Eigentlich sollte dies ein Bericht über eine kleine deutsch-ukrainische Wirtschaftskonferenz werden, die am Mittwoch in Berlin stattfand. Allerdings nahm das Politik-Panel, das die Veranstaltung eröffnete, eine so überraschende Wendung, dass sich der Autor entschied, ausschließlich darüber zu berichten. Zu verdanken ist dies dem amtierenden Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk.
Des Teufels Advokat
Melnyk wurde Ende 2014 vom damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Berlin eingesetzt. Der 44-jährige Jurist aus dem westukrainischen Lemberg erwies sich schnell nicht nur als Sprachrohr seines Präsidenten, sondern bemühte sich gar oft, noch einen Zacken schärfer zu sein als sein kriegslüsterner Boss. In vielen Interviews, bevorzugt mit der „Bild“-Zeitung, malte er die „Aggression Russlands“ in den bluttriefendsten Farben aus. Zuletzt regte er sich massiv über die Rückkehr Russlands in den Europarat auf, die er als „fatalen Fehler“ bezeichnete. Forderungen der ostdeutschen Ministerpräsidenten nach einem Ende der Russland-Sanktionen verurteilte er stets „auf das Schärfste“. Nach den Vorfällen in der Straße von Kertsch Ende vergangenen Jahres forderte Melnyk einen kompletten Importstopp von russischem Öl und Gas nach Deutschland. Die Liste der Entgleisungen des Botschafters über die vergangenen Jahre ließe sich umfangreich fortsetzen. Über die Zeit hatte er sich dafür, vor allem in den transatlantischen Springer-Medien, ein ordentliches Netzwerk aufgebaut, wo ihm jederzeit die Bühne geboten wurde für Offene Briefe, Kommentare oder Interviews, in denen er sich – lange bevor US-Botschafter Grenell dies zu seinem Markenzeichen machte – herausnahm, sich in die deutsche Politik einzumischen und jeden zu maßregeln, der es wagte, den Teufelsstatus Russlands in Frage zu stellen.
Wes Brot ich ess…
Nun haben sich die politischen Verhältnisse in Kiew in diesem Sommer dramatisch geändert. Die Ukraine hat einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament gewählt. President Wladimir Selenski tauscht nach und nach den kompletten Staatsapparat aus. Vor allem der engste Kreis der Stiefellecker des Ex-Präsidenten Poroschenko ist ihm ein Dorn im Auge. Wird Melnyk der nächste auf der Abschussliste sein? Es sieht ganz danach aus.
In Berlin traf Melnyk am Mittwoch bei den „9. Wirtschaftspolitischen Gesprächen“ in der Bundespressekonferenz in Berlin auf Geo Leros, Mitglied der Verhovna Rada, dem Parlament der Ukraine, und persönlicher Berater des neuen Präsidenten. Moderiert wurde die Diskussion von Ex-Wirtschaftsminister und Ministerpräsident a.D. Wolfgang Clement.
Ob es nun daran gelegen hat, dass Melnyk am Mittwoch Geburtstag hatte oder daran, dass er gegenüber dem Selenski-Vertrauten für seinen Verbleib im Staatsapparat werben wollte – Der Botschafter war jedenfalls nicht wiederzuerkennen. Er wirkte fast sympathisch. Melnyk lobte nicht nur die neue Regierung in Kiew in jedem zweiten Satz und erwähnte nicht ein Mal seinen alten Lehnsherren Poroschenko. Der sonst so aggressive Botschafter sprach auch nicht ein einziges Mal vom „Aggressor Russland“, was sonst seine Lieblingsphrase war.
Versöhnung? Mit Russland? Von Lissabon bis Wladiwostok?
Nachdem sich alle in der Runde kurz vorgestellt hatten, legt Wirtschaftsexperte Clement den Finger in die Wunde und fragte den Botschafter, ob denn Wirtschaftswachstum in der Ukraine ohne ein besseres Verhältnis zu Russland überhaupt möglich sei. Die Frage ist insofern berechtigt, denn, obwohl allein Deutschland in den letzten fünf Jahren 1,4 Milliarden Euro in das Land pumpte und die EU alle Zollschleusen öffnete, investiert niemand in das ärmste Land Europas und der Lebensstandard steigt nicht seit dem Maidan-Umsturz.
