Es ist kurz nach 18 Uhr, als der Bus in die Straße links am Kanzleramt einbiegt. Kaum steht der Landshuter Landrat Peter Dreier neben dem Bus, hat er sein Ziel schon erreicht. Er wird von einer Traube von Journalisten umringt und kann im Scheinwerferlicht seine Aktion erklären. Daneben stehen in der Dunkelheit einzelne Menschen mit Deutschlandfahnen, die über die Kanzlerin schimpfen und brüllen: "Merkel muss weg!" Die 31 Flüchtlinge bleiben im Bus. Ein Vertreter der Berliner Sozialverwaltung ist eingestiegen und spricht zu ihnen.
Vermutlich erklärt er ihnen, was Berlin für sie tun kann. Die Stadt werde sie im Rahmen "der unbürokratischen Hilfe für eine Nacht unterbringen", kündigte er vorher an. Das Kanzleramt habe um Amtshilfe gebeten. Landrat Dreier gibt derweil Interviews. Dafür hat er die 31 Flüchtlinge aus Syrien von Niederbayern nach Berlin bringen lassen. Die Syrer seien gern mitgekommen, sagt er: "Die freuen sich, dass sie in eine Großstadt dürfen."
Bei der bayerischen Staatsregierung, im Kanzleramt und den Berliner Behörden hielt sich die Freude in Grenzen. Dreiers Bustransfer ist eine bisher einmalige Provokation. Bereits im Oktober hatte der Landrat der Freien Wähler in einem Telefongespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gedroht: Falls die Flüchtlingszahlen nicht zurückgingen, werde er einen Bus nach Berlin schicken.
Am Mittwoch machte er seine Drohung wahr und informierte das Kanzleramt über seinen Plan. Dort stieß Dreier ebenso auf Ablehnung wie in der Münchner Staatskanzlei: Bayerns Sozialministerin Emilia Müller ließ die Aktion offenbar juristisch überprüfen. Doch die 31 Flüchtlinge aus Syrien sind allesamt anerkannte Asylbewerber, die sich in Deutschland frei bewegen dürfen. Laut Dreier hätten sie sich genauso gut selbst auf den Weg in die Hauptstadt machen können.
"Es ist unerhört, dass er die Schutzsuchenden instrumentalisiert"
So aber wurden sie zu Komparsen einer politischen Demonstration der Freien Wähler: Laut Dreier leben derzeit im Landkreis Landshut 450 anerkannte Asylbewerber in Flüchtlingsunterkünften. Wegen des angespannten Wohnungsmarkts könnten sie nicht ausziehen. In der Behördensprache gelten sie deshalb als Fehlbeleger. "Wenn ich die rausnehme, sind sie obdachlos", sagte Dreier.
Seit Jahren hätten er und andere Kommunalpolitiker darauf gedrungen, die Asylverfahren zu beschleunigen. Die Reaktion des Bundes sei "null" gewesen. Mit dem Anschwellen des Flüchtlingsstroms seit dem Sommer hätten diese Probleme eine andere Dimension angenommen. Jetzt wolle er "ein Zeichen setzen, dass es so wie bisher in der Flüchtlingspolitik nicht weitergehen kann und darf".
Bei den Grünen stieß die Protestaktion auf harsche Kritik. Landesvorsitzende Sigi Hagl, selbst aus Landshut, warf Dreier vor, er handle fahrlässig und unverantwortlich: "Es ist unerhört, dass er die Schutzsuchenden instrumentalisiert. Der Landkreis Landshut ist nicht über Gebühr belastet."
Die Landshuter SPD-Landtagsabgeordnete Ruth Müller sprach von einem billigen und populistischen Versuch, sich auf Kosten der Flüchtlinge zu profilieren: "Soll das Schule machen, dass nun Flüchtlinge instrumentalisiert und am Kanzleramt abgeladen werden?"
Von Lokalpolitikern der CSU erhielten die Freien Wähler hingegen Unterstützung. "Wir können das nicht mehr schultern", sagte der Landshuter Oberbürgermeister Hans Rampf über die Aufnahme von Flüchtlingen. Er kenne Dreier als Sachpolitiker, dem jede Form von Show fremd sei.
Landkreistagspräsident Christian Bernreiter hält es für konsequent, dass Dreier seine Ankündigung wahr gemacht habe. Dass in dem Bus nur anerkannte Flüchtlinge säßen, sei hilfreich, um auf ein weiteres Problem aufmerksam zu machen. Etwa 20 000 Fehlbeleger hielten sich derzeit in bayerischen Unterkünften auf - Platz, der für neue Flüchtlinge benötigt werde. Dafür sei aber eine Verteilung der anerkannten Asylbewerber erforderlich. Emilia Müller betonte, dass anerkannte Flüchtlinge sich frei in Deutschland bewegen dürften. "Die Fahrt nach Berlin zeigt die Anziehungskraft der Großstädte für Zuwanderer. Ich halte daher eine Wohnsitzauflage auch für anerkannte Flüchtlinge für dringend notwendig."
Wie es für die Syrer weitergeht
Wenn die 31 Syrer in Berlin bleiben wollen, können sie das als anerkannte Asylbewerber frei entscheiden, heißt es bei der Sozialverwaltung. Für ihre Unterbringung nach der ersten Nacht seien die Ämter in den Bezirken zuständig. Aus dem Kanzleramt kommt am Abend eine Erklärung von Regierungssprecher Steffen Seibert.
Die Bundesregierung sei sich bewusst, dass die Flüchtlingszahlen die Länder und Kommunen in ganz Deutschland und insbesondere in Bayern vor erhebliche Herausforderungen stelle. Seibert verweist auf das finanzielle Hilfspaket zur Bewältigung der Situation. Zudem habe die Bundesregierung eine "Vielzahl von Maßnahmen auf europäischer und internationaler Ebene" angestoßen, um die Zahl der ankommenden Flüchtlinge zu verringern. "Im Vergleich zum Oktober 2015", so der Sprecher der Kanzlerin, "ist diese Zahl derzeit auch erheblich niedriger."
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