Die neue Volks-Mitte fährt vor

  18 Juli 2019    Gelesen: 708
Die neue Volks-Mitte fährt vor

VW Passat, Skoda Superb und Audi A4 bilden das Mittelklasse-Trio im Volkswagen-Konzern. Alle drei wurden jetzt aufgefrischt und fit gemacht für die kommenden Jahre. Doch inwieweit unterscheiden sich die drei Modelle unter dem Blech noch voneinander?

Die Mittelklasse ist in Bewegung: Im Premium-Segment setzt der 3er BMW neue Akzente und von unten kämpft Peugeot seit Kurzem mit dem neuen 508 wieder um einen Stammplatz auf dem Einkaufszettel. Darauf reagiert auch der Volkswagen-Konzern und hat durch die Bank weg seine Mittelklässler erneuert. Nahezu zeitgleich fahren in den kommenden Wochen VW Passat, Skoda Superb und Audi A4 erneuert vor. Allen gemein: Ein großer Sprung in Sachen Digitalisierung und High-Tech.

Fangen wir mit der Konzernmutter an: Der Passat ist einer der Grundpfeiler im VW-Portfolio, seit Jahrzehnten spült der Mittelklässler beständig Geld in die Kassen. Vor allem der Variant genannte Kombi ist ein Bestseller, er liegt mit rund 25 Prozent Marktanteil in Europa in seinem Segment unangefochten an der Spitze; die Limousine muss sich nur der Mercedes C-Klasse geschlagen geben. Doch mit dem aktuellen Facelift läutet Wolfsburg auch das Ende einer Ära ein. Seit 1978 wird der Passat in Emden gefertigt, doch das jetzt kommende Facelift-Modell wird das letzte sein, das in Ostfriesland vom Band läuft. Danach wandert die Produktion nach Tschechien ab, wo der VW zukünftig mit dem Skoda Superb gemeinsam gebaut wird. Und mehr noch: Skoda bekommt zukünftig auch die Entwicklungshoheit über die Mittelklasse-Modelle.

Ehe es so weit ist, dürfen die Werker in Emden aber erstmal noch eine neue Front und eine modifizierte Heckschürze an Limousine, Kombi und das plastikbeplankte Abenteuer-Modell Alltrack montieren: Serienmäßig sind jetzt LED-Lichter an Bord, auf Wunsch strahlt der Passat auch mit dem aus dem Touareg bekannten Matrix-Licht mit 44 einzeln ansteuerbaren LED durch die Nacht. Die erlauben eine möglichst hohe Lichtausbeute, ohne den Gegenverkehr zu blenden. Am Heck gibt es Rückleuchten mit Klick-Klack-Funktion, die beim Bremsen die Anzeige-Grafik ändern um mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ebenfalls neu: Die Endrohre und der mittig angebrachte Passat-Schriftzug.

Neue Online-Dienste und bessere Assistenten

Neben dem LED-Licht ziehen weitere High-Tech-Schmankerl in den Passat ein: Die Infotainment-Systeme mit 6,5-, 8- oder 9,2-Zoll-Touchscreen wurden aufgerüstet, das Premium-System orientiert sich bei der Anzeige jetzt am VW Touareg. Allerdings erfordert es ein wenig Einarbeitungszeit, auf unserer ersten Testrunde haben sich vor allem die Navigations-Funktionen nicht alle von selbst erklärt. Über den Internetzugang werden nicht nur Verkehrsdaten oder Web-Radio empfangen, sondern auch der Online-Dienst "We Connect" betrieben.

Unter dem Stichwort bündelt VW digitale Services, wie die Bedienung der Standheizung per App. Man kann darüber aber auch einen digitalen Schlüssel an andere Fahrer weiter geben und sogar anderen Firmen den Zugang zum Wagen ermöglichen. Zunächst bietet der Reinigungsdienst Jonny Fresh an, schmutzige Wäsche aus dem Kofferraum abzuholen und die sauberen Hemden zu hinterlegen, und MyCleaner übernimmt die Autowäsche am Straßenrand, ohne dass man selbst anwesend sein muss. Demnächst sollen dann auch Lieferdienste eingebunden werden, die bestellte Pakete einfach im Kofferraum hinterlegen können.

Abgerundet wird die Technik-Offensive durch verbesserte Assistenzsysteme: Unter dem Namen "Travel Assist" werden Abstandstempomat und die automatische Spurführung zusammengefasst, bis 210 km/h hält der Passat nicht nur die Distanz zum Vordermann, sondern berücksichtigt auch Tempolimits und Navi-Daten, so dass er beispielsweise vor Kurven automatisch verzögert. Der überarbeitete Lenkassistent orientiert sich jetzt am Verhalten des Fahrers, und hält den Wagen wahlweise mittig, eher links oder eher rechts in der Spur; das neue kapazitive Lenkrad erkennt Berührungen und braucht keinen Lenkimpuls mehr um zu wissen, dass der Fahrer die Hand am Volant hat. Und merkt der Passat, dass der Fahrer auch nach einer aufwendigen Warnkaskade nicht eingreift, bringt der Emergency Assist den Wagen nicht nur sicher zum Stillstand, sondern lenkt ihn an den rechten Fahrbahnrand.