Melnyk räumte daraufhin ein, dass vor dem Krieg in der Ostukraine der Handel mit Russland 30 Prozent, also fast ein Drittel, des gesamten ukrainischen Außenhandels ausgemacht habe. Inzwischen sei das Russlandgeschäft auf sechs Prozent eingebrochen. Gewöhnlich freut sich der Botschafter darüber, sprach er sich doch sonst für ein vollständiges Einstellen des Handelns mit Russland aus und unterstrich, dass die Zukunft der Ukraine in der EU und Nato liege. Nicht so diesmal in Berlin. Melnyk räumte ein, dass noch vor fünf Jahren Milchprodukte aus der Ukraine 50 Prozent des gesamten russischen Marktes, „des größten Landes der Erde“, wie Melnyk sich ausdrückte, abdeckten. „Das Potenzial ist also da“, ergänzte er. Man müsse nur so schnell wie möglich den Krieg beenden. „Wenn die Versöhnung abgeschlossen ist, dann kann man sich vorstellen, dass Russland auch wieder eine größere Rolle für uns spielen wird. Davon bin ich überzeugt.“, sagte der Botschafter. Versöhnung? Mit Russland? Spätestens jetzt war sich bestimmt so mancher Zuhörer nicht mehr sicher, ob dies derselbe Andrij Melnyk ist, der vor nicht mal einem Jahr in der „Bild“ forderte, deutsche Kriegsschiffe in der Ukraine gegen Russland in Stellung zu bringen.
Melnyk berief sich dann sogar auf den Traum eines „gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok“ – eine Idee, die vor allem vom russischen Präsidenten Putin angestrebt wird. Der Botschafter sagte nun in Berlin gar: „Diese Vision haben wir auch“. Für den ukrainischen Botschafter ist das eine schier unglaubliche Aussage. Das dürfte so manchem Strategen jenseits des Ozeans nicht gefallen. Wer die große Weltpolitik verfolgt, dem sollte klar sein, dass ein Grund für die Unruhen in der Ukraine genau diese Vision darstellt – ein starker Wirtschaftsraum von Russland über die Ukraine bis zur EU soll verhindert werden.
Die Herzen der Menschen zurückgewinnen
Geo Leros, der auf dem Konferenz in Berlin die neue Regierungsmannschaft der Ukraine repräsentierte, gab sich ähnlich wie sein Präsident – jung und cool mit grüner Krawatte und roten Socken. Leros, der bis vor kurzem hauptberuflich Fotograf und Künstler war, erzählte, dass 80 Prozent der Mitglieder des neuen Parlaments der Ukraine neu seien und keine Politikerfahrung hätten. Das Durchschnittsalter in der neuen Verhovna Rada beträgt 33 Jahre. Und der Leros sprach in Berlin ausschließlich auf Russisch, was an sich schon ein Affront für den anwesenden Botschafter gewesen sein dürfte, der sich konsequent auf Ukrainisch äußert.
Im Weiteren ging es in der Diskussion um den Donbass und die nicht anerkannten Volksrepubliken. Auch dort hätte Kiew den Fehler begangen, die russische Sprache verbieten zu wollen, so Leros. Der junge Abgeordnete sprach von einem „Versagen kultureller Diplomatie im Donbass und auf der Krim“. Und dies sei nicht erst bei der Regierung Poroschenko der Fall gewesen sein, sondern schon vorher seien diese Regionen „vernachlässigt und verloren“ worden, so Leros. „Man muss die Herzen der Menschen zurückgewinnen. Wir sind bereit, den Menschen dort wieder zuzuhören.“
Des Widerspenstigen Zähmung
Botschafter Melnyk beschwichtigte daraufhin, dass es sicher Unterschiede zwischen den Menschen „in meiner Heimatstadt Lemberg“ und den Menschen in der Ostukraine gäbe. Aber „das ist wie zwischen Schleswig-Holstein und Bayern“, so der Botschafter.
