Johnsons Ankunft in der Brexit-Realität

  01 Auqust 2019    Gelesen: 1049
  Johnsons Ankunft in der   Brexit-Realität

Nach der Machtübernahme droht der Brexit-Kater: Großbritanniens neuer Premier Boris Johnson spürt heftigen Gegenwind für seinen harten Kurs gegenüber der EU - sogar in Washington.

An vollmundigen Versprechen hat es Boris Johnson noch nie gemangelt. Sein vielleicht größtes ist, Großbritannien ohne Wenn und Aber am 31. Oktober aus der EU und in eine glorreiche Zukunft zu führen - notfalls auch ohne Abkommen. Doch das brockt dem neuen britischen Premierminister schon wenige Tage nach der Amtsübernahme eine Menge Ärger ein: In Wales und Schottland hagelte es Kritik, in Irland ist Johnson mit seinen Forderungen zur Grenzfrage abgeblitzt - und jetzt droht auch noch das US-Repräsentantenhaus, ein Handelsabkommen mit Johnsons Regierung zu torpedieren.

Johnsons Woche des Missvergnügens begann in Schottland. Von der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon bekam er zu hören, dass sein Brexit-Kurs "gefährlich" sei und Großbritannien in eine Katastrophe treiben könne. Als Johnson am Dienstag in Wales eintraf, lief es kaum besser. Die Bauern im südwestlichen Teil Großbritanniens hängen an den Fördertöpfen der EU, rund 80 Prozent ihrer Einkünfte kommen aus Brüssel. Zudem drohen bei einem No-Deal-Brexit Zölle von 40 Prozent auf die für Wales wichtigen Exporte von Schaf- und Lammprodukten in die EU.

Walisischer Regierungschef kritisiert "stumpfsinnigen Optimismus"

Johnson erklärte den Walisern unverdrossen, der Brexit sei eine "historische Chance" für neue Maßnahmen zur Unterstützung der Landwirtschaft und werde den Bauern "einen besseren Deal" bescheren. Doch dass London demnächst mehr als jene 680 Millionen Pfund (rund 740 Millionen Euro) springen lassen wird, die Wales zuletzt pro Jahr von der EU bekommen hat, scheint man in Cardiff nicht so recht zu glauben. Johnson verbreite "stumpfsinnigen Optimismus" und habe "keinen Plan für die Bauern von Wales", schrieb der zur Labour-Partei gehörende walisische Regierungschef Mark Drakeford auf Twitter.

Kurz darauf telefonierte Johnson erstmals mit dem irischen Regierungschef Leo Varadkar. Großbritannien werde die EU "komme, was wolle" am 31. Oktober verlassen, sagte Johnson nach Angaben seines Büros. Sollte es doch noch ein Abkommen mit der EU geben, müsse der sogenannte Irland-Backstop daraus getilgt werden. Das Gleiche lässt Johnson derzeit auch seinen Europa-Berater David Frost erklären, der am Mittwoch und Donnerstag zu Gesprächen in Brüssel weilt.

Die Notfalllösung zur Verhinderung einer harten Grenze zwischen Irland und Nordirland ist für die irische Regierung jedoch von zentraler Bedeutung. Wenig überraschend ließ Varadkar Johnson kühl abblitzen: Londons Ansprechpartner sei nicht Dublin, sondern Brüssel - und die EU sei sich einig, das bereits verhandelte Austrittsabkommen nicht wieder öffnen zu wollen. Britische Medien nannten den Ton des Gesprächs "streitlustig" und "gereizt".

US-Abgeordnete wollen Frieden in Irland schützen

Am Mittwoch musste Johnson obendrein feststellen, dass Varadkar nicht nur 26 EU-Staaten, sondern auch das US-Repräsentantenhaus hinter sich hat. Dort stellen irischstämmige Abgeordnete einen beachtlichen Machtfaktor dar. Die Aussicht, dass Johnsons No-Deal-Politik der irischen Insel wieder eine harte Grenze und blutige Unruhen bescheren könnte, finden sie alles andere als verlockend. Die Botschaft der Amerikaner an Johnson ist klar: Sollte er das 1998 geschlossene, irisch-britische Karfreitags-Friedensabkommen gefährden, kann er den Handelsvertrag mit den USA vergessen.

Dass das britische Pfund am Mittwoch weiter an Wert verlor und die Autoindustrie des Landes neue Hiobsbotschaften sandte, geriet da fast schon zur Nebensache. Denn ein schneller Handelsvertrag mit den USA hat für Johnson elementares Gewicht, sollte es tatsächlich zum vertragslosen Bruch mit der EU kommen. In diesem Fall würde der Handel Großbritanniens mit seinem mit Abstand wichtigsten Partner über Nacht auf die Regeln der Welthandelsorganisation WTO zurückfallen. An den Grenzen würden die wieder notwendigen Kontrollen wahrscheinlich Chaos verursachen, der Handel würde durch hohe Zölle massiven Schaden nehmen.

Zwar hat US-Präsident Donald Trump erst am Montag wieder von einem "sehr substanziellen" Vertrag geschwärmt, der das Handelsvolumen zwischen den USA und Großbritannien auf das Drei-, Vier- oder Fünffache des aktuellen Werts steigern könnte. Aber selbst wenn Trump seine "America First"-Doktrin plötzlich vergäße und den Briten einen großzügigen Deal anböte, müsste dieser noch vom US-Kongress abgesegnet werden.

Bei einem No-Deal-Brexit könnte das schwierig werden. Sollte die britische Regierung das Karfreitagsabkommen gefährden, "hätte ich wenig Anlass, über einen bilateralen Handelsvertrag mit dem Vereinigten Königreich nachzudenken", sagte etwa der demokratische US-Abgeordnete Richard Neal dem "Guardian". Neil ist nicht nur Co-Vorsitzender der 54-köpfigen "Freunde von Irland"-Gruppe im US-Repräsentantenhaus, sondern auch Chef des mächtigen Finanz- und Steuerausschusses, in dessen Verantwortung Handelsverträge fallen.

Auch bei Trumps Republikanern scheint man den Frieden in Irland schützen zu wollen. Johnsons Drohung, den Backstop aufzukündigen, sei eine "unnötige Provokation", sagte der Republikaner Pete King. Notfalls seien die Irland-Freunde auch bereit, sich in der Angelegenheit mit Trump anzulegen. London versucht den Kongress derweil zu beruhigen. "Wir stehen voll hinter dem Karfreitagsabkommen und werden es aufrechterhalten", sagte ein britischer Regierungssprecher dem SPIEGEL. Wie genau das bei einem No-Deal-Brexit funktionieren soll, der eine EU-Außengrenze zwischen Irland und Nordirland zur Folge hätte, ist allerdings offen.

Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, hat im April schon einmal vorsorglich erklärt, was eine Gefährdung des Karfreitagsfriedens für einen Handelsvertrag mit Großbritannien bedeuten würde: "Er hätte nicht die geringste Chance."

spiegel


Tags:


Newsticker