Amin Nasser ist der Vorstandsvorsitzende von Saudi Aramco. Der 61-jährige Ingenieur, ein leiser Mann mit rahmenloser Brille, führt den weltgrößten Ölkonzern mit 76.000 Mitarbeitern. In wenigen Wochen will er ihn an die Börse bringen. Die internationalen Finanzmärkte warten schon voller Spannung darauf. Denn Aramco soll der größte Börsengang der Menschheitsgeschichte werden. In Riad erhofft man sich eine gigantische Marktbewertung von mehr als zwei Billionen Dollar. Zum Vergleich: Die Lufthansa ist sieben Milliarden wert. Aramco soll also so teuer werden wie 300 Lufthansa-Konzerne zusammen.
Nun haben die Drohnenangriffe - ob sie nun von jemenitischen Huthi-Rebellen oder von anderen iranischen Hilfstruppen gekommen sind - Saudi-Arabien nicht bloß militärisch und politisch empfindlich getroffen. Vor allem der wirtschaftliche Schaden ist enorm. Denn schlagartig ist die Bewertung von Aramco dramatisch abgesackt. "Globale Investoren sehen ab sofort die Sonderrisiken bei Aramco viel größer als bislang. Die Assets werden daher massiv heruntergestuft", heißt es bei Petro-Analysten aus London. Selbst wenn die Ölproduktion sich rasch wieder normalisieren sollte, werde der langfristige Wert des Unternehmens völlig neu eingeschätzt: "Man erkennt die Verletzlichkeit von Aramco. Niemand sieht den Konzern jetzt langfristig mehr wert als 1,5 Billionen Dollar." Damit hat der Raketenangriff Saudi-Arabien mindestens 500 Milliarden Dollar in einer einzigen Nacht gekostet.
Geplant war eine Erstnotiz des Konzerns bereits für Anfang November. Der neu installierte saudi-arabische Energieminister Prinz Abdulaziz bin Salman tönte noch vergangene Woche, dass das Königreich den Börsengang von Aramco "so schnell wie möglich" anstrebe. Man wollte die ersten Aktien - es sollte mit einem Prozent gestartet werden - zunächst an die heimische Börse bringen und im Jahr 2020 dann an einen internationalen Handelsplatz, wahrscheinlich London. Nun gerät dieser Zeitplan ins Wanken.
Viel profitabler als Apple
Der Verkauf von Aramco-Anteilen ist das Prestigeprojekt von Kronprinz Mohammed bin Salman. Er wollte die Verkaufserlöse in neue Industrien investieren, um die saudische Wirtschaft jenseits von Öleinnahmen zu diversifizieren. Sein Plan sah vor, erst einmal fünf Prozent der Aramco-Anteile zu platzieren und damit 100 Milliarden Dollar zu erlösen. Daraus wird nun nichts.
Unter Analysten und Bankern wird fortan gestritten werden, was Aramco unter den neuen Vorzeichen wohl wert sein könnte. Die saudischen Agenten verbreiten das Argument, der profitabelste Konzern der Welt erleide in Wahrheit keinen nennenswerten Schaden und strotze vor Ertragskraft. Tatsächlich zeigt ein Blick in die Halbjahreszahlen (der bislang so streng verschwiegene Konzern macht für den Börsengang seine Bilanzzahlen neuerdings öffentlich:
https://www.saudiaramco.com/-/media/publications/corporate-reports/saudi-aramco-h1-2019-half-yearly-report-english.pdf), dass Aramco im ersten Halbjahr 2019 einen unglaublichen Vorsteuergewinn von 92,5 Milliarden Dollar und einen Umsatz: von 163,9 Milliarden Dollar erwirtschaftet hat.
Das heißt: Aramco macht jeden Tag 500 Millionen Dollar Gewinn. Täglich fördert das Unternehmen zehn Millionen Barrel, dreimal so viel wie der Ölkonzern ExxonMobil. Alleine an Dividenden hat Aramco im ersten Halbjahr 46,6 Milliarden Dollar ausgezahlt. Bislang gilt Apple als das profitabelste Unternehmen der Welt - doch Aramco verdient schlichtweg dreimal so viel wie der amerikanische Computerkonzern.
Gefahr durch westliche Klimapolitik
Zum Vergleich: Die bekanntesten Ölkonzerne der Welt - Chevron und Exxon Mobil aus den USA, BP aus Großbritannien, das britisch-niederländische Unternehmen Royal Dutch Shell und Total aus Frankreich - erzielten 2018 knapp 80 Milliarden Dollar Gewinn, allerdings zusammengerechnet. Betrachtet man also die gewaltige Ertragskraft von Aramco und die enormen Rohöl-Reserven, dann wäre eine Börsenbewertung von deutlich mehr als 1,5 Billionen immer noch gerechtfertigt.
Die Skeptiker allerdings argumentieren, dass der jetzige Anschlag zeige, wie anfällig der Konzern sei. Sollte sich der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran ausweiten, würde Aramco unmittelbar Schaden nehmen. Zugleich sei der Saudi-Konzern der weltgrößte Verlierer, wenn sich die westliche Welt im Zuge einer neuen Klimapolitik tatsächlich dekarbonisiere, seine Energieversorgung ohne Öl organisiere und Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren ersetze.
Amin Nasser erinnert Investoren daran, dass man alsbald kein reiner Ölkonzern mehr sei. Man habe vor kurzem für gut 69 Milliarden US-Dollar (61,1 Milliarden Euro) die Mehrheit am saudi-arabischen Chemiekonzern Sabic erworben. Sabic stellt Kunststoffe, Metalle und Düngemittel her und ist mit einem Anteil von 25 Prozent auch Großaktionär beim Schweizer Spezialchemiekonzern Clariant. Nasser setzt also auf Chemie im "Downstream-Segment" und verkündet: "Wir bauen unser Handelsgeschäft aus und intensivieren unsere Innovationstätigkeiten durch wegweisende Initiativen wie die Herstellung von Rohstoffen und Chemikalien, nichtmetallischen Werkstoffen und Wasserstoffkraftstoffen." Die Diversifikation wird aber nichts nutzen, wenn die eigenen Großraffinerien niedergebombt und Öl langfristig ein Auslaufmodell werden könnte. So oder so: 500 Milliarden sind nach dem ersten Angriff erst einmal weg.
Quelle: n-tv.de
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