Erdogan gibt Saudis noch eine Chance

  23 Oktober 2018    Gelesen: 641
Erdogan gibt Saudis noch eine Chance

Im Fall des verschwundenen Journalisten Khashoggi bleibt der türkische Präsident Erdogan bahnbrechende Ermittlungsergebnisse schuldig. Er spricht von Beweisen, liefert aber keine. Die Botschaft an die Saudis ist dennoch klar

Bei seiner mit Spannung erwarteten Rede vor dem Parlament, bei der Recep Tayyip Erdogan neue Erkenntnisse zum Fall des mutmaßlich im saudischen Konsulat in Istanbul getöteten Journalisten Jamal Khashoggi präsentieren wollte, verzichtet der türkische Präsident auf allzu drastische Schuldzuweisungen. Er betont das freundschaftliche Verhältnis zum Königshaus in Riad und bringt sein Vertrauen zum Ausdruck, dass Saudi-Arabien an der Aufklärung interessiert sei. Neue Erkenntnisse, die weit über das hinausgehen, worüber bisher schon spekuliert wurde, hat er nicht. Zwar betont er, die Türkei habe "starke Beweise" in der Hand, bleibt jedoch genau diese schuldig. Damit macht er Druck, ohne Saudi-Arabien direkt zu attackieren.

Schon zu Beginn seiner Rede spricht Erdogan von einem "Mordkomplott", widerspricht damit also der saudischen Darstellung einer Tötung im Affekt. Später sagt er, dieser "brutale Mord" sei Tage im Voraus "geplant" worden. Gegen Ende seiner Ansprache betont er, dass es sich "zweifellos" um einen "politischen Mord" handele. Für die Regierung in Ankara ist klar: Der unbequeme Journalist Khashoggi sollte sterben, sein Besuch im Konsulat gab den Anlass dazu. Kein Totschlag, kein Unfall - der Journalist wurde beseitigt, und zwar brutal. So lautet Erdogans Standpunkt.

Medienberichte über ein Einsatzkommando, das vor der Tat in die Türkei eingereist ist und das Land kurz danach wieder verlassen hat, bestätigt er. Auch wenn seine Version von bisherigen Berichten, wonach das komplette Team mit einem Privatjet aus Riad ein- und ausgeflogen wurde, abweicht. Vielmehr kamen laut Erdogan drei Personen einen Tag vor der Tat und zwölf weitere am 2. Oktober - dem Tag, als Khashoggi das Konsulat aufsuchte - nach Istanbul. Darunter waren demnach Generäle, ein Forensiker und mehrere Geheimdienstmitarbeiter. Außerdem sollen drei Mitarbeiter des Konsulats an der Tat beteiligt gewesen sein. Auch hierfür legt er keine Beweise vor.

Dass es im Zusammenhang mit dem Verschwinden des 59-jährigen Journalisten inzwischen zahlreiche Verhaftungen in Saudi-Arabien gegeben hat, ist ebenfalls nicht neu. Jedoch fügt Erdogan hinzu, dass es sich bei den Festgenommenen genau um diejenigen Personen handele, die sich zur Tatzeit in Istanbul aufgehalten hätten.

Bloß keine Bauernopfer

Was Erdogan den Saudis vorwirft, ist nicht unerheblich: die Ermordung eines politischen Gegners im geschützten diplomatischen Raum. Er lässt nicht aus, zu erwähnen, dass sowohl das Konsulat und die Führung in Riad zunächst abgestritten hatten, auch nur irgendetwas über die Tat zu wissen. Er kritisiert Saudi-Arabien. Ein Frontalangriff ist es jedoch nicht. Denn Erdogan betont auch, dass er von der Aufrichtigkeit von König Salman ibn Abd al-Aziz überzeugt sei und keinerlei Zweifel an dessen Freundschaft und Wort habe. Erdogan beschreibt mehrere Gespräche mit dem saudischen König. Es klingt, als hätten der Regent in Riad und der türkischen Präsident den Weg der Erkenntnis gewissermaßen gemeinsam beschritten - nicht jedoch, als habe man unterschiedliche Auffassungen gehabt oder sich der Machthaber gar in Widersprüche verstrickt. Erdogan bringt seine Überzeugung zum Ausdruck, dass nach dem islamischen Recht, das in Saudi-Arabien gilt, dieser politische Mord aufgeklärt werden müsse.

Der türkische Präsident hat sich gut überlegt, was er an diesem Tag sagt und welche Details und Beweise er präsentiert. Denn seine Rede erzeugt Druck in Riad, wenn auch sanften. So bleibt dem Königshaus die Möglichkeit, selbst Ermittlungsergebnisse zu liefern. Die müssen allerdings plausibel sein. "So einen Fall einigen Sicherheits- und Geheimdienstmitgliedern anzulasten, würde weder uns noch die internationale Gemeinschaft zufriedenstellen", warnt Erdogan. Er stellt klare Forderungen: Alle in die Tat verwickelten Personen müssen ausgeliefert und in Istanbul vor Gericht gestellt werden, denn Mord falle nicht unter den Schutz der diplomatischen Immunität. Riad soll nicht auf die Idee kommen, irgendwelche Bauernopfer zu präsentieren. Falls nicht, könnte Erdogan Beweise oder Details nachliefern, die für die saudische Führung wirklich unangenehm werden könnten.

Zwei Namen sind in diesem Zusammenhang außerdem wichtig. Der eine wird in der Rede ausdrücklich genannt, der andere verschwiegen. Mit dem US-Präsidenten habe er alle Details geteilt, sagt Erdogan. Man sei sich einig, dass die Ermittlungen gemäß des internationalen Rechts weitergeführt werden müssten. Die Botschaft an Riad: euer mächtigster Verbündeter ist eingeweiht, wir sind uns einig.

Den Namen des De-Facto-Machthabers in Riad, Kronprinz Mohammad bin Salman allerdings nennt er nicht. Auch das hat Gründe. Bin Salman, der sich gerne als Reformer präsentiert, geht wie kaum ein Herrscher vor ihm gegen unliebsame Berichterstattung vor. Eine weit verbreitete These: die Order, Khashoggi zu beseitigen, kam direkt von ihm. Erdogan verzichtet darauf, ihn zu entlasten oder ihm Vorwürfe zu machen. Denn beides hätte Folgen für die Türkei haben können. Stattdessen adressiert Erdogan den König. Der hat zwar fast nur noch repräsentative Funktionen. Eine Entscheidung obliegt ihm aber ganz sicher: die, ob aus Kronprinz Mohammad bin Salman irgendwann auch einmal ein König wird.

Quelle: n-tv.de


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