„Hommage an Polen im Herzen des Ex-Hitler-Reiches“: Was der Nachbar will und was Berlin kann

  30 Auqust 2019    Gelesen: 608
  „Hommage an Polen im Herzen des Ex-Hitler-Reiches“: Was der Nachbar will und was Berlin kann

Im Vorfeld des 80. Jahrestages des Nazi-Angriffes auf Polen haben 240 Bundestagsabgeordnete die Forderung Warschaus nach einem Gedenkort für die Hitler-Opfer in Berlin unterstützt. Einzelne polnische Politiker beharren zudem auf die Zahlung von Reparationen. Der Wirtschaftshistoriker und Polen-Experte Dr. Stefan Bollinger betrachtet die Forderungen genauer.

Das Denkmal soll voraussichtlich am Askanischen Platz unweit der Kriegsruine des Anhalter Bahnhofs gebaut werden und das deutsche Besatzungs- und Vernichtungsregime in Polen in Erinnerung behalten.

Unter den 240 Unterzeichnern sind unter anderem Präsident des Bundestages Wolfgang Schäuble (CDU), seine Vizes Wolfgang Kubitzki (FDP) und Claudia Roth (die Grünen), FDP-Chef Christian Lindner, CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und die Linkspartei-Köpfe Gregor Gysi und Bernd Riexinger. Im Aufruf geht es den Politikern um die Anerkennung der Nazi-Mordbrennerei an den Polen sowie um den Antisemitismus- und Antislawismus und den Politik Nazideutschlands, mit dem Überfall nicht nur den Staat, sondern auch dessen Bürger zu vernichten. Bevor das Denkmal kommt, soll der Bundestag im Herbst darüber noch abstimmen. Nur die AfD hat sich dem Aufruf enthalten.

Polen als Hauptopfer Hitlers?

In Deutschland sei noch die Vorstellung verbreitet, sagte einer der Initiatoren des Denkmalbaus, Manuel Sarrazin (Die Grünen), gegenüber der führenden polnischen Zeitung „Rzeczpospolita“, dass die Nazis mit ihrer brutalen Unterdrückungspolitik gegen die Polen erst nach dem Überfall auf die Sowjetunion begonnen hätten. Der Vorstellung zufolge seien die Russen die Hauptopfer des Krieges, daher stehe das Sowjetische Ehrenmal im Tiergarten, daher sei 2004 auch das Denkmal für die ermordeten Juden Europas eröffnet worden, verweist die „Rzeczpospolita“ auf Sarrazins Stellung zur „Hommage an Polen im Herzen des ehemaligen Dritten Reiches“. Diese Vorstellung ist dem Politiker zufolge falsch, denn schon ab dem 1. September 1939 hätten die Wehrmacht, die SS, die Gestapo und andere nationalsozialistische Gruppen mit einer brutalen Politik der Versklavung und der anschließenden Ermordung der polnischen Nation begonnen. Es sei an der Zeit, dass ein Denkmal im Zentrum Berlinsdaran erinnere.

„Der deutsche Faschismus hat in der Tat einen Völkermord gegen Polen und alle Slawen begonnen, die massenhafte Ermordung der polnischen  Intelligenz, die Ermordung der polnischen Juden gehört dazu“, kommentiert der Wirtschaftshistoriker und Osteuropa-Experte Dr. Stefan Bollinger gegenüber Sputnik.

Er verweist in diesem Zusammenhang auf den Generalplan Ost, der nicht nur für Polen, sondern auch andere Slawen den Weg in die Sklaverei vorgesehen habe.

Daher hält der Historiker ein Denkmal für die ermordeten Polen in Berlin für sinnvoll. „Allerdings steht noch die Frage, was mit anderen Opfergruppen - den ähnlich gebeutelten, prozentual ähnlich stark betroffenen Bürgern der Sowjetunion und Jugoslawiens zu tun ist.“ Es wäre auch sinnvoll, an das Denkmal für die gefallenen polnischen Soldaten im Berliner Friedrichshain zu erinnern, so Bollinger.

Warschau fordert weiterhin Reparationen

Je näher der 1. September, desto öfter sind aus Warschau die Forderungen nach deutschen Reparationszahlungen zu hören. So hatte der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz Mitte August der dpa gesagt, Polen fühle sich beim Thema deutsche Reparationszahlungen nach wie vor benachteiligt. Seit 2015 setzt auch die rechtskonservative PiS-Partei das Thema Entschädigung auf die Tagesordnung. Nach polnischen Berechnungen belaufen sich die von Deutschland verursachten Kriegsschäden auf etwa 800 Milliarden Euro. Ob diese Forderungen gerecht sind?

„Im Zuge der rechtskonservativen Neuorientierung westlicher Politik sucht die PiS in Polen die nationalistische Karte gegenüber Deutschland auszuspielen - unberechtigt“, kommentiert Bollinger weiter.

Die DDR habe 1950 die Oder-Neiße-Grenze anerkannt, was letztlich erst das in Vereinigung begriffene Deutschland 1990 für nötig gehalten habe. Die Volksrepublik Polen hätte dazu gemeinsam mit der Sowjetunion 1954 auf Reparationen verzichtet, argumentiert der Historiker weiter, wobei Polen bis dahin aus dem sowjetischen Anteil der in der SBZ bzw. der DDR entnommenen Reparationen bedient worden wäre. Das sei damals eine politische Entscheidung gewesen und nicht die Feststellung, dass damit die Schäden und Opfer der deutschen Okkupation und Mordbrennerei jemals bezahlt werden könnten.

„Da es 1990 keinen Friedensvertrag mit Deutschland gab, der eigentlich solche Fragen hätte lösen müssen, sondern nur Zwei-plus-Vier-Verträge, denen aber die Nachbarn faktisch zustimmten, ist diese Angelegenheit aus meiner Sicht völkerrechtlich erledigt“.

Wie der polnische Politologe und Publizist Konrad Rękas seinerseits gegenüber Sputnik Polska kommentierte, seien die Forderungen „ein Unsinn, selbst ein Propagandatrick der PiS-Politiker für die Innenpolitik mit Widerhall auf der internationalen Arena“.

„Wollen wir ehrlich sein: die PiS-Politiker erzählen Geschichten über die Milliarden, die Polen angeblich von Deutschland erhalten wird, um die Aufmerksamkeit von den tatsächlichen Milliarden abzulenken, die Polen an den israelischen Staat zahlen muss“, glaubt Rękas.

Laut Sarrazin aber hat die Bundesregierung in den letzten drei Jahren ihre Haltung zu den geforderten Entschädigungen etwas geändert. Die Rede soll aber nicht von den Milliarden Euro sein, sondern von dem Wiederaufbau des Sächsischen Palais in Warschau, das 1944 von der Wehrmacht zerstört worden war.

sputniknews


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