Christian Prokop war der Mann der Zukunft beim Deutschen Handball-Bund. Im Juli 2017 übernahm er mit 38 Jahren den Job als Bundestrainer, ausgestattet mit einem Fünf-Jahres-Vertrag. Er sollte die Nationalmannschaft noch erfolgreicher, noch besser machen. Doch vor einem Jahr schien das Experiment bereits gescheitert. Die Europameisterschaft in Kroatien wurde zum persönlichen Desaster für Prokop. Nach langen Diskussionen entschied sich der Verband, an dem Hoffnungsträger festzuhalten. Bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land nun, die am heutigen Donnerstag in Berlin (ab 18.15 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) mit dem Spiel gegen Korea beginnt, wird sich zeigen, ob das die richtige Entscheidung war.
Es ist ein wenig wie in einer Ehe nach einem Seitensprung, wenn beide beschließen, es doch noch einmal miteinander zu versuchen. Der Wille ist da, aber das Vertrauen muss erst wieder wachsen. Die Partner beobachten sich, registrieren jede Verhaltensänderung. Ob der Frieden hält, zeigt sich erst, wenn die Treue wieder auf die Probe gestellt wird. Bei Prokop und der deutschen Mannschaft geht es nicht um Versuchungen, sondern um Stress. Erst während des Turniers wird sich zeigen, ob die Spieler den Vorgaben ihres Trainers vertrauen. Und ob der Trainer seinen Spielern zutraut, schwierige Aufgaben erfolgreich zu lösen.
"Das wissen wir, das weiß auch ich", sagte Prokop einige Wochen vor dem Eröffnungsspiel, als er entspannt in einem Sessel saß und einen Kaffee trank. Der in Köthen nahe Leipzig aufgewachsene Handball-Lehrer hat viel dafür getan, dass die Annäherung nachhaltig ist. Die letzte Sicherheit aber fehlt. Was passiert auf der Trainerbank und was passiert in den Köpfen der Nationalspieler, wenn sie nach 20 Minuten mit vier Toren zurückliegen? Erst unter Druck wird sich erweisen, ob dieses Team und der Bundestrainer eine gemeinsame Zukunft haben. Am Tag vor dem Auftakt sagte Prokop in Berlin: "Wir brauchen die Mannschaft nur noch loszulassen." Die Mischung aus "Anspannung, Nervosität und Vorfreude" hat auch den Trainer erfasst. "Ich bin optimistisch, da ich eine tolle Mannschaft habe, die das schafft."
"Keine populistische Entscheidung"
Vor einem Jahr bei der EM in Kroatien rissen die Gräben erst auf, als es auf dem Spielfeld nicht wie erwartet lief. Die Fehler, die der Novize beging, bekamen erst eine Wucht, als ein erfolgreiches Turnier immer unwahrscheinlicher wurde. Prokop hatte nicht als Fachmann versagt. Aber: "Ich habe mich zu sehr damit beschäftigt, was gesagt oder geschrieben wurde", räumte er ein. Zudem missachtete Prokop die Relevanz einer Hierarchie im Team. Er glaubte, die Mannschaft könne seine Art des Handballs flugs umsetzen, weil es sich ja um die besten Akteure des Landes handelte. Der Bundestrainer machte gravierende Fehler und erschütterte intern und extern Deutschlands wichtigste Handballmannschaft.
Es gab genügend Argumente dafür, sich zu trennen. Doch die Verantwortlichen gaben Prokop eine zweite Chance. "Wir mussten keine populistische Entscheidung treffen, sondern eine, die wir für richtig halten", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning. Inzwischen deutet sich an, dass sich das Risiko auszahlen könnte. Das Verhältnis zwischen Spielern und Trainer hat sich verbessert. Das bestätigen die Akteure in vertraulichen Gesprächen. Und Prokop gelingt es, seinen Optimismus glaubhaft zu vermitteln.
Das EM-Desaster in Kroatien hatte er zunächst sehr selbstkritisch analysiert. Dann hatte er alle Spieler persönlich von seiner Einsicht überzeugte, Fehler gemacht zu haben. Und er versprach, sie zu korrigieren. Dass er diese Fehler später auch öffentlich einräumte, sorgte für neues Vertrauen. In den Testspielen gegen Tschechien (32:24) und Argentinien (28:13) wirkte das Zusammenwirken harmonischer als noch vor einigen Monaten. Prokop macht in diesen Tagen einen aufgeräumten, einen entspannten Eindruck. Die Vorfreude auf die WM überstrahlte die Furcht vor dem Scheitern. Sein zweites Turnier soll erfolgreich werden. Es muss. Eine dritte Chance wird Prokop nicht bekommen. "Das ist mir bewusst."
Quelle: n-tv.de
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