Alle Zeichen stehen auf eine weltweite Wirtschafts-Krise

  25 Januar 2016    Gelesen: 743
Alle Zeichen stehen auf eine weltweite Wirtschafts-Krise
Die ersten drei Wochen des Jahres 2016 begannen mit einer eiskalten Dusche für die Finanzmarktteilnehmer. Es war der schlechteste Jahresbeginn seit Jahrzehnten, auch wenn am vergangenen Freitag eine deutliche Erholung erfolgte. Ein gutes Omen für das ganze Jahr ist dies nicht. Was steckt dahinter? Die Diagnose: Eine Rezession im Anzug – und eine Schwellenländerkrise.
Der amerikanische Aktienmarkt zeigte letztes Jahr ein gespaltenes Bild. Viele Sektoren und Titel waren bereits in einer ausgeprägten Baisse, doch die Indizes wurden von immer weniger Titeln hochgehalten. Vor allem die vier FANG-Titel Facebook, Amazon, Netflix und Google (Alphabet) verzeichneten extrem starke Kursgewinne und konnten aufgrund ihrer hohen Kapitalisierung den Markt stützen. Diese vier Titel zeigen alle Zeichen einer heftigen Überbewertung. Amazon war am Jahresende mit einem Kurs-/Gewinn-Verhältnis von über 300 bewertet, die anderen drei Titel in der Größenordnung von 60 bis 90. Amazon ist in der Vergangenheit nicht mit besonders hoher Gewinndynamik aufgefallen. Die aggregierten Unternehmensgewinne der börsenkotierten Gesellschaften in den USA sind seit mehreren Quartalen rückläufig, hauptsächlich eine Folge des starken Dollars und des drastischen Gewinneinbruchs im Energie- und Minenbereich.

Der starke Dollar drückt bei der Umrechnung die Gewinne der Auslandgesellschaften der international tätigen Konzerne, und schlägt teilweise auch auf die Gewinne der Exportunternehmen. Verschiedene vorlaufende Indikatoren deuten auf eine weitere Abschwächung der Konjunktur vor allem in der Industrie auch in den USA hin. Eine zu hohe Bewertung, mit klaren Zeichen einer Blase sowie eine Abschwächung der Gewinndynamik ist der erste Grund für die Börsenschwäche.

Vor allem aber hob die US Notenbank Mitte Dezember bei praktisch illiquiden Märkten die Fed Funds Zielrate um einen Viertel Prozentpunkt auf 0.25% an und deutete weitere vier Zinsschritte im laufenden Jahr an. Die erstmalige Zinserhöhung war erwartet, aber die in Aussicht gestellte weitere vierteljährliche Zinsanpassung doch eher überraschend explizit. Über die Feiertage hatte dies keine Auswirkungen mehr, aber verzögert eben schon. Die angekündigte weitere geldpolitische Straffung der US-Notenbank ist der zweite wichtige Grund für die Börsenbaisse.

Zwei weitere Negativpunkte kamen hinzu. In China erweckt das Vorgehen der Behörden wenig Vertrauen, und zwar weder am Aktien- noch am Devisenmarkt. Die Börsenaufsicht führte zu Jahresbeginn einen Stabilisierungs-Mechanismus für den Aktienmarkt ein, der gleich in den ersten Tagen des Jahres selber zur Ursache eines neuerlichen Kurssturzes wurde. Der chinesische Aktienmarkt ist selbst auf dem heutigen Niveaus heillos überbewertet, mit einem Kurs-Gewinn Verhältnis von über 60. Zudem sind die Schwergewichte im Index staatliche Unternehmen mit negativer Gewinndynamik – oder korrekter – potentieller Verlustdynamik und wenig Hoffnung oder Aussicht auf Besserung in mittlerer bis langer Frist. Um den Offshore-Wechselkurs des Yuan zu stützen, hoben die chinesischen Behörden den Tagesgeldsatz in Hongkong auf bis zu 80% an, was prompt eine Krise im Interbankenmarkt und am Aktienmarkt in Hongkong auslöste. Die konfuse, schlecht durchdachte und kommunizierte Marktintervention der chinesischen Behörden löste Ängste einer möglichen harten Landung der Konjunktur in China und einer Yuan-Abwertung aus. Das ist der dritte Grund für die Börsenbaisse.

