In Österreich scheint Wahlkampf deutlich weniger groß aufgezogen zu werden, als in Deutschland. Oder aber die österreichischen Wählerinnen und Wähler sind entweder abgestumpft oder auch ohne Wahlwerbung fest entschlossen, was und wen sie wählen. Anders ist kaum zu erklären, wieso auf den Abschlussveranstaltungen der Parteien in Wien so vergleichsweise wenig Publikum anwesend war. Selbst die von der Polizei geschätzten 800 Teilnehmer der FPÖ-Kundgebung im Wiener Stadtbezirk Favoriten wirkten eher verloren.
Die Abschlussveranstaltung der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) versprühte den Charme eines Junggesellenabschiedes. Die ÖVP-Zentrale befindet sich direkt hinter dem gewaltigen Bau des Wiener Rathauses. In die Arkaden des Hauses in der Lichtenfelsgasse 7 hatte die Partei Bierzelttische aufstellen lassen. Und die dominierende Farbe Türkis, in Gestalt von Jacken, Luftballons und Tragetaschen erzeugte für Betrachter kurz den Eindruck einer Verkaufsaktion eines weltbekannten New Yorker Juwelierhauses, dessen Markenfarbe ebenfalls Türkis ist.
„Es geht nicht um Stimmungen, sondern um Stimmen.“
Aber die ÖVP kann sich Understatement leisten. Die letzten Umfragewerte, die vor allem dem Parteichef und Ex-Kanzler Sebastian Kurz gelten, sind mit 33 Prozent so bemerkenswert gut und liegen deutlich über dem Ergebnis der Nationalratswahlen von 2017, dass Sebastian Kurz die Angelegenheit selbst nicht ganz geheuer zu sein scheint. Er kennt die Gefahr, dass wegen der guten Stimmung viele Wähler zuhause bleiben könnten, weil sie denken, die Sache sei schon entschieden. Deshalb ermahnt Kurz seine Wahlkampfhelfer eindringlich, sich nicht auf die guten Umfrageergebnisse zu verlassen:
„Es geht nicht um Stimmungen, sondern um Stimmen.“
Kurz beschwor seine Anhänger, die unmittelbar nach seiner nur wenige Minuten dauernden Ansprache noch einmal mit Wahlwerbung in die Wiener Innenstadt ausschwärmten, dass die Demoskopen in den zurückliegenden Jahren bereits mehrfach teilweise erheblich daneben gelegen haben mit ihren Prognosen:
„Daher ist es unsere große Aufgabe in den nächsten 48 Stunden, die Menschen davon zu überzeugen, auch wirklich wählen zu gehen, dass sie uns als Volkspartei stärken. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament haben Rot Grün und Pink gemeinsam 47 Prozent gehabt. Ein einziger Prozentpunkt mehr für jede dieser drei Parteien und wir hätten Rendi-Wagner als Bundeskanzlerin. Und das Land würde ganz anders aussehen als wir uns das wünschen.”
Doch welche Koalition sich Sebastian Kurz als Ergebnis des Wahlsonntages wünscht, ist eine der am meisten diskutierten Fragen der zurückliegenden Tage und Wochen. Alle Analysen gehen bislang davon aus, dass die Neuauflage der im Mai gescheiterten Koalition zwischen ÖVP und FPÖ die wahrscheinlichste aller Koalitionsoptionen sein dürfte. Doch das erscheint nur von den Zahlen her so relativ eindeutig, auch wenn die FPÖ in den Umfragen schwächelt und sich möglicherweise am Wahlabend ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) liefern wird. Aber vor allem galt das Verhältnis zwischen Sebastian Kurz und den Freiheitlichen auch ohne Strache-Affäre als mindestens schwer belastet. Und aus der FPÖ kamen – Wahlkampf hin oder her – bislang Töne, bei denen sich die Frage aufdrängte, wie die zu einer stabilen Regierungsarbeit beitragen sollen.
Spitzenkandidat Norbert Hofer gilt als deutlich entspannter im zwischenmenschlichen Umgang und könnte durchaus die menschliche goldene Brücke sein, auf der sich ÖVP und FPÖ noch einmal die Hand reichen. Aber viele Beobachter bemerkten mit Interesse, dass die offizielle Wahlwerbung der FPÖ den Eindruck erweckte, als sei Hofer nicht der einzige Spitzenkandidat. Und mit dieser grauen Eminenz dürfte eine Zusammenarbeit deutlich schwieriger sein.
„Mordanschlag auf die FPÖ“
Wer die Abschlusskundgebung der FPÖ im 10. Wiener Gemeindebezirk Favoriten verfolgte, der fühlte sich in dieser Beobachtung nur noch mehr bestärkt. Denn zwar war die Kundgebung ganz auf Norbert Hofer zugeschnitten, aber die eigentliche Show lieferte ein anderer, Ex-Innenminister Herbert Kickl. Seine Rede kann ohne Übertreibung als fulminant und rhetorisch bemerkenswert charakterisiert werden, ohne Hofer zu nahe treten zu müssen. Aber dessen Rede riss niemanden so mit, wie beinahe die gesamten knapp 30 Minuten mit Kickl.