Saubere Motoren und mehr E-Reichweite

Kaum was getan hat sich dagegen unter der Haube: Die Motoren-Techniker haben sich auf die Pflicht beschränkt und die Aggregate Euro-6d-Temp-fähig gemacht. Zur Wahl stehen ottoseitig drei reine Benziner (190 und 272 PS; die 150 PS-Version kommt später) und der 218 PS starke Plug-in-Hybrid GTE, der dank einer größeren Batterie jetzt 55 Kilometer rein elektrisch zurücklegen – nach WLTP-Messung! Die Diesel, die weiterhin den Löwenanteil ausmachen dürften, reichen vom 34.720 Euro teuren 1.6-TDI-Basis-Aggregat mit 120 PS bis zum 240 PS starken Zwei-Liter-Allrad-Modell.

Vor allem die 190-PS-Version ist ein veritabler Allrounder, der ruhig arbeitet, mit 400 Newtonmeter Drehmoment kräftig genug ist, um auch den vollbepackten Kombi (circa 1110 Euro extra) standesgemäß anzutreiben und trotzdem nur viereinhalb Liter brauchen soll. Serienmäßig fährt er mit 7-Gang-Doppelkupplung vor, Allrad gibt’s auf Wunsch auch. Ebenfalls überarbeitet wurde das optionale adaptive Fahrwerk, das jetzt eine deutlicher spürbare Spreizung zwischen Komfort- und Sport-Modus bietet; die meisten Fahrer dürften allerdings auch mit der ausgewogen-unaufgeregten Standard-Abstimmung des Passats glücklich werden.

Ähnliches Programm beim Superb

Unaufgeregt ist auch das Stichwort für das Superb-Facelift: Wie beim Passat, haben die Designer auch beim etwas größeren tschechische Bruder nur leichte kosmetische Retuschen vorgenommen: Ein neuer Kühlergrill, ein bisschen Chrom, ein jetzt ebenfalls ausgeschriebener Superb-Schriftzug am Heck und das serienmäßige LED-Licht mit der Option auf Matrix-Scheinwerfer sind keine große Überraschung. Auch im Superb ziehen die neuen Infotainmentsysteme ein, außerdem ist jetzt auch der Skoda mit dem beim Passat schon zuvor erhältlichen, digitalen Instrumenten zu haben. Das der Superb-Tempomat um die gleichen, teilautonomen Funktionen erweitert wurde, war genauso absehbar, wie der Einzug des Notbremsassistenten und der neuen adaptiven Dämpfer.

Selbst die Motorenpalette liest sich ähnlich: Allerdings bekommt bei Skoda für nur 32.000 Euro bereits den laufruhigen und mit 350 Newtonmetern ausreichend starken 150-PS-Zwei-Liter-Diesel, der im Passat noch auf sich warten lässt. Anders als der gleichstarke Vorgänger, entstammt der Diesel einer komplett neuen Motorengeneration, bei der unter anderem Kurbeltrieb, Abgasführung, Turbosystem, Einspritzanlage und Thermomanagement überarbeitet wurden. Alles im Dienste der Sparsamkeit, die genauen Verbrauchs-Werte liegen allerdings noch nicht vor. Allrad-Modelle hat freilich auch Skoda im Angebot, mit dem Scout gibt es nun auch den Superb als Alltrack-Pendant und mit dem tiefer gelegten Sport-Modell machen die Tschechen den R-Line-Versionen von VW Konkurrenz. Selbst der Plug-in-Hybrid hält jetzt, zum ersten Mal in der Firmengeschichte, Einzug, allerdings muss man auf den technisch mit dem Passat GTE identischen Skoda iV noch bis zum Jahreswechsel warten.

Mild-Hybrid bei Audi

Der ist beim dritten Volkswagen-Mittelklässler, dem Audi A4 kein Thema, und er wäre sicher auch nicht so einfach zu integrieren wie etwa beim Skoda Superb. Schließlich spielt der ebenfalls als Limousine, Avant und offroad-angehauchtes Allroad-Modell erhältliche Premium-Bruder aus Ingolstadt zwar größentechnisch in der gleichen Liga wie Passat und Superb, doch steckt unter dem Blech nicht der weitverbreitete Modulare Querbaukasten (MQB) sondern das Nobel-Pendant – der Längsbaukasten. Quer und längs bezieht sich dabei auf die Einbaulage des Motors, spricht der A4 nutzt eine komplett andere Architektur.

