Ehemaliger INF-Verhandler: „Furchtbares Gefühl, wenn man sein liebstes Kind verliert“ – Exklusiv

  05 Juli 2019    Gelesen: 665
  Ehemaliger INF-Verhandler: „Furchtbares Gefühl, wenn man sein liebstes Kind verliert“ – Exklusiv

Als Berater war der ehemalige russische Diplomat Victor Mizin an den INF-Abrüstungsverhandlungen in den 1980er Jahren beteiligt. Nun steht der Vertrag vor dem Aus. Gegenüber Sputnik verrät er, mit welchem Gefühl er dem drohendem Ende seines „aller liebsten Kindes“ begegnet.

Dr. Victor Mizin hat seine diplomatische Laufbahn unter anderem in der Rüstungskontrolle sowie als globaler Sicherheitsexperte im russischen und sowjetischen Außenministerium absolviert und auch das Büro für den ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen geleitet. Als Berater nahm er an den wichtigsten Rüstungskontrollverhandlungen teil - darunter START I und START II, ABM und das INF-Abkommen. Heute ist Mizin führender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Staatlichen Instituts für internationale Beziehungen in Moskau.

Vor allem der vor dem Aus-stehende INF-Vertrag, den der junge Diplomat in Genf in den 1980er mitverhandelte, weckt bei ihm Sorgen, aber auch Nostalgie: „Jetzt spüre ich, dass ich mein aller liebstes Kind verliere – ein sehr furchtbares Gefühl“, sagte er letzte Woche bei seiner Rede auf der Friedendkundgebung „Kein Krieg gegen den Iran“ der Linkspartei in Berlin. Sputnik-Korrespondent Paul Linke hat Dr. Mizin nach seinem Auftritt vor der US-Botschaft interviewt.

Herr Dr. Mizin, was hat Sie heute nach Berlin zu der Friedenskundgebung der Linkspartei geführt?

Es ist so gekommen, dass ich als ehemaliger sowjetischer Diplomat  noch alte Freunde und Kollegen aus der DDR kenne. Einige von denen sind heute in der Partei Die Linke. Sie haben mich heute eigeladen. Ich empfinde das als angenehm. Erstens will ich als letzter Romantiker sagen, man muss alles nur Erdenkliche unternehmen: Sie sehen, dass die Rüstungskontrolle vor unseren Augen zerstört wird. Es ist eine sehr gefährliche Situation. Sie ist viel schlimmer, als die Lage in den 1980er Jahren.

Und leider gibt es noch eine Sache: Wenn in den 1980er Jahren Millionen Menschen in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien gegen die Raketen und gegen Kriege auf die Straße gegangen sind, so interessiert es heute praktisch keinen mehr – außer vielleicht einige Experten. Das ist sehr traurig und sehr schlecht. Das zweite ist, dass Russland toxisch geworden ist und keiner möchte heute diese Probleme mit uns diskutieren. Das ist ein großer Unterschied. Ich sage es nochmal: Ich habe 25 Jahre im sowjetischen und russischen Außenministerium gearbeitet. Das herrscht ein großer Unterschied zu dem, was in den 1980er und 1990er Jahren war. Heute ist das nicht mehr interessant.

Wie erklären Sie sich das?

Ich bin oft in den USA und leider, wie ich das eben angemerkt habe: Russland ist toxisch geworden. Also, dass kranke Thema, dass Russland sich in Wahlen eingemischt haben soll, russische Hacker usw. Es geht soweit, dass wir Trump gewählt haben, dass Trump schon fast ein bezahlter russischer Agent ist. Und das Thema  Russland ist zum inneren und nicht zum Thema der US-Außenpolitik geworden. Das hängt natürlich damit zusammen, was auf der Krim und im Donbass passiert ist. Das ist natürlich alles sehr unangenehm.

Wie bewerten Sie die Rolle der US-Administration im Falle Irans. Vor einigen Jahren meinte noch der Sicherheitsberater John Bolton, man müsse den Iran angreifen, bevor er uns angreift. Heute ist die Position anders: Er sagt wir wollen keinen Regimechange im Iran.

Wissen Sie, ich habe sehr lange Zeit in den USA gearbeitet. Und wir haben einen detaillierten Bericht über den Konflikt mit dem Iran verfasst. Die amerikanischen Militärs verstehen, dass man gegen den Iran keinen Krieg führen sollte. Zum einen gibt es im Iran einen historisch starken Glauben an ihre Exklusivität – nennen Sie es Nationalismus. Iran hat eine starke Armee, es ist ein riesiges Land – das ist nicht Irak. Die Amerikaner verstehen sehr gut, dass ein jeglicher Schlag gegen den Iran furchtbare Folgen nach sich ziehen würde. Und Trump? Ja, er ist auf seine eigene Art ein interessanter Mensch. Ich weiß nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Vielleicht will er das iranische Atomabkommen ändern wie er es geglaubt hat, mit  Nordkorea getan zu haben. Mit dem Iran wird sowas nicht klappen. Ich kenne die iranischen Diplomaten sehr gut. Sie sind sehr qualifizierte, erfahrene Leute. Es wird für Trump nicht einfach sein, mit ihnen zu sprechen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Wie könnte vielleicht auch diese angespannte Situation wieder entladen werden?

Die Europäer scheinen uns einerseits zu verstehen und sie haben auch sehr gelitten, weil die größten Unternehmen – zumeist die deutschen und französischen – waren gezwungen den Iran unter Milliardenverlusten zu verlassen, aber leider ist die Stimme nicht zu hören. Es herrscht so ein Stereotyp, dass die Amerikaner sie weichklopfen. Ich wünsche mir, dass die europäische Stimme zu Iran, die wir übrigens teilen, besser zu hören wäre und dass sie versuchen irgendwie mit der US-Administration mehr zu reden.

sputniknews


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