Zwei angeschlagene Riesen

  07 Oktober 2019    Gelesen: 670
Zwei angeschlagene Riesen

Eine Lösung im Handelskrieg? In der kommenden Woche wollen USA und China noch mal verhandeln. Scheitern sie, zündet kurz vor Weihnachten die nächste Eskalationsstufe. Es wäre ein Desaster - aber leider ziemlich wahrscheinlich.

Der nächste Showdown auf der Weltbühne steht bevor. Am Donnerstag treffen sich die Emissäre der USA und Chinas: Zwei selbststilisierte starke Männer, Donald Trump und Xi Jinping, lassen ausloten, ob sich die nächste Runde im Handelskrieg doch noch abwenden lässt.

Die Bedeutung dieser Verhandlungen lässt sich kaum überschätzen. Scheitern sie, wollen die USA ab dem 15. Dezember auf praktisch alle Einfuhren aus China Zölle erheben; die durchschnittlichen Abgaben auf China-Importe liegen dann bei 25 Prozent. China hat Gegenzölle in ähnlicher Größenordnung ankündigt.

Der eskalierende Handelsstreit hat ein fundamentales Unsicherheitsmoment in die Weltwirtschaft gebracht. Die Auswirkungen auf die Konjunktur sind längst spürbar. Gerade in handelsintensiven Volkswirtschaften wie der deutschen (am Donnerstag gibt's neue Zahlen vom Export) kürzen Industrieunternehmen ihre Investitionspläne zusammen und beginnen Kapazitäten abzubauen, womöglich auch Arbeitsplätze zu streichen.

Vor allem aber fügen sich die USA und China selbst gegenseitig Schmerzen zu. Die US-Exporte nach China sind seit Sommer 2018 um 30 Prozent zurückgegangen, die Importe um 15 Prozent, wie Deutschlands führende Konjunkturforschungsinstitutein ihrer Gemeinschaftsdiagnose vorrechnen. Auch wenn man berücksichtigt, dass ein Teil des sino-amerikanischen Handels nun über Vietnam umgeleitet wird, ist ein herber Rückgang des Warenaustauschs zwischen zwei wichtigen Handelspartnern zu verzeichnen.

Derweil geht in China das Wirtschaftswachstum zurück. Bislang ist es der Staatsführung gelungen, soweit gegenzusteuern, dass die Konjunktur halbwegs stabilisiert ist. Damit aber verschiebt Peking gegenwärtige Probleme in die Zukunft (dazu unten mehr).

Trump hatte den Amerikanern versprochen, Handelskriege seien "leicht zu gewinnen". Stattdessen gibt es nun Verlierer auf allen Seiten. Und es erweist sich als schwierig, die Eskalation zu stoppen: Eine Eigendynamik hat eingesetzt, die auf die Währungspolitik überzugreifen droht.

All das war zu erwarten. Warum ist es dennoch soweit gekommen?

Innere Spannungen entladen sich nach außen

Auf den ersten Blick stellt sich die Szenerie so dar: Zwei Supermächten stehen Führerfiguren vor, die beide vor Kraft kaum laufen können - und die jeweils ihren Bevölkerungen zeigen wollen, dass sie sich nicht von der jeweils anderen Seite herumstoßen lassen.

Bei näherem Hinsehen jedoch wirken sowohl die USA als auch China wie angeschlagene Riesen. Beide ringen mit inneren Spannungen, die sich in diesem Konflikt nun nach außen entladen.

Dass Trump China (und andere Länder) für die sozialen Verwerfungen in den USA verantwortlich macht, ist seit dem vorigen Präsidentschaftswahlkampf bekannt. Auch die EU muss mit weiteren Importzöllen rechnen; das WTO-Urteil zu wettbewerbsverzerrenden Airbus-Subventionen kommt dem Weißen Haus gerade recht.

