Am Dienstag beschloss die SPD-Fraktion im Bundestag einstimmig das Positionspapiermit dem Titel „Dialog – Vertrauen – Sicherheit: Voraussetzungen und Impulse für eine zeitgemäße sozialdemokratische Entspannungspolitik“.
Das Papier wurde „von den Außenpolitikern der SPD-Bundestagsfraktion mit dem Ziel erarbeitet, den belasteten Beziehungen zwischen Russland und dem Westen wieder neue Impulse zu verleihen und nach Möglichkeiten zu suchen, die gegenwärtigen Spannungen zu überwinden“, erklärte Dr. Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, gegenüber Sputnik.
SPD-Europapolitiker: „Es wird höchste Zeit“
Zu dem beschlossenen Dokument erklärte der außenpolitische Sprecher der Fraktion der „Progressiven Allianz der Sozialdemokraten“ im Europäischen Parlament, Knut Fleckenstein (SPD), im Sputnik-Interview: „Ich glaube, das ist eine gute Initiative der SPD-Bundestagsfraktion. Es wird höchste Zeit, dass wir über solche neuen Wege nachdenken. Insofern glaube ich, dass angesichts der Probleme, die Russland mit uns und die wir mit Russland haben, dies dringend notwendig ist.“
Fleckenstein wies auch auf neue Entwicklungen in den internationalen Beziehungen hin. „Wir Europäer sollten selbstbewusst darüber nachdenken, wie wir einen neuen Anlauf nehmen können, auch mit unserem großen Nachbarn Russland wieder besser zurechtzukommen.“ Dazu habe die SPD im Bundestag nun einen ersten Schritt vollzogen.
„Es wird höchste Zeit, dass die SPD-Fraktion der Politik Willy Brandts, Helmut Schmidts oder Gerhard Schröders wieder folgt und sich für eine Verbesserung dieses eingefrosteten deutsch-russischen Verhältnisses einsetzt“, erklärte Knut Kreuch (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Gotha in Thüringen, im Sputnik-Interview. „Wir brauchen die Freundschaft nach Russland. Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Sicherheitskonzept, und das ist ohne Russland nicht machbar. Keine Stabilität in Europa und der Welt ohne Russland.“
Dem stimmte Gerhard Gröner, Ehrenvorsitzender des SPD-Kreisverbands Neustadt-Bad Windsheim in Bayern, zu. „Ich bin der Meinung, man muss da wieder ansetzen, was damals war bei der Ost-Politik unter Willy Brandt“, sagte er gegenüber Sputnik. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es jahrhundertealte Beziehungen zwischen Deutschland und Russland gibt und gab. Ich würde mir wünschen, dass wir da wieder zu einem besseren Bild kommen.“
Startpunkt: Moskau-Reise von Maas im Mai
„Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die von Außenminister Heiko Maas (SPD) unter anderem auf seiner Moskau-Reise im Mai 2018 unterbreiteten Angebote zur Intensivierung des Austauschs zwischen den Regierungen und den Zivilgesellschaften“, heißt es in dem SPD-Positionspapier. Darunter fallen Hochschul- und Wissenschaftskooperationen, die Wiederaufnahme von Treffen im „Normandie-Format“ auf Ebene der Außenminister und die Fortsetzung der Treffen des Nato-Russland-Rats.
Wünschenswert sei auch „ein verstärkter Austausch der Zivilgesellschaften, insbesondere der jungen Menschen“, erklärte SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. „Dazu schlagen wir vor, die Visapflicht für Menschen unter 25 aufzuheben.“ Auch betonte er russische Problemfelder, die im Papier Erwähnung finden. „Das Thema Cyberspionage und Hackerangriffe wird in dem Papier ebenfalls angesprochen. Solche Maßnahmen belasten selbstverständlich die Beziehungen und tragen nicht zur Vertrauensbildung bei.“
„Minsk-Prozess und Normandie-Format reaktivieren“
Auch SPD-Europapolitiker Fleckenstein warnte davor, reine „Appeasement-Politik“ zu betreiben. Vielmehr sollten auch inner-russische Probleme oder Konflikte, die direkte Nachbarstaaten Russlands mit Moskau hätten, direkt angesprochen werden. „Wenn wir anfangen würden, die wirklichen Probleme nicht anzusprechen, keine klare Haltung auf Gegenseitigkeit zu zeigen, dann kann man diese Gespräche ganz lassen.“ Er verwies auf Regierungsforen wie den Minsk-Prozess oder das Normandie-Format, die der richtige Ort für den direkten Dialog seien.
„Nun hat der Minsk-Prozess zunächst gebracht, dass keine schweren Gefechte mehr durchgeführt werden.“ Die Minsker Abkommen sollen einen friedlichen Verlauf der Ukraine-Krise moderieren. „Also muss man doch die Minsk-Gespräche fortsetzen. Aber sie auch flankieren mit anderen Regierungskonsultationen, um deutlich zu machen, welche Möglichkeiten man für Gemeinsamkeiten und für den Aufbau von Vertrauen sieht.“ Das gleiche gelte für das Normandie-Format. „Ich würde ein bisschen mehr Geschwindigkeit gut finden, dass die Herren sich auch zu Einzelfragen so lange treffen, bis sie eine Lösung haben.“
Wie reagiert Berlin?
