Wie ein türkischer Einmarsch in Kurdengebiete aussehen könnte

  19 Dezember 2018    Gelesen: 1194
Wie ein türkischer Einmarsch in Kurdengebiete aussehen könnte

Ankara macht sich bereit für eine Offensive gegen syrische Kurdengebiete östlich des Euphrats. Ein türkisches Spezialkommando soll bereits in mehreren Blitzaktionen Stellungen der kurdischen PKK angegriffen haben. Das Portal „vpk-news“ hat die Chancen und Bedingungen des möglichen türkischen Einsatzes analysiert.

Die Offensive gegen das Kurdengebiet Rojava im Norden Syriens, die der türkische Präsident Erdogan letzte Woche angekündigt hat, dient offiziell dazu, die Türkei vor terroristischen Kräften zu schützen.

Rojava, der selbsternannte kurdische Staat, wird von den PYD-Kräften kontrolliert. Die türkische Offensive ist offiziell nicht gegen den Quasi-Staat gerichtet, sondern nur gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK, die die türkische Führung als terroristisch einstuft.

Welche Kräfte Ankara gegen die PKK in Rojava losschicken will, darüber ist derweil wenig bekannt. Das türkische Verteidigungsministerium hat alles unternommen, um Informationen über Truppenbewegungen geheimzuhalten: keine Aufnahmen, keine Kommentare.

Im Netz tauchen jedoch Meldungen auf, wonach an der Grenze türkische Spezialkommandos stationiert würden. Es handelt sich sozusagen um Fallschirmjäger. Kleinere Blitzaktionen, Hinterhalte, Sturmangriffe sind deren Einsatzspektrum.

Es wird auch berichtet, die Türkei habe die Offensive bereits gestartet: Die Kommandos hätten einige Angriffe bereits vorgenommen, auch die türkische Luftwaffe sei im Einsatz. Das Verteidigungsministerium erklärte, 40 PKK-Kämpfer seien getötet, mehrere Infrastruktureinrichtungen zerstört worden.

Was auf die türkischen Truppen und ihre syrischen Verbündeten zukommt, ist laut dem Portal im Grunde die Wiederholung einer bereits erfolgten Großoffensive. Bei der Operation „Olivenzweig“ war es Ankara in diesem Jahr gelungen, kurdische Einheiten in Afrin, einer Kurdenenklave westlich des Euphrats, zu zerschlagen.

Damals kam die protürkische Freie Syrische Armee trotz des erbitterten Widerstands auf kurdischer Seite rasch vorwärts, unterstützt von Panzertruppen und Luftwaffe. In Rojava sieht die Lage jedoch weniger erfolgsversprechend aus, wie das Portal schreibt.

Die bewaffneten Verbände der PYD sind nämlich kampferprobt. Sie waren die Hauptkräfte beim Sturm der US-geführten Koalition gegen die IS-Bastion Rakka. Mehrere Jahre lang hatten nicht nur Berater aus den USA, sondern auch Spezialisten aus Frankreich und England die Kämpfer ausgebildet.

Zudem sind die Kurden mit den allerneuesten Waffen ausgerüstet. Es mangelt nicht an Panzerabwehrwaffen aus amerikanischer und europäischer Fertigung: Bei der Ausbildung der Kurden setzten westliche Berater vor allem auf den Kampf gegen hochmobile gepanzerte Fahrzeuge – also vorrangig gegen die syrischen Regierungstruppen und die türkische Armee.

Welche genaue Taktik die türkische Militärführung bei der Offensive in Rojava verfolgen wird, ist bisher ebenfalls unklar. Berichtet wird laut dem Portal, die Freie Syrische Armee stelle 2.000 Mann bereit, die türkische Armee schicke zusätzlich schwere Waffen und Militärberater in den Kampf.

Ein mögliches Einsatzszenario könnte so aussehen, dass grenznahe Landstriche erobert, eine Sicherheitszone eingerichtet und die Nachschubwege der RKK abgeriegelt werden. In diesem Fall müssten die türkischen Truppen und ihre Verbündeten zuvorderst gegen die Stadt Kobane östlich des Euphrats zuschlagen – dann würde die Ortschaft Tall Abyad folgen.

Damit rechnet offensichtlich auch die kurdische Militärführung: Die beiden Ortschaften werden gegenwärtig massiv verstärkt. Was die türkische Offensive zusätzlich erschwert, ist die örtliche Landschaft: bergig, zerklüftet, mitunter stark bewaldet. Auch ist die Region relativ dicht besiedelt, weshalb die RKK gerade diese Gegend für heimlichen Waffen- und Warennachschub nutzt.

Offenbar ist das schwierige Gelände auch der Grund dafür, dass die Türkei bei der anstehenden Offensive weniger auf schwere Panzertechnik als auf die hochmobilen Kommandos setzt. Sie sollen die leichtere Infanterie der Freien Syrischen Armee durch Sturmaktionen unterstützen.

Ganz bestimmt werden die türkischen Truppen auch den Vorteil nutzen, den die grenznahe Lage von Rojava ihnen bietet: Die Städte Kobane und Tall Abyad liegen in Reichweite der türkischen Artillerie, die jenseits der türkisch-syrischen Grenze stationiert ist.

Das größte Problem für die türkische Führung ist aber die Frage: Wie soll es weitergehen, nachdem eine Sicherheitszone eingerichtet worden ist?

Im Gegensatz zur Großoffensive in Afrin werden die kurdischen Einheiten nicht zerschlagen werden können – sie werden sich einfach in das Innere ihrer Region zurückzuziehen.  Das heißt, die Sicherheitszone wird dann permanent durch Übergriffe und Attacken kurdischer Kräfte destabilisiert.

Laut dem Portal erinnert der offenbar geplante türkische Einsatz übrigens an eine Taktik sowjetischer Grenzschützer im Afghanistankrieg.

Die Grenzschutztruppen der Sowjetunion besetzten zu Zeiten des Afghanistankriegs mehrere Landstriche auf der anderen Seite der sowjetisch-afghanischen Grenze. So sollte laut dem Portal die UdSSR vor dem Eindringen von Dschihadisten geschützt werden.

Ob die Türken in den Kurdengebieten möglicherweise das gleiche Schicksal ereilt wie die Sowjets in Afghanistan, wird sich zeigen.

sputniknews


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