Deutsche Unternehmen planen mit Worst-Case-Brexit

  16 November 2018    Gelesen: 1014
Deutsche Unternehmen planen mit Worst-Case-Brexit

Trotz der vorläufigen Einigung auf ein Austrittsabkommen ist die Gefahr groß, dass es zu einem harten Brexit kommt. Die Planungsstäbe der großen Unternehmen rüsten sich für das schlimmste Szenario.

Die ersten Warnungen waren nicht übertrieben: Nur wenige Stunden nach der Verabschiedung des EU-Einigungsvertrags zum Brexit im Kabinett von Premierministerin Theresa May zeigten sich in der Regierung bereits die ersten Auflösungserscheinungen. Aus Protest gegen die aus ihrer Sicht viel zu großen Zugeständnisse traten am Donnerstag Minister und Staatssekretäre der Regierung zurück. Zuerst Brexit-Minister Dominic Raab, dann Arbeitsministerin Esther McVey, Nordirland-Staatssekretär Shailesh Vara und Brexit-Staatssekretärin Suella Braverman. Im Parlament bläst der Gegenwind noch schärfer. Die Abgeordneten des nordirischen Koalitionspartners DUP kündigten bereits an, dem Vertrag ihre Zustimmung zu verweigern.

Um es mit britischer Zurückhaltung zu formulieren: Es wäre verfrüht, Zukunftspläne zu schmieden, die von einem geordneten Brexit ausgehen.

Die Skepsis ist auch in den Verbänden der deutschen Unternehmen weit verbreitet. So rät der Deutsche Industrie- und Handelskammertag seinen Mitgliedsunternehmen weiterhin, sich auf einen harten Brexit vorzubereiten. "Für Erleichterung ist es zu früh", erklärte auch Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI, am Donnerstag. Die Ratifizierung des "auf den ersten Blick vernünftigen" Verhandlungsergebnisses zwischen Brüssel und London im britischen Parlament sei noch "sehr unsicher".

Nach Einschätzung von Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, haben viele Unternehmen ohnehin bereits begonnen, sich auf einen harten Brexit einzustellen: indem sie Produktionsstätten verlagern oder den zu Lieferanten wechseln, die ihren Sitz innerhalb der EU haben. Vor allem die Automobilbranche sei von einen solchen Szenario stark belastet, "weil sie in erheblichem Maße Zulieferteile, Vorleistungsgüter aus Großbritannien bezieht und damit allein geschätzt zwei Milliarden an Zollkosten zu tragen hätte", sagte Hüther im Deutschlandfunk.

Zusätzliche Kosten

Wie eine an diesem Freitag veröffentlichte Studie seines Instituts zeigt, glaubt jedes zweite befragte Unternehmen, dass in absehbarer Zeit "Grenzkontrollen, Zölle und regulatorische Hemmnisse" den Handelsalltag mit der Insel bestimmen werden. Von den Firmen, die intensiv Handel mit Großbritannien treiben, gehen sogar zwei Drittel von neuen Grenzkontrollen aus, nur eins von sechs sieht das anders. Die Umfrage wurde im September und Oktober erhoben, also vor den aktuellen Ereignissen.

55 Prozent der auf dem britischen Markt engagierten Unternehmen befürchten demnach auch, dass über kurz oder lang Zölle ihre Waren verteuern werden - ganz abgesehen von den Zusatzkosten, die entstehen, weil unterschiedliche gesetzliche Anforderungen an die Produkte gestellt werden. Nur fünf Prozent äußerten hingegen die Zuversicht, dass die EU und Großbritannien sich schon zusammenraufen würden und alles so weitergeht wie bisher.

Die Verteuerung des Warenaustauschs wird nicht spurlos an den Firmen vorübergehen, davon zeigte sich eine große Mehrheit der Umfrageteilnehmer überzeugt. Von den Unternehmen, die nach Großbritannien exportieren, erwarten gar drei Viertel, dass ihre Geschäfte im Fall eines harten Brexits negativ betroffen sein werden. 17 Prozent fürchten sogar stark negative Auswirkungen. Rund 23 Prozent der Firmen sehen allerdings keine Auswirklungen.

Was die Folgen eines harten Brexits für Beschäftigung und Produktion in Deutschland betrifft, sieht das Bild anders aus. Eine große Mehrheit selbst der nach Großbritannien exportierenden Betriebe (62 Prozent) erwarten, dass ihre Beschäftigung und Produktion nicht betroffen sein würden. Rund ein Drittel fürchtet geringe Wirkungen, starke Effekte nur knapp 3 Prozent.

Die Skepsis dürfte nach Überzeugung von Jürgen Matthes, einem der Initiatoren der Umfrage, auch nach dem aktuellen Durchbruch kaum geringer geworden sein. "Die in dem Brexit-Entwurf vereinbarte Übergangsregelung soll den Beteiligten Zeit verschaffen, um die Details des zukünftigen Wirtschafts- und Handelsabkommens zu auszuarbeiten", erklärt der Ökonom. Zwar strebten beide Seiten ein ehrgeiziges Freihandelsabkommen ohne Zölle im gegenseitigen Handel an. "Allerdings sind die Vorstellungen über die dabei machbare Handelsintegration noch recht konträr."

spiegel


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