Zunächst sei es Aufgabe der Bundesregierung in Berlin, sich im Europäischen Rat für eine solche Entspannungspolitik einzusetzen. „Wenn wir uns das europäische Parlament anschauen, dann muss man schon feststellen, dass auch viele deutsche Politiker der CDU ein realistischeres und konstruktiveres Verhältnis zu Russland wünschen.“
Dazu gehöre auch, dass „wir mit der Eurasischen Wirtschaftsunion einen anderen Kontakt pflegen“, forderte Fleckenstein. „Dazu gehört, dass wir gemeinsam darüber nachdenken, wie sich die OSZE weiter entwickeln sollte. Es gab Vorschläge vom damaligen russischen Präsidenten Medwedew zu einer OSZE-Reform, die im Westen nicht ausreichend diskutiert worden sind.“
„Abkehr der SPD von Entspannungspolitik“
„Das achtseitige Papier enthält durchaus ein paar friedensfreundliche Formulierungen“, kommentierte Albrecht Müller (SPD), früherer Bundestagspolitiker und Planungschef im Kanzleramt unter Kanzler Willy Brandt, das Positionspapier am Mittwoch auf den „NachDenkSeiten“. Doch „im Kern muss es als weiterer Beleg für die Abkehr der SPD von ihrer Entspannungs- und Friedenspolitik gewertet werden“. Er kritisierte deutlich, dass das SPD-Papier Fakten und Situationen verschweige, die zeigen, dass Russland durchaus in der jüngeren Vergangenheit versucht hatte, dem Westen entgegenzukommen.
„Kein Wort von der oft ausgestreckten Hand Russlands und den vielen Enttäuschungen“, so der frühere Mitarbeiter Willy Brandts. „Nicht erwähnt die Bundestagsrede Putins von September 2001. Nicht erwähnt die Enttäuschung und die darauf folgende Abwendung. Kein Wort zu den Zusagen an Russland, es bei der Ausdehnung der Nato auf die DDR zu belassen. Kein Wort von den erkennbar imperialen Absichten der USA.“ Grundtenor im Beschluss sei durchgehend, dass „wir im Westen die Guten und die im Osten, in Russland, die Bösen sind“. Das seien einseitige Schuldzuweisungen, die zu nichts führten. Die im Papier zitierten angeblichen „russischen Cyber-Angriffe“ seien „übliche westliche Behauptungen“.
SPD-Politiker aus Bayern: „Basis uneins wie damals“
Bereits vor einigen Wochen hatte der SPD-Kreisverband Burgenlandkreis (Sachsen-Anhalt) einen ähnlichen Beschluss getroffen. Sputnik berichtete. „Die SPD im Bundestag und im Europaparlament wird aufgefordert, sich intensiv für ein besseres Verhältnis zu Russland einzusetzen“, hieß es seitens der Sozialdemokraten in der ostdeutschen Bergbauregion.
Die Rolle der SPD-Basis sei nicht zu unterschätzen, betonten Landes- und Kommunalpolitiker gegenüber Sputnik.
„Ich denke, die SPD-Basis im Osten hat ein sehr enges Verhältnis zur slawischen Tradition und zu den slawischen Völkern“, bewertete Gothas Oberbürgermeister Kreuch. „Die SPD-West ist durch ‚Tagesschau‘ und ‚Heute‘-Sendungen so gestört, weil wir dort nur Schreckensmeldungen zu Russland hören. Jedoch: Präsident Wladimir Putin wird in Russland geliebt. Ich habe das selbst dort mehrfach gespürt, wie die Menschen ihn annehmen.“ So der Sozialdemokrat aus Thüringen, der schon einige Male – sowohl zu DDR-Zeiten als auch nach der Wende – in Russland war.
„In der SPD-Basis herrscht keine hundertprozentige Einigkeit“, verdeutlichte der fränkische SPD-Politiker Gerhard Gröner. „Wie damals: Auch bei Willy Brandt war diese Ost-Politik nicht unumstritten in der Partei.“ Doch Gröner zufolge ist und bleibt Russland ein Partner. „Das Ziel unserer überraschend gut besuchten Veranstaltung‚ Europas Beziehungen zu Russland‘ mit SPD-Bundestagspolitiker Dirk Wiese Ende September war es, einer zunehmenden Entfremdung der Gesellschaften in Westdeutschland und Russland entgegenzuwirken. Es ist festzustellen, dass grade in der heutigen turbulenten Zeit Vorurteile und Misstrauen vorherrschen. Damit kommt man aber nicht weiter. Man muss im Gespräch bleiben.“
Austausch auf menschlicher Ebene wichtig
Oberbürgermeister Kreuch forderte „ein deutsch-russisches Jugend-Begegnungswerks nach dem Vorbild des deutsch-französischen Jugendwerks“. Ohnehin sei der menschliche und kulturelle Austausch zwischen beiden Völkern überaus wichtig. Gotha pflege einige intensive Projekt-Partnerschaften mit russischen Partnern, so mit dem Puschkin-Museum in Moskau. „Wir haben auch gute Wirtschaftskontakte mit Firmen aus Gotha, die in Moskau und Smolensk tätig sind.“ Daher fordert er ein Ende der anti-russischen Wirtschaftssanktionen.
SPD-Europapolitiker Fleckenstein betonte ebenso den zivilgesellschaftlichen Austausch. „Dass Menschen sich treffen, ist wichtiger als manche Regierungskonsultation“, stellte er klar. „Ich komme aus Hamburg. Wir haben eine gelebte Partnerschaft mit St. Petersburg.“ Städtepartnerschaftenkönnen helfen, die Kluft zwischen Russland und Deutschland zu überwinden. „Man muss im Gespräch bleiben, auch über Städtepartnerschaften“, pflichtete ihm der SPD-Ehrenvorsitzende Gerhard Gröner bei.
sputniknews
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