Zusätzlich kam der Erdölpreis nochmals gewaltig unter Druck und fiel bis Mittwoch 20. Januar unter 30$ bis auf 26 $ pro Barrel für WTI und für Brent. Die tatsächlich bezahlten Preise sind noch tiefer. Saudi-Arabien und andere Länder offerieren ihr Erdöl mit Abschlägen bis zu 4 Dollar pro barrel zur Referenzsorte. Ein Kampf um Marktanteile ist in Asien und in Europa entfacht. Die fundamentalen Faktoren bleiben negativ: Steigende und rekordhohe Lager und Produktion, noch verstärkt durch den Wiedereintritt des Iran nach der Aufhebung der Sanktionen sowie durch die Aufhebung des Exportverbots für amerikanisches Rohöl. Was sich geändert hat, ist die Aussicht auf einen heftigen Wintereinbruch im Nordosten der USA. Sie wird die Nachfrage nach Erdöl schlagartig steigern. Der milde Winter hatte bisher preisdrückend gewirkt.

An sich festigt eine Baisse der Erdölpreise die Konjunktur in den USA und – durch die Wirkung der hohen Benzinabgaben und Mehrwertsteuer abgeschwächt – in Europa. Doch dem stehen negative Effekte auf den Wirtschaftsverlauf gegenüber, und diesmal sind die Nettoeffekte negativ: Die Nachfrage der Erdöl produzierenden Länder wird 2016 anders als 2015 drastisch komprimiert werden. Viele Erdöl und andere Rohstoffe produzierende Schwellenländer sind stark verschuldet, haben in den Boomjahren einen sekundären kreditfinanzierten Boom der Binnenwirtschaft gehabt. Ihre Fähigkeit zum Schuldendienst wird durch den Sturz der Erdölpreise und durch die Dollaraufwertung arg in Probleme gebracht. Dieser Wirkungszusammenhang ist der vierte Grund für die Börsenbaisse.

Die Erholung am Ende der Woche geht vor allem auf Hoffnungen für weiteren geldpolitischen Stimulus zurück. EZB-Präsident Draghi versicherte der beunruhigten Globalisierungs-Elite in Davos, dass die EZB noch sehr viele Instrumente zur Verfügung hätte, um die Inflationsrate zu ihrem Zielniveau zurückzuführen – angesichts von Negativzinsen am Geldmarkt und bis weit in die längeren Laufzeiten der Obligationenrenditen hinein eine etwas gewagte Behauptung. Eine hohe Volatilität mit scharfen Korrekturen ist typisch für solche Phasen eines Börsenabsturzes.

Überblickt man die Interna der Aktienmärkte aus längerer Perspektive, fällt auf, dass die klassisch zyklischen Titelgruppen seit 2014 bzw. seit Juni 2015 im freien Fall sind. Seit Sommer 2015 sind es die Finanzwerte, zuvorderst die Banken, dann die zyklischen Konsumwerte wie Autohersteller oder die Produzenten von Luxuskonsumgütern. Seit 2014 schon hatten die Materialwerte, Minen- und Energietitel gewaltige Einbrüche erlitten. Auf einer relativen Basis gut halten sich defensive Titelgruppen wie Pharma, Telecom, Versorger und Stapel-Konsumgüter, auch wenn sie jetzt erheblich Federn lassen mussten. Betrachtet man die relative Performance der verschiedenen Titelgruppen, kommt man nicht um die Aussage herum, dass der Aktienmarkt eine markante Wachstumsverlangsamung, vielleicht sogar eine Rezession antizipiert. Nicht ins klassische Bild hinein passt bisher die Entwicklung der Technologie-Titel. Sie halten sich ungewöhnlich gut für eine solche Phase, mindestens gemessen an der Erfahrung von 2000 oder 2007/08. Diesbezüglich muss ich mich auch korrigieren. Ich hatte all dies1 im Detail vorausgesagt, aber die FANG-Titel wie auch SAP nicht im Blickfeld.

Diese Wahrnehmung einer heraufziehenden markanten Wachstumsabschwächung an der Grenze zur Rezession spiegelt sich auch im Obligationenmarkt wieder. Seit Mitte 2015 ist der Hochzins-Bereich – die junk bonds – in einer sich akzelerierenden Baisse. Die Renditen bei diesen Unternehmensanleihen und bei gehebelten Krediten (leveraged loans) sind stark am Steigen. Beim Energie-Segment sind sie auf dem historischen Höchststand von 2009 angelangt. Bei den anderen Marktsegmenten weiten sich die Risikoaufschläge ebenfalls zügig aus, sind aber noch weit von den damaligen Höchstständen entfernt, genauso wie die Renditen von Obligationen mit Investment-Grad. Der Anstieg der Risikoaufschläge signalisiert mit anderen Worten dasselbe wie der Aktienmarkt, eine katastrophale sektorale Verschlechterung im Energie- und Minenbereich, und eine markante Wachstumsverlangsamung für den Rest des Marktes.

