Fassen wir einmal kurz zusammen: Ein Immobilienhändler und Hotelbesitzer, der in seinem Leben vermutlich noch kein Buch über Außenpolitik gelesen hat und der mit Sicherheit Probleme hätte, den Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten zu erklären, regiert die USA, das mächtigste Land der Erde: Donald Trump.
Ihm gegenüber stehen Fanatiker und Militaristen, die in den vergangenen 40 Jahren morgens, mittags und abends nur eine Parole gehört haben, nämlich dass Amerika der Todfeind sei: die iranischen Mullahs.
Dazwischen: Ein 34 Jahre alter Erb- und Öl-Prinz, der den Ehrgeiz hat, sein Land zu neuer Größe zu führen, und der mutmaßlich keine Skrupel kennt, jede Art von Widerstand mit der Knochensäge zerkleinern zu lassen: Mohammed bin Salman von Saudi-Arabien.
So ist die Lage. Wer kann da noch ruhig schlafen?
Eben: Es ist eine gefährliche Mischung aus Inkompetenz, Hybris und Fanatismus, die derzeit im Nahen Osten angerührt wird. Tatsächlich könnte die Welt nur noch einen Tweet von der nächsten großen Kriegskatastrophe entfernt sein. Eine Kettenreaktion ist denkbar: Nach der Attacke auf saudi-arabische Ölfelder greift Saudi-Arabien den Erzrivalen Iran an, Iran schlägt zurück, die USA eilen den Verbündeten in Riad zur Hilfe, Irak wird mit in den Krieg gezogen, Israel ebenso, und schon steht eine ganze Region in Flammen.
Trump, der Herr über Krieg und Frieden
Kann alles passieren. Und doch auch wieder nicht. Letztlich hat es der Immobilienhändler in der Hand. Donald Trump ist der Herr über Krieg und Frieden. Und bei ihm muss man wissen: Er denkt bei allem, was er tut, vor allem erst einmal an eine Person - an Donald Trump.
Was bringt Trump ganz persönlich ein Krieg mit Iran? Nichts. Das macht einen großen Konflikt (derzeit) nicht unmöglich, aber doch eher unwahrscheinlich. Der Egoismus des Präsidenten könnte sich in diesem Fall ausnahmsweise als eine gute Sache erweisen.
Amerikas Wähler, auch Trumps Wähler, sind mehr als kriegsmüde. Viele sind es leid, dass sich die USA in Übersee engagieren, während im Land die Straßen voller Schlaglöcher sind. Mit dem Versprechen, die Einsätze der US-Soldaten in Afghanistan und Syrien zu beenden, hat Trump seinen Wahlkampf bestritten - und gewonnen. Ein erneuter Krieg würde großes Unverständnis auslösen, auch bei den eigenen Leuten.
Das weiß Trump genau, und das erklärt, warum er nach den Angriffen auf die saudi-arabischen Ölanlagen wieder einmal zaudernd wirkt: Noch am Sonntag drohte er Teheran mehr oder weniger direkt, die USA seien jederzeit bereit zurückzuschlagen. Dann spielte er den Vorfall am Montag wieder herunter. "Alles ist gut", antwortete er auf die Frage von Reportern nach dem steigenden Ölpreis. Und: Er würde einen Krieg mit Iran "gerne vermeiden".
Er hofft weiter auf den großen Deal
Trump ahnt wohl: Ein schneller militärischer Erfolg gegen Teheran, den er seinen Wählern verkaufen könnte, ist nicht garantiert. Stattdessen müssten sich die USA womöglich auf ein blutiges, langwieriges und teures Gemetzel einstellen, das an vielen Fronten geführt würde. Ein Angriff der Saudis oder Amerikaner würde die Iraner zusammenschweißen und den Widerstandswillen stärken. Und selbst bei einem begrenzten Militärschlag wäre ein rasches Einknicken Teherans an der Verhandlungsfront nicht sicher.
Trumps oberstes Ziel ist die Wiederwahl. Iran ist da letztlich zweitrangig. Allein der Wahlkampf 2020 zählt. Da kann er einen Krieg, der Tote und wirtschaftliche Probleme bringt, nicht gebrauchen. Die diplomatische Lösung ist weiterhin auch für Trump der beste Weg in dieser Krise. Er hofft auf den großen "Deal", um in Trumps Wortwahl zu bleiben.
Die Iraner wiederum wissen das genau und versuchen, den Präsidenten mit gezielten Provokationen zu Verhandlungen zu zwingen, bei denen er auch Zugeständnisse machen muss. Etwa, indem er die Sanktionen gegen das Regime lockert.
So weit, so rational. Es gibt nur eine große Unbekannte. Teheran sollte sie bei dem gefährlichen Spiel tunlichst im Blick behalten. Wenn Amerikaner durch Angriffe sterben, kann die Sache sehr schnell sehr anders aussehen. Das kann kein US-Präsident einfach so wegreden, wenn er sein Amt behalten will, auch nicht der Friedensfreund Trump. Tote US-Bürger oder Soldaten würden automatisch den alten, gelernten Reflex auslösen, vielleicht sogar bei Demokraten: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Quelle : spiegel.de
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