Im Januar 1744 verließ die 14-jährige Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst ihre Heimatstadt Zerbst für eine einjährige, beschwerliche Reise ins ferne St. Petersburg. Sie sollte das Schloss, in dem sie ihre frühe Jugend verbrachte, nie wiedersehen. Zwei Jahre später heiratete die ehrgeizige Deutsche ihren Cousin zweiten Grades, den russischen Thronfolger Großfürst Peter Fjodorowitsch. Mit Anfang Dreißig stürzte sie ihn, um anschließend mehr als dreißig Jahre Russland als Katharina II. zu regieren. Neben Peter I. gilt Katharina als wichtigste russische Zarin und wird bis heute in Russland verehrt.
Sanktionen schaden vor allem (Ost-)Deutschland
An diese fruchtbare Zeit zwischen Deutschland und Russland vor 250 Jahren versucht das Katharina-Forum in Zerbst anzuknüpfen. Im Jahre 2019 sieht das Verhältnis zwischen den beiden Ländern nicht ganz so rosig aus: Deutschland beteiligt sich aktiv an den von der EU gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen. Dabei spricht sich eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, vor allem in Ostdeutschland, für deren Aufhebung aus. Auch Politiker der ersten Reihe, darunter alle ostdeutschen Ministerpräsidenten, votieren für einen Ausstieg aus den selbstschädigenden Handelsbeschränkungen. Die ostdeutschen Betriebe verlieren durch die Sanktionen einen der wenigen Trümpfe gegenüber westdeutschen Firmen – ihre jahrzehntelange Erfahrung im Russland-Geschäft. So gibt es auf dem Katharinen-Forum in Zerbst wohl niemanden, der noch einen Sinn in diesen Sanktionen sieht, die nachweislich für Russland nur ein Nadelstich sind und politisch nichts erreicht haben, während einige auf Russland spezialisierte Betriebe in Ostdeutschland gar schließen mussten.
Allein Sachsen-Anhalt verliert 24 Prozent durch Russland-Sanktionen
„Russland ist, vor allem hinsichtlich der Importe, ein bedeutender Handelspartner für Sachsen-Anhalt“, teilte die Staatskanzlei in Magdeburg vor Beginn der Tagung am 30. September und 1. Oktober der Deutschen Presse-Agentur mit. Viele kleine und mittlere Unternehmen hätten enge Beziehungen zu Russland. Für diese könnten aber die bestehenden gegenseitigen Sanktionen ein Problem sein, hieß es weiter. Die Strafmaßnahmen haben vor allem der ostdeutschen Wirtschaft geschadet. So ging etwa zwischen 2013 und 2018 das deutsch-russische Handelsvolumen in Sachsen-Anhalt um 24 Prozent zurück, wie der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft Mitte Juli mitgeteilt hatte. Der Bundesdurchschnitt liegt bei minus 19,7 Prozent.
Beim Import liegt Russland in Sachsen-Anhalt jedoch nach wie vor mit großem Abstand auf Rang Eins: 2018 wurden vor allem Erdöl und Erdgas eingeführt, insgesamt Güter im Wert von 4,9 Milliarden Euro. Der Anteil Russlands am Gesamtimport Sachsen-Anhalts lag damit 2018 bei 25,89 Prozent.
Fürstentum Anhalt-Zerbst – zu 80 Prozent zerstört
Als Begründung für die besondere Affinität der Ostdeutschen zu Russland wird gewöhnlich auf die DDR-Geschichte verwiesen. Es ist jedoch gut möglich, dass die Zuneigung den Preußen und Sachsen schon viel früher im Blute lag, da große Teile Ostdeutschlands – so auch die Region Zerbst – bereits im 9. und 10. Jahrhundert von Slawen besiedelt wurden.
Die frühere Größe ist noch zu spüren in dem verschlafenen Städtchen zwischen Magdeburg und Dessau. Seit dem 14. Jahrhundert herrschten hier die Vorfahren Katharinas, die askanischen Grafen im Fürstentum Anhalt-Zerbst mit der Residenzstadt Zerbst. Von den alten Adelspalästen stehen heute größtenteils nur noch die Ruinen in den großzügigen Parkanlagen. Nur wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Zerbst durch US-amerikanische Luftangriffe zu 80 Prozent zerstört.
