Die Ukraine-Affäre stellt Donald Trumps Präsidentschaft in Frage: Am Tag zwei nach den jüngsten Enthüllungen der Whistleblower-Affäre zeichnet sich im US-Repräsentantenhaus eine Mehrheit für die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens ab.
Ob es wirklich dazu kommt, ist allerdings noch unklar. Die Entscheidung hängt auch davon ab, was die derzeitigen Ermittlungen der Ausschüsse im US-Kongress ergeben. Es folgen die wichtigsten Fragen, Antworten und Entwicklungen der vergangenen Tage.
Worum geht es im Kern?
Kurz: Ob Trump Präsident bleiben kann oder seines Amtes enthoben werden muss. Hat er Hunderte Millionen Dollar Militärhilfe aus dem US-Haushalt als Druckmittel eingesetzt, damit die Ukraine ihm "Schmutz" gegen seinen politischen Konkurrenten Joe Biden liefert?
Falls ja, läge sein Verhalten irgendwo zwischen Korruption, Amtsmissbrauch und illegaler Wahlkampfhilfe aus dem Ausland. Dafür sind die US-Amerikaner ohnehin sehr sensibilisiert. Der komplette Themenkomplex des Mueller-Report hing mit dem Vorwurf zusammen, Trump sitze nur im Weißen Haus, weil er sich mit den Russen abgesprochen haben sollte, die dann die Wahl 2016 zu seinen Gunsten beeinflussten.
Auslöser der Ukraine-Affäre ist ein Telefonat Trumps mit Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj, über das ein Geheimdienstler einen vertraulichen Bericht verfasste und an Geheimdienst-Generalinspektor Michael Atkinson schickte. Nach Einschätzung dieses sogenannten Whistleblowers geht es in dem Gespräch um Vorgänge, die möglicherweise gegen geltendes Recht verstießen.
Was enthält der Whistleblower-Bericht?
"Ich habe von mehreren Regierungsmitarbeitern Informationen erhalten, dass der Präsident der Vereinigten Staaten sein Amt benutzt, um von einem anderen Staat eine Einmischung in die US-Wahl 2020 zu erbitten. Diese Einmischung beinhaltet, unter anderem, Druck auf einen anderen Staat, gegen einen der nationalen Hauptkonkurrenten des Präsidenten zu ermitteln." So steht es wörtlich auf der ersten Seite des Berichts. US-Geheimdienstinspekteur Atkinson stufte den Bericht als glaubwürdig ein. Die "New York Times" schreibt, das Dokument sei von einem CIA-Mitarbeiter verfasst worden, der zeitweise im Weißen Haus gearbeitet habe.
Der im Bericht erwähnte "Hauptkonkurrent" ist Joe Biden. Zum Zeitpunkt des Telefonats im Juli war der Ex-Vizepräsident und ist auch heute noch aussichtsreichster Gegenkandidat Trumps im kommenden Jahr. Der Whistleblower berichtet auch, wie Trump der Ukraine Bedingungen stellte, damit er sich mit Selenskyj trifft.
Wenige Tage vor dem Telefonat ließ Trump dann - womöglich ebenfalls widerrechtlich - Hunderte Millionen Dollar an Militärhilfe einfrieren, die das osteuropäische Land für seine Verteidigung gegen die Russland-treuen Separatisten in der Ostukraine benötigt. Warum, ist unklar, und niemand aus der Regierung soll den Grund gekannt haben; weder Außenminister Mike Pompeo, noch Verteidigungsminister Patrick Shanahan. Über die Verwendung der Gelder entscheidet eigentlich der Kongress, und nicht der Präsident.
Wollte Trump das Telefonat vertuschen?
Es ist unklar, ob es eine Anweisung von Trump selbst gab. Mitarbeiter des Weißen Hauses schätzten das Telefonat Trumps mit Selenskyj dem Bericht zufolge als bedenklich ein. Anwälte aus dem Weißen Haus sollen Trumps Mitarbeiter angewiesen haben, die Transkripte von dem üblichen Speicherplatz zu löschen und auf einem Server für Geheiminformationen abzulegen. Ein Mitarbeiter nannte dies "Missbrauch", da die Dokumente nichts enthielten, was die Nationale Sicherheit betreffe.