„Die Sprache war dabei immer ein Thema. Wie Sie sehen, spricht mein neuer Kollege aus der Rada Russisch, wie auch Präsident Selenski und viele Menschen auf der Straße in der Ukraine. Das ist kein Problem.“, meinte der gezähmte Melnyk. Der Botschafter sorgte sich nun auch plötzlich um die Menschen in der Ostukraine, die er bisher gewöhnlich als Terroristen bezeichnete: „Wir sollten mit den Menschen in der Ostukraine keine Zeit verlieren, sonst verlieren wir sie. Zumal ja in den Separatistengebiet die Kinder nun kein Ukrainisch mehr lernen in der Schule.“
Abgesehen davon, dass der Botschafter sogleich den Zungenschlag des Gesandten des neuen Kiews aufnahm („…sonst verlieren wir sie“), stimmt die Information über Ukrainisch an Schulen in Donezk und Lugansk nachweislich nicht. Im Gegenteil, in Kiew ist noch unter Poroschenko ein Gesetz beschlossen worden, das die russische Sprache aus dem öffentlichen Raum verdrängen soll. Unterrichtssprache im gesamten Bildungswesen in der Ukraine darf künftig nur noch Ukrainisch sein.
Melnyk räumte allerdings ein, selbst seit vielen Jahren nicht mehr in der Ostukraine gewesen zu sein. Mangelnde Ortskenntnis hielt den Botschafter aber schon in der Vergangenheit nicht vor drastischen Behauptungen ab. So meinte er im März im Deutschlandfunk zum jetzigen Leben auf der Krim: „Die Krimtataren, eine große Minderheit, werden verfolgt, fast wie zu Stalin-Zeiten.“.
Neue Besen kehren gut
Geo Leros, der junge Berater des ukrainischen Präsidenten´, erzählte weiter vom neuen Wind in Kiew. Er betonte, was für ein Erfolg es sei, dass Präsident Selenski den Dialog mit Präsident Putin eröffnet hat, was bereits zu dem großen Gefangenenaustausch geführt hat.
Leros unterstrich, dass neben dem Frieden in der Ostukraine das Hauptziel der neuen Administration die Bekämpfung der Korruption sei. „Wir werden in den nächsten Monaten große Prozesse erleben und vielleicht kommen auch ein paar ganz hohe Beamte oder Politiker hinter Gitter.“, warnte Leros. In der Ukraine laufen derzeit mehr als ein Dutzend Ermittlungsverfahren gegen Ex-Präsident Pedro Poroschenko.
Auch Melnyk bestätigte prompt, dass die Hauptgründe für die geringen ausländischen Investitionen in die Ukraine der Krieg im Osten und die Korruption seien. Darum sei Melnyk froh ob der Initiativen der neuen Regierung für den Frieden im Donbass im Austausch mit Russland und auf internationaler Ebene mit Frankreich und Deutschland.
Die Art und Weise, wie Leros, der nicht einmal besonders hoch steht in der Administration Selenskis, sich erlaubte, den Botschafter – wenn auch freundlich – zu unterbrechen und zu korrigieren, deutete darauf hin, dass Melnyk in Selenskis Team bereits abgeschrieben ist. Der Fakt, dass Melnyk sich in Berlin gegenüber Selenskis Vertreter sanft wie ein Lamm präsentierte, dürfte ihn wohl nicht vor dem Fakt retten, dass seine Tage als Botschafter gezählt sind.
Es scheint sich tatsächlich etwas zu bewegen in der Ukraine. Das Politik-Establishment wurde ausgetauscht. Die alte Idee der permanenten Kriegsrhetorik und Konfrontation mit Russland ist gescheitert. Nicht nur das ukrainische Volk ist kriegsmüde. Selenskis Mannschaft scheint einen anderen Weg gehen zu wollen und hat in wenigen Wochen schon mehr erreicht, als Poroschenko in seiner gesamten Amtszeit. Es bleibt zu hoffen, dass Selenski diesen Weg durchhält und nicht von Nationalisten oder Oligarchen gestürzt wird.
Andrij Melnyk wird auf diesem Weg jedenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit keine Rolle mehr spielen.
sputniknews
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