Inzwischen sind einige Gebäude wieder liebevoll restauriert. Von 1991 bis 2008 wurden 15 Millionen Euro in die Sanierung der Altstadt investiert. Aber es ist noch Luft nach oben. So ist das Schloss aus dem 17. und 18. Jahrhundert, in dem Katharina einen Teil ihrer Kindheit verbrachte, noch immer nicht wiederhergestellt. Ein Verein hat zumindest einen Teil des Inneren des Ostflügels, der als einziges noch erhalten ist, wieder hergerichtet und organisiert Führungen und Ausstellungen.
In Russland wäre Zerbst wahrscheinlich ein Wallfahrtsort – ähnlich Zarskoje Selo bei St. Petersburg, wo der Katharinenpalast, die Residenz von Katharina der Großen, jährlich Millionen Besucher lockt. Ausgerechnet Puschkin, der Vorort, wo der Katharinenpalast steht, ist seit 25 Jahren Partnerstadt von Zerbst. So meinte der Verwaltungschef von Puschkin,Vladimir Omelnitski, in Zerbst auch ironisch: „Ich bin mir nicht sicher, was einfacher ist, die deutsch-russischen Beziehungen vollständig wiederherzustellen oder das Zerbster Schloss wieder aufzubauen.“
Tanzen auf dem Katharinen-Ball und Fachgespräche im Schloss
Einen Beitrag zur Aufwertung von Zerbst leistet nun schon im zweiten Jahr das Katharina-Forum. Nach der erfolgreichen Premiere 2018 treffen sich am Montag und Dienstag unter der Schirmherrschaft von Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Rainer Hasselhoff erneut Unternehmer aus Deutschland und Russland in der Heimatstadt Katharinas der Großen zum direkten Austausch.
Zerbst gibt sich auch in diesem Jahr alle Mühe, ein guter Gastgeber zu sein. Als Ouvertüre zur Wirtschaftskonferenz lud die Stadt am Sonntagabend zum großen Katharinen-Ball in die ehemalige Reithalle des Zerbster Schlosses. Unter Anleitung russischer Tanzlehrer konnte hier die sachsen-anhaltinische Prominenz eine Hauch russischen Glamours verspüren. In Moskau ist der Katharinen-Ball bereits eine Institution. Nun soll auch in Deutschland die russisch-deutsche Balltradition wiederbelebt werden.
Am Montag versammelten sich dann die Wirtschaftsvertreter beider Länder in der barocken Zerbster Stadthalle, wo Bürgermeister Andreas Dittmann das Katharina-.Forum offiziell eröffnete. Dittmann unterstrich, dass „Russland zu Europa gehört“. Dies sei zwar hier in der Halle jedem klar, „aber in der Politik nicht immer“, so Dittmann.
Jürgen Ude, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalts, berichtete von der Reise einer Regierungsdelegation aus Sachsen-Anhalt, die gerade vor drei Wochen in St. Petersburg und Moskau war. Ude zeigte sich begeistert von der russischen Gastfreundschaft, die man nun in Zerbst erwidern möchte.
Die Keynote am Eröffnungstag in Zerbst hielt Hansjürgen Overstolz, Präsident der Firma Bosch in Russland.
Overstolz betonte, „gerade in schwierigen Zeiten in der Politik kommt der Wirtschaft eine verstärkte Bedeutung zu.“ Das Potential Russlands sei riesig und inzwischen ist es auch leicht, dort Geschäfte zu machen, so Overstolz. Bosch ist in Russland seit über einhundert Jahren präsent und produziert dort vor allem Elektrowerkzeuge und Hausgeräte und ist Zulieferer für die Autoindustrie. Die international tätige Firma macht in Russland mit 4300 Mitarbeitern knapp 1,5 Milliarden Europa Umsatz. Die Sanktionen erschweren das Geschäft, räumte Overstolz ein. Aber das Potential in Russland sei so groß, dass Bosch dauerhaft in Russland bleiben wird.
„Russland ist weit besser als sein Ruf“
Alexander Smekalin, der Vorsitzende der Regierung der Region Uljanowsk unterstrich, dass gerade durch die Investitionen deutscher Firmen wie Schaeffler, ein „Wunder“ geschehen sei, dass Uljanowsk von einer fast abgehängten zu einer führenden Region in Russland wurde. Allerdings hätte es mit Einführung der EU-Sanktionen einen Knick gegeben. Diese Lücke wurde dann von Firmen aus China gefüllt.