Was sagt der Geheimdienstkoordinator?
Nachdem Atkinson den Bericht erhalten hatte, gab er ihn an Interims-Geheimdienstkoordinator Joseph Maguire, der ihn aber nicht wie vorgeschrieben an den Kongress weiterleitete. Demokraten vermuten, dass dies auf Anweisung aus dem Weißen Haus geschah. Der Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses befragte Maguire deshalb am Donnerstag öffentlich. Es entwickelte sich ein Hin und Her darüber, warum Maguire den Bericht nicht an den Kongress weiterleitete und ob es darüber Gespräche mit Trump gab. Der Geheimdienstkoordinator zog sich immer wieder darauf zurück, dass jedes seiner häufigen Gespräche mit Trump streng vertraulich sei.
Inhaltlich ließ sich Maguire zu kaum einer Aussage bringen. "Wie der Präsident Diplomatie betreibt, ist nicht meine Angelegenheit", sagte er etwa. Als ein Demokrat polterte, Trumps Verhalten sei "inakzeptabel, illegal und falsch", entgegnete Maguire, diese Vorwürfe seien "ungerechtfertigt, unwillkommen und schlecht für das Land". Als der demokratische Ausschussvorsitzende Adam Schiff ihn in die Mangel nahm und immer wieder nach einer Einschätzung ausfragte, wurde es Maguire irgendwann zu bunt: "Das Kind ist nunmal bereits in den Brunnen gefallen. [..] Der Ausschuss sollte entscheiden, ob es eine Untersuchung geben sollte." Warum der Präsident die Militärhilfe zurückgehalten habe, fragt Schiff. "Ich weiß es nicht", antwortet Maguire. Schiff giftet zurück: "Nun, ich kann ihnen sagen, dass wir es herausfinden werden."
Was steht in der Abschrift?
Trump bietet laut Transkript nicht wörtlich die Hunderten Millionen Dollar für Schmutz gegen Biden an. Aber der Präsident erwähnt immer wieder, wie gut die Vereinigten Staaten die Ukraine behandelten, obwohl sie es ja gar nicht müssten. Dann fragt Trump nach Hilfe im Fall
Trump bietet laut Transkript nicht wörtlich die Hunderten Millionen Dollar für Schmutz gegen Biden an. Aber der Präsident erwähnt immer wieder, wie gut die Vereinigten Staaten die Ukraine behandelten, obwohl sie es ja gar nicht müssten. Dann fragt Trump nach Hilfe im Fall Biden. Fast das komplette Gespräch dreht sich darum. Er erwähnt als mögliche Helfer ausdrücklich auch US-Justizminister William Barr sowie seinen Anwalt Rudolph Giuliani, der als Kontaktperson für ukrainische Verantwortliche agierte.
Das Problem: Giuliani ist Trumps Privatjurist und kein Vertreter der US-Regierung. Deshalb darf er eigentlich auch nicht offiziell mit ausländischen Regierungen kommunizieren oder gar verhandeln. Giulianis Rolle ist elementarer Baustein des Vorwurfs, Trump habe im persönlichen Interesse gehandelt.
Die US-Regierung gab die Militärhilfe erst wieder frei, als die Demokraten von dem Whistleblower-Bericht über das Telefonat erfahren hatten. Adam Schiff sieht darin "klassische, mafia-ähnliche Erpressung".
"So redet ein Mafiaboss", sagte Schiff. "Und es ist klar, dass der ukrainische Präsident genau versteht, was von ihm erwartet wird."
Steht Trump über dem Gesetz?
Das war eine der Grundfragen bei Maguires Anhörung, und viele der teilnehmenden US-Politiker betonten, dass dies nicht der Fall sein sollte. Doch wer darf den Präsidenten kontrollieren? Generalinspektor Atkinson? Der untersteht offenbar Trump. Maguire? Der hielt den Whistleblower-Bericht zunächst unter Verschluss, weil der Text angeblich das sogenannte Exekutivprivileg des Präsidentenamtes berührt.
