“Mein Kampf“-Vorstellung in München

  09 Januar 2016    Gelesen: 912
“Mein Kampf“-Vorstellung in München
70 Jahre nach Kriegsende erscheint eine kommentierte Neuauflage von Hitlers "Mein Kampf". Bei der Vorstellung in München meldet sich ein Mann zu Wort, dessen Onkel einst die Druckplatten des Buches zerstörte.
Pressekonferenz im Institut für Zeitgeschichte in München, zahlreiche Journalisten sitzen im Keller im Lesesaal und hören drei Historikern zu, die über die Neuausgabe von Hitlers "Mein Kampf" sprechen. Als Fragen gestellt werden dürfen, meldet sich ein Mann mit Kippa zu Wort, und auf einmal ist die Geschichte ganz nah.

Sein Onkel sei 1945 als GI nach München gekommen und habe in einer Villa die Druckplatten des Buches entdeckt, erzählt der Mann mit amerikanischem Akzent. Der Fund habe seinen Onkel und dessen Kameraden so wütend gemacht, dass sie die Druckplatten zerstört hätten.

Die Anekdote beschreibt das Dilemma der Historiker, die "Mein Kampf" herausgegeben haben: Darf man dieses Buch veröffentlichten? Der britische Literaturwissenschaftler Jeremy Adler hat dies in einem Aufsatz in der "Süddeutschen Zeitung" vehement verneint: "Das absolut Böse lässt sich nicht edieren." Ähnlich äußerte sich Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München. "Das Buch ist eine Büchse der Pandora, die für immer im Giftschrank der Geschichte verschlossen sein sollte."

"Ein Kerl muss eine Meinung haben"

Die Historiker vom Institut für Zeitgeschichte sehen das anders. Ihre Edition versucht, Hitlers Propagandaschrift zu erklären und damit zu entschärfen. Schlägt man die Ausgabe auf, sieht man den Original-Textkorpus der Erstausgaben von 1925 und 1927 (das Buch erschien in zwei Bänden), das umgeben ist, "wir sagen manchmal auch: umzingelt, von unseren Anmerkungen", wie der Leiter der Projektgruppe, Christian Hartmann, sagt. Entstanden sei so eine Ausgabe, "die Text und Autor gleichsam in die Schranken weist".

"Wir nennen das Konzept Edition mit Standpunkt", sagt Hartmann. Hitlers Schrift bedürfe der Wertung, der Richtigstellung und der Gegenrede. Er halte es da mit dem Schriftsteller Alfred Döblin: "Ein Kerl muss eine Meinung haben".

So ist ein Buch entstanden, das sperrig und schwer ist, dessen Fußnoten aber - so ergibt eine erste Probe - überraschend lesbar sind. Ausgerechnet "Mein Kampf", dieses hasserfüllte Pamphlet, diese Gebrauchsanweisung für die Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie, ist zu einem Kompendium für die NS-Geschichte geworden.

"To Charly, with love from Adolf"

Als Gast ist der Historiker Ian Kershaw ins Institut gekommen. Seine Hitler-Biographie gilt als Standardwerk. Er lobt die neue Ausgabe von "Mein Kampf" in den höchsten Tönen: "Man kann sich über die Fachkenntnis, die hinter den Tausenden von Anmerkungen steckt, nur wundern." Von einem Verbot des Buches hält er nichts. "Eine Zensur ist in einer freien Gesellschaft auf die Dauer fast immer zwecklos", sagt er, sie wecke nur eine "Faszination des Unzugänglichen". Tatsächlich hat jedermann Zugriff auf das Buch, man kann es im Internet lesen oder im Antiquariat kaufen. Kershaw sagt, er habe selbst zwei Ausgaben im Regal stehen. In einer gebe es sogar eine Widmung: "To Charly, with love from Adolf" stehe da, wahrscheinlich von einem britischen Soldaten geschrieben, der das Buch nach Kriegsende in Deutschland "geklaut und nach Hause gebracht" habe.

Kershaw glaubt nicht, dass die kommentierte Ausgabe Missbrauch provozieren wird, weder in der arabischen Welt, wo "Mein Kampf" noch immer Verbreitung findet, noch in Deutschland. Die "unbremsbare Flüchtlingswelle aus dem Mittleren Osten" habe zwar neue Formen von Fremdenfeindlichkeit hervorgebracht. Aber diese Ablehnung von Flüchtlingen habe "recht wenig" mit den Gedanken aus "Mein Kampf" zu tun; diese Ablehnung werde durch die kritische Edition "weder geschürt noch gemindert".

15.000 Vorbestellungen

Die Wissenschaftler hatten mit starker Resonanz gerechnet, sich aber doch verkalkuliert: 15.000 Exemplare wurden vorbestellt, die erste Auflage lag aber nur bei 4000 Büchern. Anfragen für Übersetzungen gibt es aus vielen Ländern, unter anderem Frankreich, Italien, Großbritannien und Polen, aber auch aus Südkorea, China und der Türkei. Möglich wurde die Edition nur, weil "Mein Kampf" mittlerweile gemeinfrei ist: Nach dem Krieg übertrugen die amerikanischen Besatzer die Urheberrechte an den Freistaat Bayern, der keine Neuausgaben genehmigte. 70 Jahre nach dem Tod eines Autors erlischt das Urheberrecht jedoch. Dennoch soll es künftig keine wilden "Mein Kampf"-Drucke geben: Die Justizminister der Länder verständigten sich darauf, dass sie ein solches Projekt als Volksverhetzung verstehen und entsprechend dagegen vorgehen würden.

Der Mann mit der Kippa wird nach der Pressekonferenz von Journalisten umringt - kein Wunder, er hat ja eine gute Geschichte zu erzählen. Sein Name ist Immanuel Aronson Rund, er sei Publizist und Filmemacher und lebe in München, New York und Jerusalem. Sein Onkel Max war ein Deutscher, der in den dreißiger Jahren aus Nazi-Deutschland emigrieren konnte. Nach dem Krieg sei er als Teil einer "psychological warfare unit" der US-Armee zurückgekehrt. Die Druckplatten zu "Mein Kampf" hatte er in der Villa von Hitlers Verleger gefunden, die die Amerikaner konfisziert hätten. Später habe Onkel Max es bereut, dass sie die Platten zerstört hätten. Man hätte sie lieber einem Museum geben sollen.

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