Der teilte ordentlich aus, vor allem auch in Richtung der ÖVP und ihres Vorsitzenden Sebastian Kurz. Kickl ließ keinen Zweifel, dass er eine Neuauflage mit „den Schwarzen“, wie er die ÖVP durchgängig nannte, anstrebt, und natürlich mit ihm als Innenminister. Aber seine Liebeserklärung klang eher nach Zwangsheirat als nach romantischem Heiratsantrag. Knien kommt für Herbert Kickl sowieso nicht in Frage. Und natürlich wusste er, welches Publikum er vor sich hatte und dass der Ort der Kundgebung mit Bedacht gewählt worden war. Die Favoritenstraße im gleichnamigen Bezirk hat deutlich sichtbar bessere Tage gesehen und erinnert ein wenig an die Karl-Marx-Straße in Berlin-Neukölln.
Es war schon etwas irritierend, dass ohne Unterlass der Markenkern dieser Straße und dieses Bezirkes, nämlich eine multikulturelle Bevölkerung, der man ihre Herkunft auch ansieht, zwischen den Kundgebungsteilnehmern hin- und herlief, während sie von der Bühne kritisiert und beschimpft wurde.
Herbert Kickl griff frontal auch Sebastian Kurz persönlich an:
„Der Kurz hat gesagt, ich habe mich aufgeführt wie ein Bulldozer. Der kann noch nie auf einer Baustelle gewesen sein, sonst würde der nicht so einen Blödsinn reden, weil, wenn du eine große Baustelle hast, wie ein Innenministerium, dann brauchst du schweres Gerät. Und das fängt mit dem eisernen Besen an und das geht hinauf bis zum Bulldozer. Und wenn du das nicht zur Verfügung hast, dann wirst du nie ordentlich zusammenräumen können, und jeder, der eine Baustelle kennt, der weiß das.“
Kickl klang immer wieder, als sei es ausgeschlossen, dass er nach dem Wahlsonntag nicht wieder Innenminister werden könnte. Seine Versprechen hatten überwiegend nur ein Thema, die auch die größten Begeisterungsstürme auslösten:
„Ohne uns, könnt ihr sicher sein, dass wir Gefahr laufen, dass diese Kopfabschneider oder Massenvergewaltiger und diese Sprengstoffattentäter, die jetzt in irgendwelchen Lagern sitzen in Syrien und im Irak, weil sie halt verloren haben, nicht weil sie gescheiter geworden sind, sondern weil sie militärisch was aufs Dach bekommen haben, dass die alle wieder in Windeseile nach Österreich geholt werden. Ich kann euch nur sagen, ein freiheitlicher Innenminister holt nicht einen einzigen von diesen Leuten zurück, das Einzige, was wir uns zurückholen, ist die Staatsbürgerschaft. Und dann sollen sie schauen, wo sie bleiben, diese Leute, die sich gegen die Demokratie und unsere Freiheiten entschieden haben.“
Kickl beschrieb eine Situation, wonach die FPÖ sozusagen von allen Seiten, von Kräften innerhalb und außerhalb Österreichs bedroht wird, weil sie die einzige Partei sei, die das anspreche und das angehe, was die Menschen, was die schweigende Mehrheit tatsächlich wolle:
„Ich sage euch das, man muss das so deutlich sagen, das ist ein Mordanschlag, der hier auf die FPÖ durchgeführt wird, in Form einer gigantischen Kriminalisierungswelle, die man jetzt losgetreten hat, ein paar Tage vor der Welt. Da wird schon lange dran gearbeitet, seit Jahren, systematisch, generalstabsmäßig, über Länder hinweg, in einer unglaublichen Vernetzung, mit unglaublicher krimineller Energie, und viel, viel Geld, das da reingepumpt wird, so arbeiten die Brüder. Und die, die jetzt die Skandalwelle losgetreten haben, das sind die gleichen, die ihre dreckigen Finger schon beim Ibiza-Video im Spiel gehabt haben, und dem dürfen wir nicht nachgeben, und dem werden wir nicht nachgeben.“
Die Wähler sollen den anderen Parteien am Sonntag „einen Schlag auf das Hosentürl versetzen“, was sich umschreiben lässt mit der Aufforderung, dem politischen Gegner in die Weichteile zu treten, was bekanntlich sehr schmerzhaft ist.
Norbert Hofers Rede im Anschluss daran, war derart blutarm, dass es schon wieder erschreckend war. Lediglich mit Sätzen wie „der Islam gehört nicht zu unserer Geschichte“, kann er hörbare Begeisterung auslösen, obwohl die zwei Belagerungen Wiens durch riesige osmanische Heerscharen zwischen 1529 und 1683 das Gegenteil seiner Aussage belegen.
