Es ist einer der politischen Topjobs Großbritanniens - und noch dazu sehr gut bezahlt: Der Sprecher des britischen Unterhauses verdient mehr als 150.000 Pfund im Jahr, umgerechnet mehr als 174.000 Euro - und damit ungefähr so viel wie der britische Premierminister. Auch die Zusatzleistungen sind nicht zu verachten:
Der Sprecher bekommt eine prunkvolle Residenz mit Blick auf die Themse unter dem weltberühmten Glockenturm "Big Ben" im Westminster-Palast.
Im Schlafzimmer steht ein rot überzogenes Himmelbett, das der britischen Königsfamilie gehört.
"Das ist eher ein Bett zum Anschauen", sagte John Bercow, der Sprecher des Unterhauses, 2012 der britischen BBC. Weder schlafe er in dem Bett, noch wohne er in der Residenz. Sie wird vor allem für offizielle Empfänge genutzt - ein besserer Konferenzraum also.
Sein Posten und die damit verbundenen Annehmlichkeiten sind ab dem 4. November wieder zu haben, nach mehr als zehn Jahren wieder frei. Denn an diesem Tag wird Bercow formal als Abgeordneter zurücktreten. Am 31. Oktober wird er ein letztes Mal als Sprecher den Debatten im Unterhaus vorstehen und sie mit seinen inzwischen legendären "Ordeeeeerrr"-Rufen leiten. Die Nachfolge für den Posten, den es seit mehr als 600 Jahren gibt, ist offen.
Theatralischer Stil, verbissene Art
Der Sprecher ist so etwas wie der Dompteur des britischen Parlaments. Er ist zu strenger Neutralität verpflichtet. Im Amt lässt er seine Parteimitgliedschaft ruhen. So hat John Bercow, ein Konservativer, die Tory-Regierung zuletzt immer wieder in die Schranken gewiesen - zugunsten des Parlaments.
Der Sohn eines Londoner Taxifahrers mit rumänischen Wurzeln hat mit großem Selbstbewusstsein - manche sagen auch Arroganz - insbesondere für die Rechte kleinerer Parteien und Hinterbänkler gekämpft. Damit zog er den Zorn einiger Regierungen und Parteichefs auf sich. Er erkämpfte sich so aber auch den Respekt vieler einfacher Abgeordneter. ("Ich bin ein Marmite-Charakter, den man liebt - oder hasst": Lesen Sie hier das aktuelle -Gespräch mit John Bercow)
Bercow polarisiert: sein theatralischer Stil, die verbissene Art, mit der er der Regierung einen Stein nach dem anderen auf dem Weg zum Brexit legt, Mitarbeiter werfen ihm vor, ein Choleriker zu sein. In einem -Gespräch im Frühjahr dieses Jahres verteidigte der 56-Jährige sein Vorgehen als Dienst am Parlament.
Neun mögliche Nachfolger - und jede Menge Meinungen
Fünf Männer und vier Frauen haben sich bisher für das Amt beworben - und in den letzten Wochen alle von Bercow distanziert. Manche behutsam, andere sehr offensiv:
"Ich bin fair, ich bin neutral", versicherte etwa Lindsay Hoyle, ein Labour-Abgeordneter. Er ist einer von drei stellvertretenden Sprechern des Unterhauses und gilt als Favorit für den Posten.
Eleanor Laing, Abgeordnete der Konservativen und ebenfalls stellvertretende Sprecherin, sagte, "allem Anschein nach" sei unter Bercow "die Unvoreingenommenheit des Parlamentsvorsitzenden" zurückgegangen. Zudem warf sie ihm "Machogehabe" vor.
Auch Kandidat Edward Leigh, ein Tory-Parlamentarier, sagte, Bercow "wurde von einem großen Teil der Nation nicht als neutral wahrgenommen".
Noch schärfer äußerte sich Shailesh Vara, ebenfalls von den Konservativen: Er bezeichnete den derzeitigen Unterhaus-Sprecher als "verbalen Spielplatz-Tyrannen".
Chris Bryant von der Labour-Partei meint, er selbst wäre als Sprecher "Schiedsrichter, nicht Akteur".
Henry Bellingham, Abgeordneter der Konservativen, versprach, sich optisch abzusetzen: Er wolle wieder das ganze traditionelle Sprecherkostüm anziehen, inklusive der langen weißen Perücke und Kniebundhosen. Der letzte Unterhaus-Sprecher, der so vor das Parlament trat, war Bernard Weatherill, der bis 1992 im Amt war. Betty Boothroyd, Weatherhills Nachfolgerin und die bisher einzige Sprecherin, hatte auf die Perücke verzichtet, ihre Nachfolger ebenfalls.
Labour-Politikerin Rosie Winterton, gegenwärtig dritte Stellvertreterin von Berkow, sowie Harriet Harman, ebenfalls Labour-Abgeordnete, schlugen vor, die Macht des Sprechers weiter zu beschränken.
Meg Hiller, auch sie Labour-Politikerin, dankte Bercow dafür, das Parlament "zugänglicher" für die Öffentlichkeit gemacht zu haben, sagte aber auch, dass sie als Sprecherin "Mobbing" im Parlament nicht dulden würde.
Was John Bercow nach dem 4. November machen will, ist unklar. Normalerweise gehen Unterhaus-Sprecher nach dem Ende ihrer Amtszeit in Rente. Weil er verhältnismäßig jung Sprecher wurde und nun erst 56 Jahre alt ist, hatte er schon vor einiger Zeit versprochen, erst mit 65 seinen Sonderpensionsanspruch geltend machen zu wollen.
Ihm steht dann eine Sonderrente von umgerechnet rund einer halben Million Euro zu - zusätzlich zu seiner Pension als ehemaliger Abgeordneter. Diese Sonderpension für die wichtigsten politischen Ämter Großbritanniens wurde 2015 abgeschafft - Bercows Nachfolgerin oder Nachfolger wird sie also nicht mehr zustehen.
Quelle : spiegel.de
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