Obwohl Merkels großes Thema, die Flüchtlinge, in diesem Jahr die Agenda des WEF dominiert wie seit der Finanzkrise keines, war sie diese Woche in ein anderes Alpendorf gereist, Kreuth. Die nationale Diskussion um Flüchtlinge ist für Merkel derzeit ohnehin wichtiger als die globale: In Davos wird gerade nur um das Schicksal von weltweit 60 Millionen zwangsweise entwurzelten Menschen gerungen. In Wildbad Kreuth, wo am Jahresanfang immer die CSU einkehrt, ging es aber zusätzlich um das damit eng verbundene Schicksal von Angela Merkel selbst.
So war es an Joachim Gauck, die noch bis Samstag andauernde Weltkonferenz zu eröffnen, bei der Tausende internationale Führungskräfte globale Politik und Deals verhandeln. "Ein Deutschland und ein Europa ohne Grundgedanken der Solidarität kann ich mir nicht vorstellen", warb Gauck, von WEF-Gründer Klaus Schwab nach seinen unumstößlichen Grundwerten in Zeiten der Flüchtlinge gefragt.
Deutschland steht alleine da
Gaucks Botschaft war wohl platziert in einer Phase, in der Europa nicht nur an seinen wirtschaftlichen, sondern vor allem an seinen territorialen Fragen zerbrechen könnte. Bald endet der Winter und die Zahl der Flüchtlinge wird trotz aller anlaufenden Initiativen neue Rekorde erreichen. "Ein Europa ohne Grenzen kann nur gelingen, wenn die Außengrenzen gesichert werden, und das funktioniert nicht", erklärte in Davos bündig Sebastian Kurz, Außenminister von Österreich, das die Zahl der Flüchtlinge jetzt begrenzen will – zum Schaden Deutschlands. Österreich gehörte neben Schweden zu den Ländern, die gemeinsam mit Deutschland die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, nun steht die Bundesrepublik mit ihrer Willkommenskultur alleine da. Selbst der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel hegte öffentlich Zweifel an der von Gauck beschworenen Solidarität: "Ich werde nicht viele europäische Partner finden, die helfen werden." Für Merkel macht das eine schwierige Situation noch schwieriger.
Doch während sie das Dorf Kreuth ergebnislos verlassen hat, ist die Stimmung im Dorf Davos so zupackend, als wäre sie hier. "Unfreiwillige Migration in großem Umfang" steht zum ersten Mal an der Spitze des jährlich aktualisierten WEF-Risiko-Index, für den viele Experten aus der Community befragt werden. Und niemand versteht besser als die global vernetzten Führungskräfte, dass Kleinstaaterei und Lokalpolitik nicht mehr funktionieren – gemeinsames, pragmatisches Handeln aber das Schlimmste abwenden und große Chancen eröffnen kann. "Wir schaffen das" ist hin und wieder sogar auf den internationalen Panels zu hören, im Original vorgetragen mit unterschiedlichen Akzenten.
Dazu kommen Einheizer wie der junge, gerade gewählte kanadische Premierminister Justin Trudeau, der selbst die optimistische Merkel aus den Anfangstagen der Flüchtlingsdebatte übertrifft. Als er jüngst persönlich syrische Flüchtlingsfamilien in Toronto als Staatsbürger Kanadas begrüßt habe, erzählt er, habe er sie "als die Zukunft unserer Wirtschaft begrüßt". Vielfalt und Ideenreichtum seien die wichtigsten Ressourcen Kanadas, nicht Bodenschätze. Seine Rede hielt er aus symbolischen Gründen zum Leid der Simultanübersetzer teils auf Englisch, teils auf Französisch.
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