Am Tag nach der bayerischen Landtagswahl ist in München eigentlich alles wie immer. Auf dem Viktualienmarkt stehen die Obsthändler, die Metzger und die Kaffeeröster. Am Marienplatz fotografieren Touristen das Rathaus. Die Sonne scheint, München ist beschaulich. Davon, dass die Wahl gerade das Land durchgeschüttelt hat, ist hier wenig zu spüren.
Geht es nach den Freien Wählern (FW) soll dieser Eindruck auch Bestand haben. Nur die Ruhe, lautet deren Devise. Ihre Party haben sie am Wahlabend im kleinen Kreis begangen, ein paar Dutzend Mitglieder im "Unionsbräu" nahe dem Landtag. Schon der Name der Gaststätte drückt aus, was die Freien Wähler wollen: sich einträchtig bei der CSU unterhaken. Die hat ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1954 eingefahren.
Bemüht unaufgeregt
Am Tag nach der Wahl haben die Freien Wähler wieder in ein Wirtshaus geladen, in den Hofbräukeller, ebenfalls gleich um die Ecke vom Landtag. Die Freien Wähler seien sehr zufrieden, drittstärkste Kraft geworden zu sein, sagt Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Seine Stimme klingt, als würde er über Straßenausbaubeiträge referieren. Von Begeisterung keine Spur.
Anders als die Grünen spricht er auch nicht von einer historischen Situation. Nein, Aiwanger will möglichst geräuschlos in die Regierung gleiten. Zumindest sagt er, die Freien Wähler würden nicht zulassen, dass die CSU mit ihnen auf dem Schlitten gegen die Wand fahre. Man lasse sich nicht erpressen.
Die Freien Wähler haben einige zentrale Forderungen. Sie wollen die dritte Startbahn am Münchener Flughafen verhindern und die Kita-Gebühren abschaffen. Sie wollen das Raumfahrtprogramm "Bavaria One" beenden und keine berittene Polizei, mit deren Pferden Ministerpräsident Markus Söder so gern posiert. Und sie wollen drei Ministerien, drei große Häuser. Oder, schiebt er nach, fünf kleine. Oder vier mittlere. Auf jeden Fall wollen sie herausragend vertreten sein. Aiwanger will endlich ernst genommen werden. Jahrelang hat er sich von der CSU klein geredet, von der Presse nicht beachtet gefühlt. Nun ist er der Mann der Stunde.
Die Strategie
Aiwangers Strategie scheint wirksam: Viele Wähler würden davon profitieren, wenn die Kita-Gebühren abgeschafft würden. Sie hätten mehr Geld auf ihrem Konto, jeden Monat. Auch in fünf Jahren noch würden sich viele daran erinnern, wem sie das zu verdanken haben. Es wäre ein nachhaltiger Erfolg für die FW. Und Aiwanger will seine Leute berühmt machen. Mindestens im Freistaat, am liebsten aber darüber hinaus.
Eine Koalition würde wohl nicht an der kostenlosen Kita scheitern. Fünf Ministerien aber, das ist viel. Dass die CSU sich darauf einlässt, ist fraglich. Doch Aiwanger braucht prominente Posten. Schließlich kennt kaum jemand außerhalb von Süddeutschland die Freien Wähler.
In Bayern zogen die Freien Wähler schon früh auch bekannte Persönlichkeiten an. So trat die frühere CSU-Landrätin und Parteirebellin Gabriele Pauli nach ihrem CSU-Austritt den Freien Wählern bei. Sie wurde Landtagsabgeordnete und Spitzenkandidatin bei der Europawahl. Inzwischen ist sie wieder ausgetreten. Dafür sitzt Fernsehrichter Alexander Hold für die Freien Wähler im neuen Landtag.
Im Video: "Die Watsche ist gerecht"
Aiwanger will weg vom Image einer Ein-Mann-Partei, die nur bei Kommunalwahlen und bayerischen Landtagswahlen Stimmen holen kann. 2013 traten die Freien Wähler zur Bundestagswahl an, holten aber nur ein Prozent der Stimmen. Das soll sich nicht wiederholen.
Die, die zur neuen Politprominenz der Partei aufsteigen wollen, sitzen am Montag neben ihrem Chef. Es sind Florian Streibl und Michael Piazolo. Streibl ist der Sohn von Max Streibl, der von 1988 bis 1993 für die CSU Ministerpräsident in Bayern war. Piazolo ist Professor für Europäische Studien in München. Es ist gut möglich, dass beide im Falle einer Regierungsbildung Minister werden.
spiegel
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