Maguire selbst betonte, alle Geheimdienstler seien an die Weisung des Justizministeriums gebunden. Doch das ist wiederum Teil von Trumps Regierung. Die Aufgabe, den Präsidenten zu kontrollieren, muss laut US-Verfassung der Kongress übernehmen, dem - nach einer ausführlichen Untersuchung - am Ende nur das Amtsenthebungsverfahren, das sogenannte Impeachment, als Druckmittel bleibt. Was auch der Grund dafür ist, dass die Demokraten so viel Energie in die Ermittlungen gegen Trump stecken.
Gibt es eine Mehrheit für ein Impeachment?
Im von den Demokraten dominierten Repräsentantenhaus inzwischen schon, im republikanisch kontrollierten Senat nicht. Lange waren auch im Repräsentantenhaus viele Demokraten gegen ein Amtsenthebungsverfahren, weil sie keine Erfolgschancen sahen. Die einflussreichste Gegnerin war die erfahrene Mehrheitsführerin Nancy Pelosi.
Pelosis Standpunkt: So lange die amerikanische Öffentlichkeit keine Amtsenthebung will, sollten wir keine anstreben. Anfang der Woche jedoch änderte Pelosi wegen der Ukraine-Affäre ihre Meinung und preschte vor. Dutzende Demokraten folgten ihr. Die Befürworter sind nun laut "Politico" in der Mehrheit.
Um das Verfahren einzuleiten, ermitteln derzeit sechs verschiedene Ausschüsse im Repräsentantenhaus gegen Präsident Trump. Der Rechtsausschuss wird entscheiden, welcher Fall sich am ehesten eignet, und ihn anschließend dem Repräsentantenhaus zur Abstimmung vorlegen. Stimmen die Abgeordneten zu, was es in den bisher drei Impeachment-Fällen der US-Geschichte erst zwei Mal gab, dann kommt es zum formellen Amtsenthebungsverfahren im Senat. So geschehen beim Impeachment gegen die beiden Präsidenten Andrew Johnson und Bill Clinton. In beiden Fällen wurden die Amtsinhaber im Senatsprozess - also in letzter Instanz - entlastet. Richard Nixon trat bereits vor der Abstimmung im Repräsentantenhaus zurück.
Wie wahrscheinlich ist eine Amtsenthebung?
Momentan sehr unwahrscheinlich. Trumps Republikaner sind im Senat in der Mehrheit, und nach einer Verhandlung müsste sich die Kammer mit einem Zwei-Drittel-Votum für eine Amtsenthebung aussprechen. Dazu dürfte es erst kommen, wenn sich in der US-Öffentlichkeit eine breite und tragfähige Anti-Trump-Stimmung festsetzen sollte. Denn nur wenn die Mehrheit der Spitzenpolitiker davon ausgehen kann, dass eine Amtsenthebung des Präsidenten für die eigene Sache von Vorteil wäre, dürften sie dem Trump tatsächlich ihre Unterstützung entziehen.
In den Umfragen ergibt sich derzeit noch ein weitgehend unentschlossenes Stimmungsbild in der Bevölkerung: In einer Befragung der Quinnipiac-Universität im Zeitraum von vergangenem Freitag bis Montag - also noch vor den jüngsten Enthüllungen zu Trumps Selensky-Telefonat - sprachen sich trotz der sich abzeichnenden Ukraine-Affäre 57 Prozent der US-Amerikaner gegen ein Amtsenthebungsverfahren aus. Diese Mehrheit könnte schrumpfen, wenn die Erkenntnisse aus der Telefonmitschrift und aus dem Whistleblower-Bericht ihre volle Wirkung entfalten. Dann dürfte nicht nur Trump gebannt auf die neuesten Umfrageergebnisse blicken.
Quelle: n-tv.de
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