Die Verfolgung von Assange gefährdet laut der Abgeordneten alle Journalisten, vor allem die investigativen. „Mehr noch, jeder Mensch, der etwas tut, was der US-Administration missfällt, kann solcher extraterritorialen Verfolgung ausgesetzt werden. Wo ist dann auch die Souveränität der EU?“
Dağdelen gab zu bedenken, dass die 28 EU-Mitgliedsstaaten eine Charta unterzeichnet hätten, die eine Behandlung wie die von Assange in Großbritannien als menschenverachtend untersage. „Das Ansehen der EU ist dadurch infrage gestellt worden. Assange hat die Verbrechen der US-Administration in Afghanistan und Irak aufgedeckt. Wessen Partei sollen wir also ergreifen? Die von Assange oder etwa die von diesen Verbrechern?“
Sevim Dağdelen hat 2012 als eine der ersten EU-Parlamentarier Assange besucht, gleich nachdem er das politische Asyl in der Botschaft von Ecuador in London bekommen hatte. Zum letzten Mal sah sie ihn im Dezember des vergangenen Jahres, als sein Gesundheitszustand Besorgnis zu erregen begann. Sie wollte auch im April dieses Jahres Assange besuchen, doch wurde er vor ihrer Ankunft von den Behörden Ecuadors an die Briten ausgeliefert.
Die Protagonisten von WikiLeaks sind laut der Linke-Abgeordneten die Dissidenten des 21. Jahrhunderts, die sich für die Meinungsfreiheit einsetzen. „Bei den Geheimnissen, die von WikiLeaks enthüllt werden, sollte man bedenken, dass es zwar rechtmäßige Geheimnisse gibt, was mir als einer Bundestagsabgeordneten bekannt ist, aber auch gesetzwidrige. Wenn die US-Administration Kriegsverbrechen zu unterdrücken sucht, handelt es sich um gesetzwidrige Geheimnisse. Sie hat auch kein Recht, sie geheimzuhalten.“
Dağdelen forderte auf, Druck auf Regierungen auszuüben, wie es die Linken in Berlin täten. „Wir fordern auch unsere Regierung auf, angesichts der Drohungen der amerikanischen Administration sich zur Freiheit und Demokratie zu bekennen. Wir suchen die deutsche Regierung dafür zu gewinnen, Assange politisches Asyl in Deutschland anzubieten. Bis zum 25. Februar, wenn er an die USA ausgeliefert werden soll, wo er mit 175 Jahren Haft oder gar mit Todesstrafe zu rechnen hat, bleibt nicht gerade viel Zeit. So kann nur eine internationale Kampagne zu seinem Schutz bzw. die Solidarität der Journalisten, die davon berichten, ihn retten.“
Was Julian Assange als einen Enthüller der schmutzigen US-Politik erwartet, ob man wegen Informations- und Meinungsfreiheit gerichtlich verurteilt werden kann, stößt bei den EU-Politikern wider Erwarten nicht auf Unmut — diese Fragen standen im Mittelpunkt der Diskussion. Sonst betonen ja diese Politiker in ihren Erklärungen stets ihre Verpflichtung zu den demokratischen Werten und Menschenrechten.
Ein Partner von WikiLeaks, Pedro Miguel, Chef der Auslandsabteilung der mexikanischen Tageszeitung „La Jornada“, verwies darauf, dass die These von Mainstreammedien lanciert worden sei, Assange und seine Kollegen wären angeblich keine Journalisten, sondern bloße Zuträger. „Dies gibt den Verfolgern von Assange eine zusätzliche Waffe in die Hand. In diesen Redaktionen wird Assange gehasst, obwohl sie alle Informationen von WikiLeaks bezogen haben. Nachdem Trump aber seinen offiziellen Medien den Krieg erklärt hat, werden sie ironischerweise zugeben müssen, dass Assange eine Galionsfigur der Pressefreiheit ist.“
Weltweit tun Journalisten dasselbe wie Assange: Sie veröffentlichen Daten aus Unterlagen, die sie erhalten haben, stellte Miguel fest. „Sie bringen diese Daten an die Öffentlichkeit. Und wenn die US-Medien Trumps Angriff überstehen wollen, müssen sie sich für die eine oder andere Partei entscheiden: für die des jetzigen Präsidenten oder aber für die des Journalismus, der von Trump erniedrigt worden ist.“
Die Moderatorin der Diskussionsrunde, Weronika Krascheninnikowa, Mitglied der russischen Gesellschaftskammer, erinnerte daran, dass Assange 2016 Fälschungen innerhalb der Demokratischen Partei der USA enthüllt habe. „Der Verlauf der parteiinternen Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl war, wie sich herausstellte, zugunsten von Hillary Clinton und zum Nachteil des zweiten Amtsanwärters Bernie Sanders manipuliert worden. Man mag den Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Information missbilligen, man mag darüber streiten, inwieweit sie den Verlauf der Präsidentschaftswahl in den USA beeinflusst hat, eines steht fest: Trumps Wahlkampfteam hat davon profitiert. Das Paradoxe liegt darin, dass Assange nun ausgerechnet von der Trump-Administration aufs grimmigste verfolgt wird.“
Der CIA-Direktor Michael Pompeo nannte WikiLeaks einen „nicht-staatlichen feindlichen Geheimdienst“, so Krascheninnikowa. „Dies ist eine rechtliche Definition, von der die kolossale Gewaltmaschine der USA in Gang gesetzt wird, gegen Julian Assange, WikiLeaks, aber auch gegen jeden, der sich von ihrem Vorbild inspirieren lassen mag. Darüber hinaus schafft die Verfolgung von Assange durch die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten einen bedenklichen Präzedenzfall, der den Journalismus, die Verlage und generell die Meinungsfreiheit gefährdet, indem er rechtlich über die Grenzen des US-Hoheitsgebiets hinausgreift.“
Also kann die amerikanische Gewaltmaschine über den Bürger eines beliebigen Staates herfallen, schlussfolgert Krascheninnikowa, „falls sie den Eindruck bekommt, dass die Tätigkeit dieses Journalisten bzw. Presseorgans so oder anders die Interessen der USA, Kriegsverbrechen zu verbergen, beeinträchtigt.
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