In Hongkong sind in der Nacht zu Montag zunächst friedliche Massenproteste eskaliert. Es kam zu Zusammenstößen zwischen protestierenden Menschen und der Polizei. Augenzeugen zufolge riegelten mehrere hundert Bereitschaftspolizisten das Parlamentsgebäude ab. Sie gingen dort mit Schlagstöcken, Tränengas und Pfefferspray gegen in etwa ebenso viele Demonstranten vor. Protestteilnehmer warfen Flaschen auf die Beamten und setzten Metallgitter gegen sie ein. Auf beiden Seiten schien es Verletzte zu geben.
Zuvor waren Hunderttausende Menschen stundenlang gegen ein geplantes Gesetz auf die Straße gegangen, mit dem Auslieferungen nach China ermöglicht werden sollen. Das geplante Gesetz würde den Behörden erlauben, auf Ersuchen chinesischer Stellen Verdächtigte an die kommunistische Volksrepublik auszuliefern. Anwaltsverbände, Menschenrechtsgruppen, ausländische Handelskammern und Regierungen sind besorgt. Demonstranten trugen Schilder mit "Keine Auslieferung nach China" oder "Nach China ausgeliefert, für immer verschwunden".
Kritiker argumentieren, dass das Justizsystem in China nicht unabhängig sei, internationalen Standards nicht entspreche und politisch Andersdenkende verfolge. Auch werden Angeklagte zu 99 Prozent verurteilt. Es gibt Sorge, dass das Gesetz die Position Hongkongs als asiatische Wirtschafts- und Finanzmetropole untergräbt.
Eine Million Menschen demonstrieren
Die Veranstalter schätzten die Zahl der Demonstranten nach insgesamt sieben Stunden langen Protestmärschen auf mehr als eine Million Menschen - die größte Zahl seit der Demonstration nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung am 4. Juni 1989 in Peking. Die Polizei erklärte, zum Höhepunkt der Demonstrationen seien 240.000 Personen gezählt worden. Es gab vereinzelt Zwischenfälle und Festnahmen.
Im Legislativrat, wo die friedlichen Proteste in der Nacht in Gewalt umschlugen, ist am Mittwoch eine Debatte über das umstrittene Gesetz geplant. Es könnte Ende Juni in Kraft treten.
Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" als eigenes Territorium autonom regiert. Die sieben Millionen Einwohner der heutigen chinesischen Sonderverwaltungsregion genießen größere Freiheiten als die Menschen in der Volksrepublik, darunter das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit. Seit den Demonstrationen 2014 für mehr Demokratie, die Teile der Stadt wochenlang lahmlegten, zieht Peking aber die Zügel enger.
Die Proteste an diesem Sonntag setzten Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam unter Druck. Rufe nach ihrem Rücktritt wurden laut. Auf Bannern stand unter anderem "Liefer dich selbst aus". Um der Kritik zu begegnen, hatte ihre Regierung noch Änderungen am Gesetz aufgenommen.
So soll es nur um schwere Verbrechen gehen. Das Strafmaß muss bei sieben und nicht wie erst vorgesehen drei Jahren liegen. Während Straftatbestände wie Steuer- oder Wertpapiervergehen gestrichen wurden, blieben aber Bestechung und Geldwäsche. Lam äußerte sich zunächst nicht öffentlich zu den Demonstrationen. Bisher hat sie das Gesetz als notwendig verteidigt, um Schlupflöcher zu schließen.
Die Zahl der Kundgebungsteilnehmer übertraf bei weitem die der Massenproteste von 2003, mit denen die Demonstranten eine Verschärfung von Gesetzen zur nationalen Sicherheit stoppten.
Menschenrechtsgruppen weisen auch darauf hin, dass die zwei UN-Konventionen für bürgerliche Rechte und gegen Folter, an die Hongkong gebunden sei, die Überstellung von Personen in Länder untersagten, wo Folter und Misshandlung drohten. Andere Länder wie die USA oder Kanada äußerten ihre Sorge über das Gesetz. Sie befürchten, dass ihre Bürger in Hongkong betroffen werden könnten.
spiegel
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