Noch ein Jahr bis zur US-Präsidentschaftswahl und Donald Trump, als hätte er noch nicht genug davon, sieht sich seit vergangener Woche einem gravierenden Problem gegenüber. Was genau war der Inhalt seines Telefongesprächs im Juli mit dem neu gewählten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj? Der Vorwurf: finanzielle Militärhilfe der USA im Tausch für schmutzige Informationen gegen Konkurrent Joe Biden und dessen Sohn. Gibt es Belege dafür, wäre es Anlass für ein Amtsenthebungsverfahren. "Unausweichlich" in diesem Fall, sagte Adam Schiff, der demokratische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Kongress.
Die Ukraine-Affäre könnte sich andererseits sofort erledigen, falls das Weiße Haus das Gesprächsprotokoll des Telefonats herausgibt. Bislang ist das nicht geschehen. Trump ist sich keiner Schuld bewusst, sagt inzwischen, er habe keinerlei Druck auf Selenskyj ausgeübt. Zugleich schimpft er auf Twitter und beschuldigt die Bidens als korrupt. Am Sonntag gab er deutlich zu verstehen, dass er im Juli tatsächlich mit Selenskyj über Biden geredet hatte. "In der Unterhaltung ging es […] darum, dass wir nicht wollen, dass Leute wie Vizepräsident Biden und sein Sohn zur Korruption in der Ukraine beitragen […]." In der Nacht zum Montag twitterte Trump triumphierend eine Aussage der ukrainischen Regierung, es sei beim Telefonat kein Druck ausgeübt worden.
Ganz so harmlos wie Trump glauben machen will, dürfte das Gespräch nicht gewesen sein. Sonst hätte nicht ein Geheimdienstler aufgehorcht und sich dazu veranlasst gefühlt, das Telefonat intern zu melden. Der Empfänger, Geheimdienst-Generalinspekteur Michael Atkinson, hatte den Inhalt des Berichts als glaubwürdig und "dringendes Anliegen" eingestuft. Der Bericht des Whistleblowers sollte innerhalb einer Woche an den Kongress und damit auch an den von oppositionellen Demokraten dominierten Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses übersandt werden. Doch der dafür verantwortliche Interims-Geheimdienstkoordinator Joseph Maguire weigert sich. Die Demokraten gehen davon aus, dass die Weisung dazu aus dem Weißen Haus kommt.
Giuliani vs. Biden
Trump sieht Ex-Vizepräsident Joe Biden als gefährlichsten Mitbewerber bei der kommenden Wahl. Es läge also nahe, dass er auslotet, wie er ihm schaden könnte. Es ist in der US-Politik nicht ungewöhnlich, in der Vergangenheit der Konkurrenz nach Schmutz zu wühlen und sie damit medial zu bewerfen. Im Fall Bidens geht es um den Vorwurf, er habe in seinem Amt als Vizepräsident von Barack Obama die Ukraine dazu gebracht, Ermittlungen gegen seinen Sohn einzustellen. Das wäre ein klarer Fall von Korruption - Biden hätte sein Amt genutzt, um ein Familienmitglied zu schützen. Der ukrainische Generalstaatsanwalt sagte jedoch, weder Joe noch Hunter Biden hätten sich etwas zuschulden kommen lassen.
Gegen Trump werden wegen des Telefonats verschiedene Vorwürfe laut. Von Erpressung oder Schmiergeld ist die Rede, von kriminellem Verhalten. Aber politisch gesehen ist der Vorwurf viel gravierender, wenn er die 250 Millionen US-Dollar aus dem US-Haushalt genutzt hat, um an Informationen gegen Joe Biden und seinen Sohn zu kommen, um diese Informationen dann im Wahlkampf gegen seinen politischen Gegner zu verwenden. Das wäre irgendwo zwischen Korruption, Amtsmissbrauch und illegaler Wahlkampfhilfe - oder alles zusammen.
