Die Minuten vor Spielbeginn waren für die Fußballromantiker reserviert. Auf der Südtribüne des Dortmunder Stadions wurde Kevin Großkreutz begrüßt, die Fans fühlten sich an die Zeiten erinnert, als sich der aufstrebende Jungprofi von seinem Verein im münsterländischen Ahlen wegstahl, um seinen Lieblingen in schwarz-gelb heimlich die Ehre zu erweisen. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Großkreutz stieg aus der Gelben Wand auf den Rasen herab, feierte wunderbare Erfolge mit dem BVB und darf sich seit 2014 sogar Weltmeister nennen. Mittlerweile kickt der Dortmunder in Krefeld in der dritten Liga und lässt es sich nicht nehmen, seine freien Abende in seinem Wohnzimmer zu verbringen.
Der Applaus für Großkreutz war warm, er war der Stimmungshöhepunkt einer Veranstaltung, die keinen gesteigerten Erinnerungswert besitzt. Viel wird nicht bleiben von der faden Nullnummer zwischen Borussia Dortmund und dem FC Brügge. Als um kurz vor elf der Schlusspfiff im Dortmunder Stadion ertönt war, trafen sich die Spieler des BVB am Mittelkreis, um sich gegenseitig abzuklatschen. In ihren Gesichtern war auch für geübte Beobachter nicht abzulesen, was das torlose Remis gegen Brügge in ihnen auslöste: Eher Erleichterung, dass das Remis gereicht hatte, um die K.-o.-Phase der Champions League bereits einen Spieltag vor dem letzten Gruppenspiel zu erreichen? Oder doch eher Enttäuschung, dass an diesem Abend so gar nichts von dem Sturm und Drang zu sehen war, mit dem diese Mannschaft in dieser Saison sonst für so viel Begeisterung sorgt?
"Wir sind im Achtelfinale"
Es wird wohl eine Melange aus beidem gewesen sein. Zumindest legten das die Worte von Sportdirektor Michael Zorc nahe, der die ereignisarmen 90 Minuten so zusammenfasste: "Primär zählt für uns erst einmal die Qualifikation für das Achtelfinale. Aber generell haben wir es heute nicht gut gemacht. Es fehlte das Balltempo." Das war fein beobachtet vom Dortmunder Urgestein, der als Spieler und Funktionär seit fast 40 Jahren bei seinem Verein beschäftigt ist. Trainer Lucien Favre stufte die Dinge ähnlich ein: "Wir sind im Achtelfinale. Das war das Ziel. Brügge hat sehr tief gestanden. Es hat gefehlt, das Spiel mit Pässen oder Dribblings schnell zu machen und sie zu destabilisieren."
Was für das Dortmunder Kollektiv im Allgemeinen zutraf, war vor allem bei Christian Pulisic offenkundig. Der hochgelobte Amerikaner befindet sich seit Wochen im Formtief. Ob es sich dabei um eine Delle handelt, wie sie bei jungen Spielern immer wieder vorkommen kann, oder ob dem Teenager die angeblich im Wochentakt eintrudelnden Höchstgebote von europäischen Spitzenklubs den Kopf verdreht haben, bleibt unergründlich. Als Favre gefragt wurde, wie er das Ausnahmetalent wieder in die Spur zu bringen gedenke, antwortete der Schweizer ausweichend: "Es gibt klare Konkurrenz auf seiner Seite. Wir haben sehr gute Flügelspieler." Allerdings muss bei einer kritischen Würdigung der Dortmunder Vorstellung auch die Frage erlaubt sein, warum der Gegner so destruktiv agierte. Offenbar hatte den belgischen Meister niemand informiert, dass nur ein Sieg in Dortmund die Chance auf ein Überwintern in der Königsklasse am Leben gehalten hätte.
Schweizer Pragmatismus
Dass Brügge 90 Minuten lang Beton anmischte und selbst in der Schlussphase noch auf Zeit spielte, sorgte für kollektives Kopfschütteln. Die Dortmunder konnten mit so wenig Gegenwehr gut leben, das aktiennotierte Fußball-Unternehmen darf weitere Einnahmen im zweistelligen Millionenbereich einplanen. Zehn Punkte nach fünf Gruppenspielen auf der Habenseite, "das ist schon was", wie Favre betonte. Um das Erreichte richtig einzuordnen, hilft ein Blick ein Jahr zurück. Damals blamierte sich der BVB in der Champions League nach allen Regeln der Kunst, nach der Vorrunde standen zwei Pünktchen aus den Spielen gegen den Fußballzwerg aus Nikosia auf der Habenseite. Dass ein glanzloses Remis gegen den FC Brügge mittlerweile mit einem leichten Murren zur Kenntnis genommen wird, spricht für das gewachsene Anspruchsdenken im Revier. Favre darf das für sich durchaus auf der Habenseite verbuchen.
Die Borussia dominierte mit Ballbesitzquoten wie der FC Barcelona in seiner Blütezeit, als Xavi, Andrés Iniesta und Lionel Messi den Ball nach Belieben zirkulieren ließen. Allerdings wirkten die Dortmunder teilweise ratlos gegen einen Kontrahenten, der den Ball an der Mittellinie meistens freiwillig herschenkte, um sich wieder kollektiv am eigenen Strafraum zu treffen und sich zu verbarrikadieren. Am Ende zählten die Statistiker bei Dortmunds Abwehrchef Manuel Akanji 176 Ballaktionen und damit so viele wie nie zuvor bei einem Spieler einer deutschen Mannschaft in der Champions League. Es war ein Bestwert, der zeigt, wie trügerisch solche Zahlen sein können.
Denn was nutzen all die Ballstafetten, wenn sie mit so wenig Wucht und Überzeugung vorgetragen werden, dass sie kaum Torgefahr heraufbeschwören? Der Umstand, dass der BVB wenig von dem jugendlichen Draufgängertum präsentierte, der ihm in den letzten Monaten so viel Lob eingebracht hat, wurde nonchalant als momentane Unpässlichkeit angerechnet. Akanji ordnete die Vorstellung mit Blick auf die Bundesliga mit Schweizer Pragmatismus ein: "Das war nicht unser bestes Spiel, aber lieber heute als am Wochenende."
Quelle: n-tv.de
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