Weitet man die Perspektive über die Finanzmärkte der OECD-Länder hinaus auf die Schwellenländer aus, ist das Bild noch weniger erfreulich. Dort ist ein schlimmer Crash im Anzug, der sich auf Aktien- und Devisenmärkte erstreckt. Die Währungen von wichtigen Schwellenländern sind in einen freien Fall übergegangen, zuvorderst der eben erst freigegebene Argentinische Peso, dann der Südafrikanische Rand und der Russische Rubel. Dies setzt wiederum die Währungen anderer, wirtschaftlich mit diesen Staaten verbundener Länder unter Druck, also etwa den brasilianischen Real. Wichtige Aktienmärkte wie in Brasilien oder Hongkong sind schwer unter Druck geraten. Die Terminkurse in mehreren Währungen wie dem Hongkong-Dollar oder dem Saudi-Rial signalisieren, dass der Fixkurs auf der Kippe steht. Auf der Gewinnerseite stehen bei den Währungen nicht nur der Dollar, sondern auch der Euro und vor allem der Yen. Viele Carry trades im Yen wurden aufgelöst, so dass wegen der beschleunigten Yen-Aufwertung auch der japanische Aktienmarkt einen massiven Einbruch erlitt.

Dieses Faktorenbündel, das zur Baisse geführt hat, geht nicht einfach weg. Allerdings wirken die einzelnen Faktoren auch nicht über die Zeit hinweg gleich. Einige werden wegfallen, andere sich sogar verstärken.

Die den ersten Zinsschritt begleitende Ankündigung der amerikanischen Notenbank weiterer vier Zinsschritte im Jahr 2016 muss als unglücklich bezeichnet werden. Sie sollte Unsicherheit beseitigen, hat aber in der Realität sofort und schlagartig die Erwartung einer weiteren Dollaraufwertung gestärkt. Darum auch der Druck auf den chinesischen Yuan, aber auch auf die Währungen der anderen Schwellenländer. In der Realität wird die Fed wahrscheinlich die vier Zinsschritte gar nicht machen. Die Straffung der Geldpolitik wird bei dieser Kommunikation eher über den Wechselkurs und – als Folgewirkung – über die Verschlechterung der Bedingungen an den Kreditmärkten fortgesetzt. Die US-Notenbank hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Politik-Irrtümern begangen. Sie hat viel zu lange an der Nullzinspolitik festgehalten und deren Effekte mit der Quantitativen Lockerung noch verstärkt. Nicht nur die kurzen, sondern auch die langen Renditen wurden so komprimiert. Dann ein langes Theater um die Abkehr von der Nullzinspolitik und um den ersten Zinsschritt, und am Schluss gleich die Ankündigung von fünf Zinsschritte. Das hätte man auch geschickter machen können.

In diesem Zusammenhang muss auf das verfehlte, neu eingeführte Wechselkursregime des Yuan hingewiesen werden. Dieses Regime entspricht einer Anforderung des Internationalen Währungsfonds. China wurde der Zutritt zum erlauchten Klub der im Währungskorb der Sonderziehungsrechte vertretenen Währungen nur gewährt, wenn das Land die internationale Kapitalmobilität und einen flexiblen Wechselkurs anvisiert. Doch diese Forderung ist für China und global gesehen völlig kontraproduktiv:

China ist strukturell ein Überschussland in der Leistungsbilanz, und ein Land mit einem Netto-Zustrom der Direktinvestitionen. Kein anderes großes Land profitiert so vom Fall der Rohstoffpreise seit Mitte 2014 wie China, seine Austauschrelationen im Aussenhandel (engl. Terms of trade) verbessern sich dadurch massiv. China ist die Werkstatt der Welt, importiert Rohstoffe und Halbfabrikate und montiert, fertigt und exportiert sie. Die folgende Graphik zeigt die monatlichen Handelsbilanzüberschüsse von Januar 2010 bis und mit Dezember 2015. Die blaue Linie reflektieren die Originalwerte, die aussagekräftigere rote Linie die saisonbereinigten Werte. Die saisonbereinigten monatlichen Überschüsse sind von rund 15 bis 20 Mrd. USD bis Sommer 2014 auf 50 Mrd USD angeschwollen. Sie haben seit Sommer 2014 also um 150% zugelegt. Mit dem Sturz der Rohwarenpreise in der zweiten Jahreshälfte 2015 dürften sie 2016 verzögert weiter auf zwischen 60 und 70 Mrd. USD ansteigen. Doch dies ist noch nicht alles: In China gibt es spätestens seit der Abwertung des Yuan im August 2015 eine Kapitalflucht. Bei den Unternehmen ist die einfachste Form die Überfakturierung im Import und die Unterfakturierung im Export. Ein zusätzlicher Teil der Nettoexporte dürfte so einfach in Hongkong oder in Singapur bei einer Holding- oder Zwischenhandelsgesellschaft oder bei Offshore-Konten anderswo gelandet sein.

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