Aber Geschichte war nicht das Thema von Norbert Hofer, sondern durchhalten. Der Spitzenkandidat der FPÖ wirkte so überdeutlich angeschlagen, dass sich seine Müdigkeit auch auf die Kundgebung auswirkte. Erst das gemeinsame Absingen der Österreich-Hymne mit begeistertem Fahnenschwenken holt die Stimmung zurück, die Herbert Kickl entfachen konnte.
Auffällig geringes Publikumsinteresse bei den Abschlussveranstaltungen der Oppositionsparteien
Dass mit Kickl möglicherweise ein U-Boot zur Wahl stehen könnte, beunruhigte auch die anderen Parteien. Allen voran die SPÖ, die vor einem eher überschaubaren Publikum ihre Abschlusskundgebung in einem etwas überdimensioniert wirkenden Zelt zwischen ihrer Parteizentrale und dem Burgtheater veranstaltete. Und auch hier brillierte und begeisterte weniger die Spitzenkandidatin, Pamela Rendi-Wagner, als Altkanzler Vranitzky, dessen souveräner Auftritt vor aller Augen demonstrierte, wie schwach die einst so mächtige SPÖ geworden ist, auch wenn sie derzeit in den Umfragen noch vor der FPÖ rangiert.
„Wir können diese schwarz-blaue Koalition beenden“, appellierte Rendi-Wagner an Parteifreunde und Sympathisanten und sandte eine Botschaft aus, von der fraglich ist, ob sie beim österreichischen Wahlvolk wirklich ankommt:
„Österreich war immer dann am stärksten, wenn wir das ‚Wir‘ über das ‚Ich‘ gestellt haben.“
Die beiden anderen Parteien, die noch eine Chance haben auf den Einzug in das Parlament Österreichs, sind die Grünen und die sogenannten NEOS, die in Deutschland der FDP ähneln würden.
Auch die Grünen Österreichs haben vom allgemeinen Aufwärtstrend der grünen Parteien in Europa profitiert und stehen in den letzten Umfragen mit ihren durchschnittlich 12 Prozent kolossal besser da als zur Nationalratswahl 2017, wo sie noch unter vier Prozent einliefen. Doch diese Stärke scheint relativ zu sein. Denn die Publikumsgunst beim Wahlkampfabschluss der Grünen im Sigmund-Freud-Park war nicht dementsprechend.
Ob das am Spitzenkandidaten Werner Kogler liegt, kann derzeit nicht mit Sicherheit gesagt werden, obwohl auch er wenig mitreißend wirkt. Vielleicht denkt er sich, dass sein Kernthema keiner weiteren Emotionalisierung mehr bedarf. Weshalb Kogler Allgemeinplätze von sich gab wie:
„Einen glaubwürdigen, engagierten, durchaus auch kompetenten Klimaschutz, den kriegst du in der Regel nur mit den Grünen.“
Das Schild, das Kogler bei sich trug, mit der bekannten Losung der Umweltbewegung: „wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt!“ wirkte fast schon peinlich. Aber auch für die Grünen gilt das Gleiche wie für die ÖVP, vielleicht haben die guten Umfrageergebnisse etwas einschläfernd gewirkt. Weshalb auch Kogler an Wähler und Sympathisanten appellierte, keine Stimmen zu verschenken. Das galt dem ehemaligen Grünen Peter Pilz, der mit seiner Partei JETZT praktisch in den Status einer Splittergruppierung geraten ist.
Der Platz der Menschenrechte in unmittelbarer Nähe des berühmten Wiener Museumsquartiers war ebenfalls eine genau abgewogene Standortentscheidung für den Wahlkampfabschluss der NEOS. Denn die Partei, die mit der Leitfarbe Pink auftritt, versteht sich als Partei des Liberalismus und der Menschenrechte, aber vor allem der Freiheit, was die NEOS, genau wie die deutsche FDP vor allem als Freiheit für ökonomische Entscheidungen und weniger Zugriffs- und Eingriffsrechte des Staates versteht.
Deshalb drehte sich die Rede von Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger auch vor allem um die Bekämpfung von Korruption, Filz und Vetternwirtschaft, die sie selbstredend bei den politischen Konkurrenten verortete. Die übersichtliche Schar der Zuhörerinnen und Zuhörer fanden das gut. Ob die Wählerinnen und Wähler das genauso sehen, wird erst der Sonntag zeigen. Die letzten Umfragewerte für die Pinken lagen bei acht Prozent. Damit dürfte im Fall der Fälle auch den NEOS die Rolle zufallen, die auch die FDP in Deutschland immer wieder spielte, die des Königsmachers, der zu wenig Stimmen hat, um selbst Macht auszuüben, aber ausreichend, um mit ihnen eine Koalition zu bilden.
Das aber ist noch Zukunftsmusik, jedenfalls auf der Basis der letzten Umfragen. Und werden die Teilnehmerzahlen der Abschlussveranstaltungen der österreichischen Parteien für ihren Wahlkampf als Prognosemaß für die Wahlbeteiligung am Sonntag herangezogen, dann könnten ungemütliche Mehrheitsverhältnisse in der sogenannten Zweiten Republik bevorstehen.
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