„Es müssen von Bund und Ländern Konditionen (Bedingungen, Anm. d. Red.) geschaffen werden, dass preiswerter Wohnraum gebaut werden kann“, sagte Werena Rosenke, Geschäftsführerin der „Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe“ (BAGW), im Sputnik-Interview vor Ort im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin am Montag. Sie nahm dabei die Bundesregierung, die Bundesländer und auch Städte und Gemeinden in Deutschland in die Pflicht.
„Die Fördermittel des Bundes dazu müssten deutlich erhöht werden, aber die Länder müssen auch mitziehen“, forderte sie. Benötigt würden pro Jahr bis zu 100 000 neue Sozialwohnungen. „Neu gebaut wurden im Jahr 2017 lediglich nur 27 000 Sozialwohnungen.“ Dies sei eine schwache Leistung der Bundesregierung, die sich zuvor „noch im Koalitionsvertrag“ selbst ein deutlich höheres Ziel gesetzt hatte.
Zuvor nannte Rosenke auf einer Pressekonferenz gemeinsam mit weiteren Sprecherinnen und Sprechern der sozialen Organisation neueste Zahlen zu Menschen in Deutschland ohne festen Wohnsitz. Laut der BAGW gab es demnach im Jahr 2018 etwa 678 000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung.
Fast 20 000 Kinder und Jugendliche leben auf der Straße
Dies sei ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahr von mehr als vier Prozent.
Laut der BAGW sind 70 Prozent der wohnungslosen Menschen in Deutschland alleinstehend. Der Frauenanteil liege mit etwa 59 0000 Personen bei circa 27 Prozent. Etwa 71 000 Wohnungslose leben mit dem Partner oder den Kindern zusammen. Etwa 19 000 Kinder und Jugendliche seien in Deutschland aktuell ohne eigenen Wohnsitz. Aktuell gebe es hierzulande circa 441 000 anerkannte Geflüchtete, die sich ohne festen Wohnsitz durchschlagen. Etwa 17 Prozent der Wohnungslosen kommen demnach aus anderen EU-Staaten, meist Osteuropa.
Viele dieser Menschen würden „ohne jede Unterkunft auf der Straße“ leben. „Hauptgründe für die steigende Zahl der Wohnungslosen sind für die BAGW das unzureichende Angebot an bezahlbarem Wohnraum, die Schrumpfung des Sozialwohnungsbestandes und die Verfestigung von Armut“, so Rosenke auf der Pressekonferenz.
Minister und Sozialpolitiker aus dem Bundestag suchen Lösungen
Diese war zugleich der Auftakt zu einer dreitägigen Bundestagung der BAGW in Berlin, die am Montagnachmittag unter dem Motto „Alles rund ums Wohnen und Nicht-Wohnen: Für eine Nationale Strategie zur Überwindung von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit“ begann. Knapp 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – darunter Sozialpolitiker und Experten im Wohnungsbereich – werden dabei bis Mittwoch über „zentrale Handlungsfelder der Hilfen im Wohnungsnotfall“ diskutieren und versuchen, Lösungen zu finden. Zu Beginn der Veranstaltung richtete Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gemeinsam mit Berlins Senatorin für Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach (Die Linke), ein Grußwort aus. Anschließend suchten sozial- und wohnungspolitische Expertinnen und Experten der Bundestagsfraktionen Antworten auf drängende Fragen.
Bei der Bundestagung gehe es zentral um die Frage, wie mehr Wohnungsraum für Wohnungslose in Deutschland geschaffen werden kann, erörterte BAGW-Geschäftsführerin Rosenke gegenüber Sputnik. „Wie verhindern wir Wohnungslosigkeit, eine extreme Form der sozialen Ausgrenzung? Wir laden die Entscheidungsträger ein, um unsere Forderungen zu präsentieren und um zu hören, wie die Politik dazu steht. Welche Chancen es gibt, Forderungen auch politisch durchzusetzen, damit diese auch einmal Realität werden.“
Frauen ohne festen Wohnsitz: „Haben es in Kleinstädten schwer“
Sie lobte einen neuen Gesetzesentwurf von Arbeitsminister Heil. Laut dem geplanten Gesetz sollen ab dem Jahr 2020 „zu einem Stichtag Ende Januar die Menschen gezählt werden, die in ordnungsrechtlicher Unterbringung – also bei den Kommunen – als Wohnungslose übernachten. Sowie diejenigen, die bei freien Trägern als wohnungslose Menschen übernachten. Das ist erstmal gut. Aber das ist nicht die gesamte Wohnungslosen-Zahl, weil eben viele Menschen gar nicht den Weg ins Hilfesystem finden. Viele versuchen sich, zumindest für eine Zeit, oft ohne institutionelle Hilfe durchzuschlagen. Sie bleiben bei Freunden und Bekannten.“ Um diese Menschen ebenfalls statistisch zu erfassen, „gibt es da sicherlich auch noch Notwendigkeit“, den einen oder anderen Punkt am geplanten Gesetz nachzubessern.
„In Kleinstädten und mittelgroßen Städten ist es für wohnungslose Frauen sehr viel schwieriger, überhaupt Hilfeangebote zu finden“, erklärte Rosenke im Interview vor Ort. „Da gibt es keine frauenspezifischen Beratungsstellen. In der Regel auch keine sicheren Unterkünfte für wohnungslose Frauen. Von daher sind Frauen dann mehr oder weniger gezwungen, in größere Städte zu gehen, um sich dort Hilfsangebote suchen zu können.“
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe ist die bundesweite Dachorganisation der Wohnungslosenhilfe in Deutschland. „Unsere Mitglieder vertreten insgesamt circa 1200 Dienste und Einrichtungen, dazu gehören ambulante Fachberatungsstellen, Angebote des Betreuten Wohnens, stationäre Einrichtungen, Wohnhäuser“, so die Organisation über ihre Arbeit. Sie fördere ebenso „Projekte für junge wohnungslose Erwachsene, spezifische Angebote für wohnungslose Frauen, medizinische Hilfen für Wohnungslose sowie Projekte zur beruflichen und beschäftigungsbezogenen Qualifizierung und Integration“.
sputniknews
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