Österreichs „Ibiza-Skandal“: Wie die Politik weltweit gekauft wird

  20 Mai 2019    Gelesen: 671
  Österreichs „Ibiza-Skandal“: Wie die Politik weltweit gekauft wird

Am Freitag wurde ein Video veröffentlicht, in dem der – mittlerweile zurückgetretene – österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache eine vermeintliche lettische Milliardärin um Wahlkampfspenden bittet und im Austausch Staatsaufträge anbietet. Die dreiste Wortwahl des Vizekanzlers ist einzigartig, das Vorgehen aber wohl nicht, wie ein Blick auf Washington, Paris und Brüssel verrät.

Österreich wird zurzeit aufgrund der heimlich gefilmten „Ibiza-Videos“ von der schlimmsten Regierungskrise seit Jahrzehnten erschüttert. Heinz-Christian Strache ist noch am Samstag als Vizekanzler zurückgetreten und Bundeskanzler Sebastian Kurz kündigte Neuwahlen an – denn „genug ist genug“.

Der sichtlich unter Alkoholeinfluss stehende Strache zeigte der Weltöffentlichkeit mit seiner Prahlerei, wie das Zusammenspiel zwischen Politik und Wirtschaft funktioniert. Die Offenheit seiner Worte ist schockierend und lässt zugleich vermuten, dass es derartige Machenschaften nicht nur im kleinen Österreich gibt. Offen bleibt nach wie vor die Frage, wer hinter dem Video steckt und warum es nicht schon vor der Nationalratswahl veröffentlicht wurde.

Wahlkampfspenden in den USA

HC Strache spricht in Ibiza von Spenden an FPÖ-nahe gemeinnützige Vereine in Höhe von 500.000 bis zwei Millionen Euro, die bereits geflossen sind. Die Höhe dieser Spenden darf bezweifelt werden, aber trotzdem stehen sie in keinem Vergleich zu den Wahlkampfspenden in den USA. 2012 knackte Barack Obama als erster die Marke von mehr als einer Milliarde gesammelter Spenden. Obama verwies stets auf Millionen Privatspender, die ihn mit kleinsten Summen unterstützen. Das wahre Rückgrat seines Wahlkampfes waren aber „Top-Anwälte, Silicon-Valley-Unternehmer, Immobilienmagnaten und Investmentbanker“, wie der Spiegel 2012 berichtete.

2014 kippte der Supreme Court die allgemeine Obergrenze für Wahlkampfspenden, da das „Verteilen von großen Summen nicht zwangsläufig zu Korruption“ führe. Die Republikaner begrüßten diese Entscheidung. „Die Meinungsfreiheit wurde aufrechterhalten“. Die Finanzlobby steckte in den Wahlkampf 2017 dann mehr als zwei Milliarden US-Dollar. Journalist Henning Jauering analysierte, dass sich diese Investition mehr als ausgezahlt hätte, denn „keine andere Branche profitierte so stark von der Wahl Donald Trumps“. Auch deutsche Unternehmen mischten fleißig bei den US-Wahlen mit. Nachdem aber ausländische Unternehmen per Gesetz die US-Politik nicht beeinflussen dürfen, geschah dies über Mitarbeiter.

Der Chef von HeidelbergCement, Bernd Scheifele, macht klar, dass er sich aufgrund seiner Spenden Vorteile erwartete: „Wenn Trump wirklich eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen würde, wäre sie sicher nicht aus Holz, sondern aus Zement“. Volkswagen hingegen setzte auf das falsche Pferd und spendete für Hillary Clinton.

