Die Kulisse im Celtic-Park verstummte nur für ein paar Sekunden, um sich kurz darauf umso heftiger wieder aufzubäumen. Klassiker wie die Hymne "Here we go again" brandeten nach der 79. Minute so lautstark und gewaltig durch das "Paradise", als hätte Glasgows Stürmer Odsonne Édouard die Grün-Weißen gerade zum zweiten Europapokal der Landesmeister, heute heißt das Champions League, nach 1967 geschossen. Der talentierte U21-Stürmer aus Frankreich hatte zwar lediglich im vierten Europaliga-Gruppenspiel gegen RB Leipzig zum 2:1 (0:1)-Endstand getroffen (79.). Doch die Dramaturgie dieses Spiels brachte die Stimmung bei den "Hoops", wie Celtic wegen der Streifen-Trikots genannt wird, zum Überkochen.
Bereits vor Anpfiff hatte das gesamte Stadion zu einer erstmals aufgeführten Lichtshow in Grün-Weiß die Hymne "You’ll never walk alone" so laut und hingebungsvoll angestimmt, dass wohl jeder im Stadion - inklusive der gut 2200 Leipziger - eine Gänsehaut bekam. Wenn die knapp 60.000 aus voller Kehle mitsingen und fast jeder im Oval seinen Celtic-Schal in die Höhe reckt, erzeugt das eine der gewaltigsten und aufregendsten Kulissen, die man in einem Fußballstadion erleben kann.
"Das war ein sehr emotionaler Abend heute", sagte Trainer Brendan Rodgers stolz. Er wusste, dass nicht nur seine elf Spieler auf dem Platz, sondern ebenso die Fans über sich hinaus gewachsen waren, um Celtic im Rennen um den Einzug in die K.-o.-Phase zu halten. "Die Atmosphäre hier ist sehr einschüchternd, vor allem für ein Team, das noch nie hier war", sagte Rodgers. "Auch die besten Teams der Welt, die schon bei uns waren, haben hier schon sehr gelitten. Die Emotionen haben dem Team sehr geholfen und die Mannschaft konnte sehr von der Unterstützung zehren." Nach der laschen Vorstellung im Hinspiel (2:0 für RB) traten die Schotten daheim so leidenschaftlich und aggressiv auf, dass RB nach guter Startphase schnell beeindruckt war. Vor allem Rechtsaußen James Forrest - ein pfeilschnelles Kraftpaket, das mit unberechenbaren Aktionen an bullig-britische Legenden wie Paul Gascoigne erinnert - toste auf seiner Seite durch die RB-Abwehr wie ein Sturm durchs Getreidefeld.
Keine gute Idee im Celtic-Park
Angetrieben vom gesamten Stadion, abzüglich der tapfer gegen die Übermacht ansingenden Leipziger Auswärtsfans, ließ Forrest Linksverteidiger Marcelo Saracchi stehen und flankte auf den talentierten und ebenso pfeilschnellen Kevin Tierney, der zum frühen 1:0 traf (11.). Leipzigs Trainer Ralf Rangnick hatte sich in Abwesenheit seines ersten Sturms, Timo Werner und Yussuf Poulsen fehlten angeschlagen, dazu entschieden, seine beiden Mittelfeldantreiber Diego Demme und Kevin Kampl zunächst auf der Bank zu lassen. Keine gute Idee im Celtic-Park, wo die Ballsicherheit des Duos in der ersten Hälfte sichtlich fehlte.
Weil Celtic aggressiv deckte, spielte der Bundesliga-Tabellenvierte mehr Fehlpässe als sonst. Kaum erobert, war der Ball schon wieder in den Reihen der Hausherren. "Sie haben früher zugestellt, besser gepresst als im Hinspiel und haben es geschafft, unsere Stürmer eng zu decken", analysierte Kampl. "So bekamen die Stürmer Probleme, in Ballbesitz zu kommen. Wir hätten mehr die Lücken aufreißen müssen durch Tiefgang, um da Unordnung in die Abwehr zu bringen." So drängte Celtic vor den Augen des begeisterten Celtic-Promis Rod Stewart auf das 2:0, während RB kaum Torgefahr erzeugte. Das wurde erst in der letzten halben Stunde anders, als Kampl und Demme in der Partie waren, Leipzig spielerisch dominant wurde und auch den Anschluss durch Jean-Kévin Augustin per Kopfball erzielte (78.). Eigentlich wären nun die Leipziger im Vorteil gewesen, doch die Phase wurde zum Knackpunkt, da eben Edouard nach Vorarbeit von Scott Sinclair und Christie prompt den nächsten Treffer nachlegten. Ein 2:2 wäre dennoch verdient gewesen, da RB Celtic auch danach am eigenen Strafraum einschnürte und Kevin Kampl zwei riesige Chancen zum Ausgleich vergab, einmal mit einem Lattentreffer (87.).
Red Bull Salzburg qualifiziert, nun kommt Leipzig
So saß Rangnick nach der ersten Niederlage nach zehn Spielen ohne Pleite, die letzten sechs allesamt ohne Gegentor, schmallippig und verkniffen im Pressezelt vor dem museumsreifen Stadion und kritisierte: "Am meisten ärgere ich mich über das Gegentor zum 1:2. Dass du nach dem Anstoß, ohne selbst einmal den Ball berührt zu haben, ein solches Tor kassierst, darf so nicht passieren. Das hat uns um den Lohn gebracht." Spieler Marcel Halstenberg, der nach der Partie lustlos in einer Vollkorn-Nudelbox stocherte und durch das leere Stadion zum Bus trabte, ärgerte sich: "Wir waren beim ersten Tor nicht wach und beim zweiten auch nicht. Es ist ärgerlich, wenn man eine solche Reise auf sich nimmt und dann zweimal so schläft."
Während der zweite Sieg für den schottischen Tabellenzweiten Celtic die Lebensversicherung in der Gruppe B war, geriet nun Leipzigs schon sicher geglaubter Einzug ins Sechzehntelfinale mächtig ins Wanken. "Mit einem Unentschieden hätten wir noch einen Sieg gebraucht. Jetzt brauchen wir einen Sieg in Salzburg und danach womöglich nochmal einen Sieg in Trondheim", sagte Rangnick. "Daher ist es so ärgerlich, dass wir den Punkt nicht mitnehmen konnten."
Dass das Rückspiel zwischen beiden Red-Bull-Klubs nun am fünften Spieltag stattfindet - die Ansetzung macht die Uefa inzwischen computergesteuert und nicht mehr gespiegelt wie früher - erweist sich nun als unglücklich. Während Salzburg so gut wie sicher qualifiziert ist, kämpft RB noch um wichtige Punkte. Eine Konstellation, die die Gegner des Red-Bull-Modells auf den Plan ruft. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, dass es womöglich tatsächlich eine Stallorder von Gründer Dietrich Mateschitz geben könnte, was - soweit bekannt - nicht der Fall ist.
Doch weil die beiden Vereine durch den mächtigen Geldgeber und Klub-Schöpfer so eng verbunden sind, müssen sie sich diesem Vorwurf nun ebenso stellen wie der Verband, der in der vergangenen Saison beide Teams nach erheblichen Bedenken für europäische Wettbewerbe lizenzierte. Die beseelten Celtic-Fans setzen sich damit auseinander, wenn es soweit ist. Am Abend in den Celtic-Pubs wie dem "Brazen Head", die wie kleine Klubmuseen eingerichtet sind, war das noch kein Thema, sondern nur der begeisternde Auftritt ihres Teams, der mit dem gewaltigen Support eine mächtige Einheit bildete.
Quelle: n-tv.de
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