Auf Konfrontation standen die Zeichen vor knapp zwei Wochen im Verteidigungsausschuss. Alle Parteien hatten angekündigt, die Berateraffäre im Verteidigungsministerium aufklären zu wollen. Auch Ministerin Ursula von der Leyen forderte "Transparenz". Davon war plötzlich nichts mehr zu spüren und die Regierungsparteien verhinderten mit Hilfe der AfD die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. FDP, Grüne und Linke waren empört und kündigten an, das Gremium notfalls sogar beim Bundesverfassungsgericht einzuklagen. Jetzt kommt der Untersuchungsausschuss doch zustande.
Worum ging es bei der Berateraffäre noch gleich?
Von der Leyens großes Projekt als Verteidigungsministerin ist es, die Bundeswehr zur reformieren. Kaputte Ausrüstung, Wehrmachts-Devotionalien in den Kasernen, fehlende Gleichberechtigung - all das soll es nach ihrer Reform nicht mehr geben. Die Bundeswehr soll gleichzeitig schlagkräftige Profi-Armee und moderner Arbeitgeber sein. Um dieses ehrgeizige Vorhaben umzusetzen, hatte sich die Ministerin Know-How von externen Beratungsfirmen geholt. 2015 und 2016 wurden dafür mindestens 200 Millionen Euro gezahlt. Viel zu viel, monierte der Bundesrechnungshof. Außerdem wird dem Ministerium vorgeworfen, dass Aufträge nach einem Vetternsystem vergeben wurden und externe Berater Zugang zu Geheiminformationen gehabt haben könnten.
Wie konnte es so weit kommen?
Als von der Leyen 2013 das Ministeramt übernahm, wollte sie als erstes den Bereich der Beschaffung von Ausrüstung neu aufbauen. Dort war es immer wieder zu teils gravierenden Problemen gekommen. Dafür holte sie sich Katrin Suder ins Haus, eine ehemalige Top-Managerin des Beratungsunternehmnes McKinsey. Sie wurde Rüstungsstaatssekretärin. Wie Recherchen des "Spiegel" zeigen, holte sie wiederum ihren ehemaligen McKinsey-Kollegen Gundbert Scherf. Danach kamen immer mehr Berater von außen, auch von der Beratungsfirma Accenture, die laut "Spiegel" mit der Bundeswehr 2014 einen Umsatz von knapp einer halben Million Euro machte - 2018 waren es demnach bereits 20 Millionen.
Eine Schlüsselfigur bei der Beschaffung immer neuer Aufträge für Accenture soll der Berater Timo Noetzel gewesen sein, der zuvor beim Verfassungsschutz und der Münchner Sicherheitskonferenz arbeitete. Noetzel soll beste persönliche Kontakte zur Armee haben. Der Bundeswehrgeneral Erhard Bühler wurde demnach Patenonkel seiner Kinder. Im Intranet von Accenture brüstete sich Noetzel laut "Spiegel" wiederholt mit seinen guten Beziehungen zur Bundeswehr und vertraulichen Informationen.
Warum wurde der Untersuchungsausschuss vor zwei Wochen blockiert?
Den Regierungsparteien war der Einsetzungsantrag nicht konkret genug formuliert. Aus SPD-Kreisen hieß es damals, es sei nicht zielführend, wenn alle mehr als 10.000 Verträge mit externen Beratern kontrolliert würden. Wenn der Untersuchungsauftrag derart lose formuliert sei, war aus Kreisen der Union zu hören, könne das am Ende dazu führen, dass allen voran die FDP die Anschaffung "jeder Rolle Klopapier" überprüfe werde. FDP, Grüne und Linke wollten den Auftrag jedoch bewusst relativ offen halten, um auch Erkenntnissen nachgehen zu können, die erst während der Untersuchung entstehen könnten.
Warum hat es heute geklappt?
Nach der Ablehnung vor zwei Wochen ging der Antrag zunächst wieder in den Geschäftsordnungsausschuss, eine Art Schiedsrichter-Institution im Parlamentsbetrieb. Details, warum die Regierungsparteien den Untersuchungsausschuss mit ihrer Enthaltung zuließen, sind noch nicht bekannt. Aber es spricht viel dafür, dass die Antragssteller die Formulierungen nachgebessert und den Untersuchungsgegenstand klarer beschrieben haben.
Was soll der Untersuchungsausschuss herausfinden?
Im Zentrum der Untersuchung soll stehen, warum nicht internes Know-How der Bundeswehr genutzt wurde, sondern Aufträge in derartiger Größenordnung immer wieder bei privaten Beraterfirmen landeten - insbesondere bei Accenture. Zudem soll die Frage beantwortet werden, ob die Erklärung für das Vergabeverfahren in einem System der Vetternwirtschaft zu finden ist. Auch soll geklärt werden, ob von der Leyen angemessen auf die Probleme reagiert hat, als sie davon erfuhr und welcher finanzielle Schaden tatsächlich entstanden ist.
Wann beginnt der Ausschuss mit seiner Arbeit?
Eigentlich muss ein Viertel der Bundestagsabgeordneten für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stimmen, der dann "unverzüglich", so heißt es in der Geschäftsordnung, eingesetzt werden soll. Handelt es sich um ein verteidigungspolitisches Thema, geht es noch schneller. Der Verteidigungsausschuss, in dem jetzt die Einsetzung des beschlossen wurde, wird dann zum U-Ausschuss umgewandelt. Theoretisch könnte die Untersuchung bereits heute Nachmittag beginnen.
Was bedeutet all das für von der Leyen?
Nichts Gutes. In der Truppe hat von der Leyen ohnehin kein gutes Ansehen. Nach Beginn der Terrorermittlungen gegen den Soldaten Franco A. warf sie der Truppe ein "Haltungsproblem" und "Führungsschwäche" vor. Sie ließ alle Kasernen nach Wehrmachts-Devotionalien durchsuchen, gefunden wurde fast nichts. Viele Soldaten fühlten sich unter Generalverdacht gestellt und empfanden die Vorgänge als nie dagewesener Loyalitätsbruch ihrer politischen Vorgesetzten. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat kritisierte, das Verhalten der Ministerin habe dazu geführt, dass die "politische Leitung, die militärische Führung völlig zu Bruch gegangen sei" und die Moral beschädigt sei "wie nie zuvor". Auch das Anheuern externer Berater könnte als Eingeständnis gewertet werden, dass von der Leyen das in der Bundeswehr verfügbare Know-How als nicht ausreichend empfand. Sollte sich nun herausstellen, dass es ausgerechnet bei der Vergabe dieser Aufträge ein Buddy-System gab, dürfte sich der Ruf der Verteidigungsministerin in der Truppe weiter verschlechtern.
Auch politisch könnte der Druck steigen. Von der Leyen hat sich in ihrer Amtszeit um ein Renomee als Reformerin bemüht, als eine, die Skandale aufdeckt, statt sie zu vertuschen. Doch nun steht sie selbst im Zentrum der Affäre. Sollte sich bestätigen, was "Spiegel"-Recherchen nahelegen - dass sich die Beraterfirmen durch die Formulierungen von kommenden Anforderungen gewissermaßen selbst für Folgeaufträge beauftragen konnten -, wäre offensichtlich, dass sie die Kontrolle über ihr Ministerium verloren hat.
Quelle: n-tv.de
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