Wahlkampfspenden in Frankreich

Vielen Beobachtern war es ein Rätsel, wie es dem damals weitgehend unbekannten Emmanuel Macron gelang, seine Bewegung „en marche“ in kurzer Zeit aufzubauen und zahlreiche Spenden zu lukrieren. 2018 leitete die französische Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen nicht identifizierbarer Spenden von mehreren zehntausend Euro ein. Wie auch Obama bediente Macron gerne das Klischee, dass vor allem Kleinstspender für das Wahlkampfbudget von 22 Millionen Euro verantwortlich seien. Die französische Zeitung Mediapart veröffentlichte noch 2017 einen Artikel, wonach die Gelder vor allem aus dem Bankensektor stammten: „In Wirklichkeit ist es schon eine Kamerilla von Anlagebankern gewesen, die diese außergewöhnliche Beschaffung von Finanzierungsmitteln in die Hand genommen hat“. Der „Schatzmeister“ der Finanzierungs-Task-Force, Christian Dargnat, war Generaldirektor bei BNP Paribas Asset Management und nutzte seine Kontakte in der Finanzwelt, um Geld aufzutreiben: „Vieles lief anscheinend über Abendessen, die zwar aus Imagegründen für den Wahlkampf etwas schwierig waren, aber verlässlich gutes Geld brachten“.

Lobbyismus in Brüssel

Nach Washington sind in Brüssel die zweitmeisten Lobbyisten weltweit beschäftigt. Rund 25.000 Lobbyisten mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro nehmen in Brüssel Einfluss auf die EU-Institutionen. „Die Macht der Konzerne in der EU ist eindeutig zu groß, teilweise können sie Gesetz und politische Prozesse regelrecht kapern“, sagte Imke Dierßen, politische Geschäftsführerin von Lobbycontrol. Nach Dierßens Einschätzungen entgehen der EU jährlich 50 bis 70 Milliarden Euro an Steuergeldern, da Konzerne ihr Vermögen in Schattenfinanzplätze verschieben.

Lobbycontrol zeigt auch gezielt auf, wie die Beeinflussung funktioniert: Seit 2014 gab es fast 23.000 offizielle Treffen zwischen Lobbyisten und EU-Kommissaren. Zahlreiche Lobbyisten sitzen in Expertenzirkel, da der EU das Personal dazu fehlt. So waren zum Beispiel 70 Prozent der Expertengruppe „Emissionen im praktischen Fahrbetrieb – leichte Nutzfahrzeuge“ Vertreter der Automobilindustrie und konnten strengere Richtlinien zum Schadstoffausstoß verhindern. Auch Thomas Hackl weist auf die Problematik der engen Beziehungen zwischen EU-Politikern und Lobbyisten hin: „Politiker werden zu Veranstaltungen eingeladen, oder zu einem Abendessen. Bei diesen Treffen versuchen Lobbyisten, die Entscheidungsträger für ihre Anliegen zu gewinnen.“

Hackl skizziert in seinem Artikel auch den „Drehtür-Effekt“: Hierbei wechseln ehemalige EU-Kommissare in die Privatwirtschaft. EU-Kommissar Martin Bangemann wechselte zum Beispiel zum spanischen Telefonica-Konzern. Davor hatte er als Kommissar die Telekom-Märkte in der EU liberalisiert.

Zeitpunkt und Urheber der Strache-Videos

Bisher gibt es keine Informationen darüber, in wessen Auftrag die Lockvögel in Ibiza gehandelt haben. In seiner Rücktrittansprache spielte Strache zwar auf „Geheimdienste“ an, die ihm schon einige Male hinters Licht führen wollten. Beweisen wollte er das allerdings nicht. Der Spiegel beruft sich auf den Quellenschutz und will keine Angaben zu den Urhebern machen. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Videos kurz vor der EU-Wahl trifft nicht nur die FPÖ, sondern auch andere europakritische Parteien besonders hart. Jedoch bestreitet der Spiegel, den Zeitpunkt absichtlich gewählt zu haben. Die Strache-Videos gewähren der Öffentlichkeit einen tiefen Einblick in den Politik-Sumpf und sind vermutlich kein Einzelfall. Denn derartige Videos können auch verwendet werden, um Politiker zu erpressen.

sputniknews


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