Was China betrifft, hat Trump zumindest einen Punkt. Eine staatskapitalistische Volkswirtschaft dieser Größe, die ausländischen Investoren die Übertragung geistigen Eigentums abpresst, die ganze Branchen für ihre nationalistische Wirtschaftsstrategie ("Made in China 2025") einspannt und sie mit billigen Krediten päppelt, stellt eine massive Wettbewerbsverzerrung dar, für die das internationale Handelssysteme nicht ausgelegt ist.

Insoweit hat Trump recht. Die Europäer - und gerade auch die deutsche Wirtschaft - hegen inzwischen ähnliche Vorbehalte.

Warum lenkt China nicht ein?

Der Handelskrieg ließe sich rasch beenden, würde die chinesische Staatsführung die Forderungen der USA erfüllen. Dafür müsste sie aber ihr Wirtschaftsmodell komplett umbauen - was wiederum am Führungsanspruch der Kommunistischen Partei rütteln würde. Xi Jinping, der sich voriges Jahr zum großen Führer auf Lebenszeit küren ließ, hat seine Macht gerade anlässlich des 70. Revolutionsjubiläums mit einer gigantischen Militärparade im Sowjetstil zur Schau gestellt. Schwächezeigen passt nicht zu dieser Pose.

Selbst ein halbgarer Kompromiss im Handelsstreit wäre besser als eine weitere Eskalation. Damit ließen sich immerhin irreparable Schäden verhindern. Längerfristig könnten sich weitere Fortschritte erzielen lassen, idealerweise im Dialog zwischen den USA, der EU und Japan einerseits und China andererseits.

Trump war in der Vergangenheit immer wieder zu überraschend konzilianten Wendungen fähig - solange sie ihn als genialen Deal Maker vor der Weltöffentlichkeit dastehen ließen. Angesichts des anlaufenden Amtsenthebungsverfahrens (achten Sie auf die Anhörungen im US-Kongress ab Montag) ist der Präsident jedoch im permanenten Kampfmodus. Eine präsidiale Geste der handelspolitischen Vernunft scheint derzeit außerhalb des Bereichs des Möglichen.

Drei Herausforderungen: Armut, Schulden, Klima

Neben persönlichen machttaktischen Erwägungen des Führungspersonals spielen tiefgreifende strukturelle Probleme eine Rolle, die sich in einigen Punkten frappierend ähneln. Sie bilden den Hintergrund, vor dem sich der Handelskonflikt entfaltet.

Ungleichheit: Der Wohlstand in den USA und in China ist deutlich ungleicher verteilt als etwa in Westeuropa. In den USA leben mehr als ein Sechstel der Bevölkerung unterhalb der Armutsschwellen, in China mehr als ein Viertel. Die Einkommensunterschiede sind viel größer als in europäischen OECD-Ländern.

Auch die regionalen Divergenzen sind in den beiden Riesenstaaten gravierend. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt im reichen Nordosten der USA (Massachusetts) rund doppelt so hoch wie im armen Süden (Mississippi). Ähnlich groß sind die Unterschiede zwischen Chinas Südosten und seinem rückständigen Westen. Derart große Unwuchten zerren am gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Schulden: Die USA und Chinas sind in fast gleichem Ausmaß verschuldet, wie aus OECD-Zahlen hervorgeht. Staat, Unternehmen und Privatbürger schieben zusammen Verbindlichkeiten von rund 250 Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung vor sich her. In den USA ist es der Staat, der am höchsten verschuldet ist; in China sind es die (häufig staatlichen) Unternehmen.

Ein Teil der US-Schulden wird vom Ausland finanziert. Dank der Größe seiner Kapitalmärkte und des Weltwährungsstatus des US-Dollars sind Anleger aus aller Welt bereit, Amerikas Überkonsum zu extrem günstigen Bedingungen zu finanzieren. Bislang jedenfalls.

