minus von 3,7 Prozent voraus – und 2016 von minus 2,5 Prozent. Im Dezember stufte die Agentur brasilianische Staatspapiere von BB+ auf das Ramschniveau BBB- herunter.

China ist keine Lokomotive mehr

Neben einem Haushaltsdefizit von rund zehn Prozent und den Milliardenaufwendungen für die Fußball-WM 2014 und die Olympiade in diesem Jahr leidet Brasilien – wie auch die anderen BRICS-Länder – unter der Zinspolitik der amerikanischen Fed. Das Ende der jahrelang verfolgten Politik des billigen Geldes in den USA sorgt für Kapitalflucht aus den ohnehin derzeit nicht attraktiven Schwellenländern.

In China kann von einer Krise rein technisch keine Rede sein – für 2015 wird immer noch ein Wachstum von knapp unter sieben Prozent erwartet. Dennoch wäre es das niedrigste Wachstum seit 1990, seit über einer Generation. Auch 2016/17 steht keine Besserung an. Der Außenhandel lag in den ersten elf Monaten 2015 um 7,8 Prozent unter dem Vorjahreszeitraum. Die Exporte fielen um 2,2 Prozent, die Importe um 14,4 Prozent. Hinzu kommt – als Worst-Case-Szenario – eine mögliche militärische Auseinandersetzung mit den Nachbarstaaten und möglicherweise auch den USA im Südchinesischen Meer.

Von der Krise verschont bleibt 2016 als einziges unter den BRICS-Ländern Indien. Erwartet wird dort ein Wachstum von über sieben Prozent.

US-Wirtschaftshegemonie zementiert

Die drei Spitzenreiter im neuen Jahr – glaubt man den Prognosen der Volkswirte – sind die USA, der Iran und Argentinien. Den USA wird ein Wachstum von rund 2,5 Prozent vorhergesagt – die Spitzenposition unter den Industrieländern. Ein solches Wachstum würde Gewinn- und Konsumsteigerungen mit sich bringen, denen selbst ein steigender Dollar wenig anhaben dürfte.

Der neue US-Ölexport führt zu umfassenden Investitionen in die Transport- und Hafeninfrastruktur. Sobald die Europäer im neuen Jahr wie erwartet das TTIP-Abkommen unterschreiben (die analogen Verträge mit den asiatischen Pazifikanrainern wurden 2015 unterzeichnet), haben die USA ihre hegemoniale Wirtschaftsposition annähernd weltumspannend auf Jahrzehnte hinaus zementiert.

Den Iran und Argentinien erwartet den Einschätzungen der Experten ein vergleichsweise gutes Jahr. Beide Länder starten mit erheblichem Nachholbedarf aus wirtschaftlicher Isolation heraus. Im Fall des Iran waren es die internationalen, teilweise seit Jahrzehnten geltenden Sanktionen. Im Fall Argentiniens war es die Devisenbewirtschaftung, die das Land vor allem für internationale Investoren uninteressant machte. Präsident Mauricio Macri hat noch Ende 2015, unmittelbar nach seinem Amtsantritt, den Umtauschkurs des argentinischen Real und den Devisenhandel freigegeben. Die Maßnahmen bewirkten zwar einen sofortigen Kursverlust des Real um fast ein Drittel, befeuern jedoch den Export von Agrarprodukten und dürften einen Schub ausländischer Investitionen mit dem entsprechenden Wachstumseffekt nach sich ziehen.

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