Eine Schlüsselfigur ist Trumps Anwalt Rudy Giuliani. Kurz nachdem Biden im April ins Rennen um die Kandidatur eingestiegen war, kündigte Giuliani einen Trip in die Ukraine an, um Druck auf die dortige Regierung auszuüben. Sie sollte ihre Ermittlungen gegen die Bidens fortsetzen. Die Reise fand dann doch nicht statt, aber mit Hilfe von zwei ukrainischen Geschäftsleuten war der Anwalt über Monate in Kontakt mit mehreren ukrainischen Ermittlern, schreibt das Investigativteam von "Buzzfeed". Bei den Treffen in mindestens fünf verschiedenen Ländern, "von Washington über das israelische Büro eines ukrainischen Oligarchen, der eines Multimilliarden-Betrugs verdächtigt wird, bis in die Räumlichkeiten des französischen Senats", ging es um Informationen gegen Biden.
Mitarbeiter der US-Botschaft in Kiew wussten von den meisten Treffen nichts, schreibt die "Washington Post". Zugleich sei die ukrainische Regierung demnach unsicher gewesen, ob Giuliani überhaupt für die US-Regierung spreche. Der ehemalige Bürgermeister von New York City ist weder Jurist im Weißen Haus, der Regierung, noch seines Wahlkampfteams. Die neue ukrainische Regierung unter Selenskyj zeigte nicht viel Interesse an dem Biden-Fall. Vergangenen Monat traf sich Giuliani jedoch mit einem von Selenskyjs Vertrauten in Madrid, der ihm dessen Aussage zufolge versprochen haben soll, dem Fall Biden "auf den Grund zu gehen".
Eine Woche später, am 28. August, fror Trump die vom US-Außenministerium bereits abgesegnete Militärhilfe von 250 Millionen Dollar ein. Da sich Maguire weigerte, den Whistleblower-Bericht dem Kongress vorzulegen, informierte Atkinson das Parlament darüber. Am selben Tag, dem 9. September, kündigten drei von Demokraten kontrollierte Ausschüsse des Repräsentantenhauses eine Untersuchung darüber an, ob Giulianis Ukraine-Aktivitäten illegal sind. Wenige Tage später gab Trump die Finanzhilfe an die Ukraine wieder frei. Als die Demokraten ankündigten, den Whistleblower-Bericht per Subpoena von einzufordern, legten die USA laut Selenskyj noch einmal 140 Millionen US-Dollar oben drauf. Es ist weder bekannt, warum Trump 250 Millionen Dollar vorübergehend nicht auszahlen wollte, noch, wofür das zusätzliche Geld bestimmt ist.
Neue Ermittlungen möglich
Der Präsident habe die Bereitstellung der Hilfen am Telefon nicht erwähnt, sagt eine Quelle des "Wall Street Journal", wohl aber mindestens acht Mal den Wunsch nach Ermittlungen gegen Biden geäußert. Es wäre erstaunlich, hätte Trump offen gedroht: Sein ehemaliger persönlicher Anwalt Michael Cohen hatte im Februar bei einer Anhörung beschrieben, dass der Präsident anders vorgehe. "Während ich für ihn in Russland verhandelte, guckte er mir in die Augen und sagte, dass er keine Geschäfte in Russland mache, ging hinaus und sagte das Gleiche der Presse", so Cohen. "Es war seine Art mir zu sagen, dass ich lügen soll."
Die Demokraten sind seit Beginn der Russland-Affäre und auch nach dem Bericht des Sonderermittlers Robert Mueller zerstritten darüber, unter welchen Umständen ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump zur Abstimmung gestellt werden sollte oder nicht. Für sie wird die Lage nun komplizierter. Am Wochenende verschickte die demokratische Mehrheitsführerin Nancy Pelosi einen Brief an ihre Parteikollegen im Repräsentantenhaus. Sollte der Whistleblower-Bericht weiterhin dem Kongress vorenthalten werden, schreibt sie darin, werde "ein neues, dunkles Kapitel der Gesetzlosigkeit beginnen". Dies werde zu "einer neuen Stufe von Ermittlungen" führen. Ob die in einem Amtsenthebungsverfahren enden, hängt von den Ergebnissen ab.
Quelle: n-tv.de
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