Verstößt Erdogan gegen das Völkerrecht?

  17 Oktober 2019    Gelesen: 1261
Verstößt Erdogan gegen das Völkerrecht?

Erdogan rechtfertigt seinen Angriff auf die Kurden in Nordsyrien mit dem Recht der Türkei auf Selbstverteidigung. Das sei im Artikel 51 der UN-Charta geregelt. Experten bezweifeln jedoch die Rechtmässigkeit der Angriffe.

Was ist die Begründung der Türkei für den Angriff?

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan begründet den Einsatz der türkischen Armee in Nordsyrien mit dem Recht auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen (UN). Darin ist das „naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ festgehalten. Dieses Recht gilt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein UN-Mitglied – und zwar so lange, bis der internationale Sicherheitsrat Maßnahmen beschließt, um den Weltfrieden zu wahren.

Für Erdogan ist die Kurdenmiliz YPG, die als Teil der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) an der Seite der USA gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kämpfte, der verlängerte Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die PKK steht auch in Europa und den USA auf der Terrorliste, sie war in der Vergangenheit immer wieder für Anschläge in der Türkei verantwortlich.

Die Türkei will die YPG zum Abzug aus dem syrisch-türkischen Grenzgebiet zwingen und auf syrischem Boden eine 30 Kilometer breite „Sicherheitszone“ errichten.

Gilt Artikel 51 nur bei Angriffen durch andere Staaten oder auch bei jenen durch Terrororganisationen?

Zumindest wurde er in der Vergangenheit so ausgelegt, dass auch nichtstaatliche Angriffe zählen. Die USA etwa beriefen sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf ihr Recht auf Selbstverteidigung, um ihren Militäreinsatz in Afghanistan zu begründen. Und als der IS im Irak wütete, bat die Regierung westliche Staaten um Hilfe – und bezog sich auf das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung.

Der aktuelle Einsatz des türkischen Militärs ist nicht der erste in der Region. Bereits im Januar 2018 griff die Türkei die Region Afrin im Nordwesten Syriens an und begründete ihr Vorgehen ebenfalls mit Artikel 51. Schon damals gab es Kritik am türkischen Vorgehen.

Wurde die Türkei von der YPG angegriffen und muss sich verteidigen?

Ankara argumentiert unter anderem, dass türkische Staatsbürger gefährdet seien, weil regelmäßig Geschosse aus dem YPG-kontrollierten Gebiet auf türkischem Boden einschlagen. Experten sagen allerdings, dass das Recht auf Selbstverteidigung nur dann gilt, wenn ein Angriff nachweisbar unmittelbar bevorsteht. Das sei aber aktuell nicht der Fall.

Zudem muss die Reaktion auf tatsächliche oder befürchtete Angriffe verhältnismäßig sein. Das sei die türkische Offensive nicht, sagt etwa Matthias Hartwig vom Max-Planck-Institut für Völkerrecht. Der Plan der Türkei, syrische Flüchtlinge in Nordsyrien anzusiedeln, sei eine „massive Bevölkerungsverschiebung“ und somit ein „Völkerrechtsbruch“, so Hartwig.

Was unternimmt der UN-Sicherheitsrat?

In der vergangenen Woche kam der Sicherheitsrat zusammen, um über Nordsyrien zu beraten. Es gab aber keine gemeinsame Erklärung. Lediglich die EU-Staaten forderten einen Stopp des türkischen Einsatzes. Am Freitag blockierten Russland und China einen Text der USA, in der Ankara ebenfalls zur Beendigung der Offensive gegen die YPG aufgerufen wurde.

Für diesen Mittwoch ist eine weitere Sondersitzung des Sicherheitsrats angesetzt. Dass die Staaten gemeinsam einen Abzug der türkischen Truppen fordern, ist auch diesmal unwahrscheinlich. Der russische Außenminister Sergej Lawrow etwa sagte in der vergangenen Woche: „Seit Beginn der Syrien-Krise haben wir deutlich gemacht, dass wir die berechtigten Sorgen der Türkei um die Sicherheit der eigenen Grenzen verstehen.“

Quelle : welt.de


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