Je mehr Trump die internationale Wirtschaftsordnung und die nationalen Institutionen beschädigt, desto mehr müssen die USA eine Neubewertung ihrer Solvenz als größte Schuldnernation der Welt fürchten. Die kürzlich bekannt gewordenen Pläne, chinesische Konzerne von den US-Börsen zu verbannen, dürften bei manchem Investor grundsätzlichere Fragen aufgeworfen haben.

China wiederum ist das mit Abstand am höchsten verschuldete Schwellenland. Um das Wachstum am Laufen zu halten, hat die Führung in Peking seit der großen westlichen Rezession von 2008 die Banken von der Kette gelassen - und damit das Wachstum schuldenfinanziert auf Kurs gehalten. Die Staatsführung scheint eine herbe Rezession um jeden Preis vermeiden zu wollen; der Preis sind steigende Risiken im Finanzsystem.

Chinas Gläubiger sitzen überwiegend im Lande selbst. Dass viele von ihnen die Situation kritisch einschätzen, zeigt sich an der latenten Kapitalflucht, die die Behörden mit aller Macht versuchen zu verhindern. Kapitalverkehrskontrollen sollen Chinas Ersparnisse im Land halten. Zudem hat Peking seit 2014 fast 800 Milliarden Dollar an Währungsreserven zur Stabilisierung des Wechselkurses auf die Märkte geworfen.

Die hohen Schulden werden zum Problem, sollte das Wachstum irgendwann ausbleiben. Auch deshalb setzt China auf rasches technologisches Upgrading. Pekings ambitionierte Made-in-China-Strategie könne nur aufgehen, wenn man weiterhin Zugriff auf ausländisches Wissen habe. Die Wirtschaft ähnele einem "Kartenhaus", so der Thinktank Merics: "Chinas Ambitionen stehen auf wackligem Grund. Die Abhängigkeit von ausländischem Technologie-Knowhow bleibt groß." Die rote Wirtschaftsgroßmacht bleibt auf den Austausch mit dem Rest der Welt dringend angewiesen.

Klimawandel: China und die USA sind die größten Emittenten von Kohlendioxid und anderen klimaschädlichen Gasen weltweit. In den kommenden zwei bis drei Jahrzehnt müssen sie ihr Wirtschaftsmodell drastisch anpassen. Andernfalls wird sich der Klimawandel nicht bremsen lassen.

Zwar stoßen beide Länder weniger Emissionen in Relation zur Wirtschaftsleistung aus als früher. Aber im Vergleich zu Westeuropa ist der Rückstand enorm. Umso größer sind die Herausforderungen für die Zukunft. Zwar kann der Strukturwandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaftsweise einen neuen Wachstumsschub auslösen. Zunächst aber entwertet er große Teile der existierenden Infrastruktur und kostet Millionen von Jobs - sozialer Sprengstoff.

Die beste Lösung - und die schlechteste

Die Lage in beiden Ländern ist nicht so stabil, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Der Handelskrieg jedoch, soviel ist klar, wird keines der anstehenden Probleme lösen, sondern sie, im Gegenteil, verschärfen. Umgekehrt: Offene Grenzen und geordneter Austausch von Gütern und Ideen wären enorm nützlich. Den Konflikt beizulegen wäre zweifellos die beste Lösung.

Das Kalkül der Regierenden aber sieht anders aus. Ihnen geht es zuallererst um die Sicherung der Macht: sehr kurzfristig für Donald Trump angesichts des drohenden Impeachments und des beginnenden Wahlkampfs - mittelfristig auch für Xi Jinping, der befürchten muss, dass seine Bürger gegen die Partei aufbegehren und bürgerliche Freiheits- und politische Mitwirkungsrechte einfordern, wie derzeit schon die Einwohner Hongkongs.

Der Konflikt mit dem jeweiligen Gegner - samt üblicher Beschwörungsformeln von nationaler Einheit und Stärke - nützt Trump und Xi für den Moment mehr als eine vernünftige kooperative Politik. Tragisch eigentlich.

sputniknews


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