„Je länger die Sanktionen dauern, umso mehr Nischen werden von Firmen aus Fernost gefüllt werden“, so Smekalin.
Matthias Schepp, Vorsitzender der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer sagte: „Russland ist weit besser als sein Ruf“. Schepp zeigte sich sehr optimistisch: So sei allein 2018 aus Deutschland mit 3,2 Milliarden Euro so viel in Russland investiert worden wie noch nie seit dem Zerfall der Sowjetunion. „Das Geschäftsklima für deutsche Firmen in Russland ist gut.“, so Schepp.
„Die Sanktionen sind eindeutig nicht im Interesse Deutschlands“
Im Weiteren bestimmte das Thema „Sanktionen“ die Diskussion der Experten aus Russland und Deutschland. Pavel Rubtsov, der Gesandte der Russischen Botschaft meinte, dass die Russland-Sanktionen der EU nur im ersten Jahr sehr starke Wirkung zeigten. Inzwischen hätten sich beide Seiten vollkommen adaptiert. Sollte es weitere Sanktionen geben, etwa gegen die Pipeline Nord Stream 2, dann wäre das am ehesten ein „Schuss ins eigene Knie“ für Deutschland, so Rubtsov.
Matthias Schepp von der Auslandshandelskammer meinte: „Die Sanktionen sind eindeutig nicht im Interesse Deutschlands und Europas. Sanktionen werden auch nicht zu einem liberaleren, freieren, etc. Russland führen, wie das hier in Sonntagsreden ganz gern beschworen wird.“. Der ehemalige Korrespondent des „Spiegel“ vermutete, wenn das Verhältnis zwischen Russland und Europa „von Sanktionen unbelastet“ wäre, könnte man zusammen sogar manchen Marktführern „auf der anderen Seite des Teiches Paroli bieten“. Der AHK-Chef meinte: „Wenn deutsche Perfektion auf russischen Einfallsreichtum trifft, sind wir einfach unschlagbar.“
Allerdings rechnet Schepp für Anfang November mit neuen Russland-Sanktionen der USA. Ärgerlich sei, dass diese Sanktion extraterritorial seien. Das heißt: „ Amerika schreibt unseren Unternehmen vor, mit wem wir Handel treiben dürfen. Damit sind wir natürlich massiv unzufrieden.“, empörte sich Schepp. Interessant daran ist, dass die amerikanischen Sanktionen immer „maßgeschneidert“ seien, so dass sie nie amerikanischen Firmen in Russland schaden. „Das ist ärgerlich für die deutschen Firmen, die wir vertreten.“, so Schepp.
Die Auslandshandelskammer vertritt über 900 deutsche Firmen in Russland.
Wirtschaft ist immer auch Politik
Der Montagabend klang für die russischen Gäste in Zerbst mit einem feierlichen Empfang im Schloss aus.
Der Leiter der deutschen Repräsentanz der Handels- und Industriekammer Russlands, Sergej Nikitin, bezeichnete die Veranstaltung in Zerbst als „vertrauensbildende Maßnahme“. Auch das sei wichtig in den heutigen Zeiten, so Nikitin.
Andreas Dittmann, Bürgermeister von Zerbst und Ideengeber des Katharina-Forums, forderte die anwesenden Geschäftsleute und Politiker auf: „Lassen Sie alle alt aussehen, die meinen, dass die deutsch-russischen Beziehungen nichts wert seien. Sie sind sehr viel wert und dieses Schloss steht dafür.“
Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Armin Willingmann sah auch „so viele Gesichter, die für die deutsch-russischen Beziehungen brennen“, dass er optimistisch sei, dass das Katharina-Forum auch im nächsten Jahr stattfinden werde.
Für Dienstag sind in Zerbst weitere Fachgespräche geplant. Die Wirtschaftsvertreter beider Länder wollen bei einem „Speed-Dating" etwa über erneuerbare Energien, digitale Transformation und Agrarwirtschaft reden. Was an den Tagen zuvor informell eingeleitet wurde, könnte hier konkretisiert werden. Wirtschaft ist immer auch Politik und umgekehrt.
Das Zerbster Katharina-Forum könnte sich als feste Adresse für deutsch-russischen Wirtschaftsaustausch etablieren. In Zeiten wie diesen ist das so nötig wie nie.
sputniknews
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