Dementsprechend konnten die Ingolstädter nicht nur den Plug-in-Hybrid nicht übernehmen, sondern die gesamte Motorenpalette unterscheidet sich von den Brüdern. Auf Benzinerseite gibt es drei Zweiliter-Vierzylinder mit 150 bis 245 PS, die jetzt immerhin mit 12-Volt-Mild-Hybrid-Technik ausgerüstet wurden – das Riemen-Starter-Generator-System soll rund einen halben Liter Sprit sparen. Dieselbe Elektro-Unterstützung gibt es zukünftig auch bei den beiden schwächeren Dieseln (136 und 163 PS), nur der 190-PS-Vierzylinder und der V6 mit 231 PS fahren zunächst ohne Elektrifizierung vor. Wie üblich, ist der quattro-Antrieb flächendeckend erhältlich und fast alle fahren ab Werk mit Doppel-Kupplungsgetriebe oder Wandlerautomatik vor; den Einstieg markiert allerdings der kleine Otto mit Frontantrieb und Schaltgetriebe – für 33.600 Euro. Wer einen Diesel will, muss bei Audi mindestens 38.900 Euro investieren.

S4 erstmals mit Diesel

Apropos Diesel: Auch der S4 fährt, zumindest in Europa, zukünftig als Selbstzünder vor. Und zwar mit dem gleichen Aggregat, das schon S5, S6 und S7 antreibt – ein Dreiliter-V6 mit 347 PS und satten 700 Newtonmeter Drehmoment, die von einer Achtgang-Automatik verwaltet werden. Hier kommt neben den Turbos zusätzlich ein elektrisch angetriebener Verdichter (EAV) zum Einsatz, für den ein 48-Volt-Bordnetz nötig wurde. Der EAV soll dem Turboloch den Garaus machen, allerdings gönnt sich der S4 trotz aller High-Tech eine kurze Gedenksekunde, ehe er nach dem beherzten Tritt aufs Gas nach vorne prescht; das ist übrigens auch bei den anderen Dieseln so und vor allem der Einhaltung der aktuellen Abgaswerte geschuldet. Weniger als fünf Sekunden für Null auf hundert sind im S4 aber trotzdem eine klare Ansage!

Anders als bei Passat und Superb, haben sich die Audi-Designer rund um Marc Lichte mächtig ins Zeug gelegt und für ein Facelift ziemlich umfassende Eingriffe ins Blech vorgenommen. Der Kühlergrill ist breiter geworden, die Schulterlinie sitzt an den Türen tiefer, um so die Radhäuser und damit die Allrad-Tradition zu betonen, und bei den sportlicher ausgestatteten Modellen gibt es an der Motorhaube einen angedeuteten Lufteinlass, den wir schon vom A1 kennen. Der soll an den Ur-Quattro erinnern, ist aber wie beim Kleinwagen auch beim A4 nur Deko. Ebenfalls serienmäßig sind jetzt auch beim A4 die LED-Scheinwerfer.

Neues Touchscreen-Infotainment

Natürlich kamen auch die Ingolstädter nicht umhin, beim Infotainment nachzubessern: Vor allem fällt auf, dass der Dreh-Drücksteller für das bisherige System raus geworfen wurde und auf dem Mitteltunnel stattdessen ein neues Ablagefach sitzt. Der neue 10,1-Zoll-Bildschirm reagiert jetzt auf Touch-Eingaben oder man bedient alles per Sprache. Technisch ist das System ein Meilenstein, wofür Audi die komplette Hardware tauschen musste. Allerdings sieht der neue Bildschirm ein wenig wie nachträglich eingebaut aus – aber genau das ist er ja auch. Auf den zweiten Touchscreen, den wir aus A6, A7 oder A8 kennen verzichtet Audi beim A4 dagegen, es bleibt hier also bei der klassischen Klimasteuerung mit echten Drehreglern und Tasten – die verschwinden dann wahrscheinlich mit der Neuauflage in ein paar Jahren.

Wo genau die Reise hingeht, ist allerdings noch offen. Freilich würde Audi mit dem A4 dem Längsbaukasten gerne treu bleiben, um alle High-End-Features aus A6, A7 und A8 nutzen zu können – wie zum Beispiel jetzt das neue Infotainmentsystem. Ein Umstieg auf den MQB allerdings könnte die Kosten pro Fahrzeug Gerüchten zu Folge allerdings um bis zu 1500 Euro senken, eine im Automobilbau ziemlich große Einsparung. Dann würde der A4 aber deutlich näher an Skoda Superb und VW Passat heran rücken – und die Entwicklungshoheit müssten die Ingolstädter auf vielen Feldern aus der Hand geben.

Quelle: n-tv.de


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