Vizcarra löst Kongress auf, Militär stützt ihn

  02 Oktober 2019    Gelesen: 688
  Vizcarra löst Kongress auf, Militär stützt ihn

Der politische Konflikt in Peru eskaliert. Im Zuge seiner Anti-Korruptionsagenda löst Präsident Vizcarra den oppositionell dominierten Kongress auf. Der weigert sich und vereidigt eine neue Präsidentin. Der Parlamentspräsident beklagt einen Staatsstreich.

Seit Amtsantritt führt Perus Präsident Martín Vizcarra einen tumultreichen institutionellen Machtkampf gegen den oppositionell dominierten Kongress. Nun hat er das Parlament aufgelöst. Am 26. Januar sollen Neuwahlen stattfinden. "Die Zukunft des Landes soll an den Wahlurnen entschieden werden", sagte der Staatschef in einer Rede an die Nation. Was nach schlichtem Tabula Rasa klingt, ist aber viel verzwickter. Der Kongress hat die angeordnete Auflösung nicht akzeptiert, stattdessen seinerseits wegen "moralischer Untauglichkeit" für eine Suspendierung Vizcarras gestimmt und Vizepräsidentin Mercedes Aráoz vereidigt.

Nun hat Peru zwei Staatschefs. Das Militär und die Sicherheitskräfte erklärten, auf der Seite Vizcarras zu stehen und präsentierten sich noch am Montagabend demonstrativ auf einem Foto mit ihm. In mehreren Städten des Landes kam es zugleich zu Demonstrationen. In der Bevölkerung wird Vizcarras Schritt größtenteils begrüßt. "Derzeit befindet sich Vizcarra in einer etwas stärkeren Position", analysiert Sebastian Grundberger von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Lima die aktuelle Lage. "Vizcarra sitzt noch im Präsidentenpalast und solange insbesondere das Militär in der Befehlskette verharrt, wird das auch so bleiben."

Das Chaos hatte am vergangenen Donnerstag seinen Anfang genommen. Da hatte der Verfassungsausschuss des Kongresses die Reformvorschläge Vizcarras für Neuwahlen 2020 nach zähen zwei Monaten abgelehnt. Daraufhin stellte der Präsident die Vertrauensfrage, verknüpft mit einer Neuregelung, wie die Richter des Obersten Gerichts bestimmt werden. Die Opposition und mit Abstand größte parlamentarische Kraft ist die "Fuerza Popular" von Keiko Fujimori, Tochter des inhaftierten peruanischen Ex-Diktators Alberto Fujimori. Sie selbst sitzt wegen Verwicklungen in Schmiergeldzahlungen des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht in Untersuchungshaft.

Odebrecht-Skandal im Fokus


Vizcarra kam vor eineinhalb Jahren ins Amt. Der gewählte Präsident Pedro Pablo Kuczynski war im Zuge des Odebrecht-Skandals einem Amtsenthebungsverfahrens wegen versuchten Stimmenkaufs zuvorgekommen und zurückgetreten. Sein bisheriger Vize Vizcarra verschrieb sich daraufhin der Korruptionsbekämpfung und institutionellen Reformen. Ein Großteil der peruanischen Bevölkerung unterstützt diese Vorhaben. Der Oberste Gerichtshof spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Schon ein Blick auf die ehemaligen Präsidenten des Landes zeigt exemplarisch, wie verbreitet Korruption in der politischen Elite des Landes ist. Alle noch lebenden Ex-Staatschefs sitzen in Haft oder gegen sie wird ermittelt. Der Odebrecht-Skandal verleitet Vizcarra seit Amtsantritt zur Machtprobe mit dem Kongress. Er wirft den Parlamentariern vor, korrupt zu sein und deshalb seinen Reformvorhaben Steine in den Weg zu legen. "Die Ermittlungen schweben wie ein Damoklesschwert über weiten Teilen der Politik", sagt Grundberger. Es sei unklar, wen es als nächsten treffen könnte.

Derzeit werden die Posten am Obersten Gericht mit Zweidrittelmehrheit des Kongresses für eine Amtszeit von je fünf Jahren bestimmt. Vizcarra betrachtet dies als mangelhafte Gewaltenteilung. Er will unter anderem erreichen, dass die Kandidatenlisten der Richterposten öffentlich debattiert werden, im vorschlagenden Ausschuss alle Fraktionen des Kongresses vertreten sind und auch die Anhörungen der potenziellen Richter nicht mehr hinter verschlossenen Türen stattfinden.

"Lösung der Blockade"


Als das kombinierte Votum am Montag im Kongress anstand, stimmten die Abgeordneten in einer chaotischen Sitzung jedoch zuerst für ihre Richter und sprachen Vizcarra dann das Vertrauen aus. Mutmaßlich geschah dies deshalb, um eigene Kandidaten für die kommenden Jahre zu installieren und somit ihren Einfluss am Obersten Gericht zu sichern. Dass Vizcarra danach den Kongress auflöste, nennt Parlamentspräsident Pedro Olaechea einen Staatsstreich. "Peru hat keine zwei Präsidenten."

Die einflussreichen Provinzgouverneure unterstützen indes Vizcarras konfrontativen Kurs. "Angesichts systematischer Behinderung" seien "vorgezogene Wahlen die Lösung der politischen und institutionellen Blockade", schrieben sie in einem gemeinsamen offenen Brief.

"Wir alle verlieren", beklagte die konservative Zeitung "El Comercio" das Vorgehen. Das Verhalten des Kongresses zu "interpretieren" sei höchst zweifelhaft, es gelte lediglich die Abstimmung in der Vertrauensfrage selbst. Die links davon ausgerichtete "La Republica" sieht die Parlamentsauflösung und Neuwahlen indes positiv; als "Möglichkeit, Demokratie und ihre Institutionen zu erneuern und den Weg von Hindernissen und Mutlosigkeit zu befreien."

Der Deutungskampf hat also längst begonnen. "Wir befinden uns in einer in dieser Form nie dagewesenen politischen und verfassungsrechtlichen Hängepartie", zeigt sich Grundberger besorgt. Über einen Ausweg entscheiden muss nun der Oberste Gerichtshof. Die Organisation Amerikanischer Staaten veröffentlichten bereits eine entsprechende Aufforderung. Die nächste Unbekannte ist, ob sich alle politischen Lager einem Urteil des Gerichts fügen werden.


Quelle: n-tv.de


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