Friedrich Merz muss fix sein. Wenn am Freitagvormittag zum Parteitagsstart die Tablets auf den Delegiertentischen in der Leipziger Messehalle 1 freigeschaltet sind, sollte Merz sich auf digitalem Wege umgehend als Redner melden: Die Reihung der Wortbeiträge erfolgt nach Eingang. Ist Merz schnell, könnte er womöglich als Erster in die sogenannte Aussprache zum Bericht der CDU-Vorsitzenden gehen und damit unmittelbar auf die Rede von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer reagieren.
Formal ist Merz einfacher Delegierter seines Hochsauerlandkreises auf dem CDU-Bundesparteitag, der am Freitag und Samstag in Leipzig stattfindet, ein besonderes Rederecht kommt ihm deshalb nicht zu. Aber er hat angekündigt, sich vom Rednerpult programmatisch und damit grundsätzlich einzulassen. Und damit dürfte sich der Spannungsbogen des Parteitags zwischen dem einfachen Mitglied Merz und der Vorsitzenden und Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer bewegen.
Gut ein Jahr ist es her, dass sich Kramp-Karrenbauer auf dem Hamburger Parteitag im vergangenen Dezember im Rennen um den Vorsitz knapp gegen den früheren Unionsfraktionschef Merz durchsetzte. Nun sind abermals alle Augen auf die beiden gerichtet.
Einerseits liegt das an Kramp-Karrenbauer selbst, der binnen weniger Monate so viele Schnitzer unterliefen, dass ihre Autorität in der Partei und ihre Beliebtheit in der Bevölkerung drastisch gelitten haben. Merz wiederum, der nach der Niederlage auf ein Spitzenamt in der Partei verzichtete und sich lediglich zum Vizepräsidenten des parteinahen Wirtschaftsrats wählen ließ, genießt unvermindert große Sympathien in Teilen der CDU und bei den Bürgern - und hat sein großes Ziel weiter im Auge: das Kanzleramt.
Merz' Ambitionen
Kommt es in Leipzig also zum Showdown, Teil II, zum offenen Machtkampf zwischen Merz und AKK? Kramp-Karrenbauer muss sich keiner Wahl stellen, und Merz, zumindest beteuert er das, will die Chefin nicht direkt infrage stellen.
Dennoch dürfte der Parteitag zu einem Schaulaufen werden. Merz macht kaum einen Hehl daraus, dass er seine Ambitionen, womöglich doch noch Nachfolger von Angela Merkel zu werden, längst nicht aufgegeben hat.
Allerdings lautet sein Plan offenbar fürs Erste, vor allem Kritik in der Sache zu üben, um so zu zeigen, dass er es besser könnte als Kramp-Karrenbauer oder andere mögliche Kanzlerkandidaten wie Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet oder Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Dies aber, ohne es sich komplett mit der amtierenden Vorsitzenden zu verscherzen. Mancher munkelt schon über mögliche Absprachen, wenn die Frage der Kanzlerkandidatur dann wirklich akut wird.
So oder so - entspannt kann Kramp-Karrenbauer nicht in den Parteitag gehen. Dafür sind die Umfragewerte zu schwach, ist der interne Streit zu laut. "Deutschlands starke Mitte", wie sich die CDU im Parteitagsmotto selbstbewusst nennt, schwächelt in Wahrheit gerade ziemlich.
Natürlich ist Kramp-Karrenbauer für die Misere nicht allein verantwortlich, aber als Vorsitzende steht sie nun mal für Erfolg wie Misserfolg. Um die Stimmung zu drehen, müsste die Parteichefin in Leipzig mindestens so fulminant reden wie in ihrer Bewerbungsrede vor einem Jahr.
Aber selbst dann bleiben noch ein paar Themen, bei denen unangenehme Debatten drohen:
Beispiel Grundrente: Nach quälenden Verhandlungen hatten Union und SPD erst kürzlich einen Kompromiss errungen, den nun maßgebliche Gruppierungen infrage stellen oder zumindest erschweren könnten. Der Wirtschaftsflügel, die Nachwuchsorganisation Junge Union (JU) und weitere Delegierte wollen per Initiativantrag auf konkrete Details in der Umsetzung pochen, die mancher als reine Sabotage interpretiert. Bekommt der Antrag eine Mehrheit, droht in der Bundesregierung neuer Streit mit den Sozialdemokraten. Das wiederum könnte Auswirkungen auf die anstehende Parteitagsentscheidung der SPD über die Zukunft Koalition haben.
In der Frage, ob Huawei am 5G-Aufbau beteiligt werden darf, droht Kramp-Karrenbauer ein unmittelbarer Konflikt mit Kanzlerin Merkel - falls Anträge zum Ausschluss des chinesischen Netzwerkausrüsters eine Mehrheit fänden. Merkel hält eine Beteiligung von Huawei für möglich, falls die entsprechenden Standards eingehalten werden. Helfen könnte ein noch am Donnerstagabend von den Parteigremien modifizierter Initiativantrag des CDU-Außenpolitikers Norbert Röttgen. Dieser sieht eine verschärfte Prüfung vor, fordert aber nicht explizit einen Ausschluss von Huawei.
Ungemütlich für die Vorsitzende könnte auch die Diskussion über den Quotenantrag der Frauen Union werden. Kramp-Karrenbauer hat sich in der Vergangenheit für die Quote starkgemacht, um die CDU grundsätzlich attraktiver für Frauen zu machen. Aber nachdem die Quotenpläne von CSU-Chef Markus Söder jüngst scheiterten, scheint der CDU-Führung nun nicht einmal das von der Frauen Union geforderte Quorum von 33 Prozent mehrheitsfähig zu sein.
Der Empfehlung der Antragskommission, den Quotenantrag aus Furcht vor einer Niederlage erst einmal in ein Parteigremium zu überweisen, wird sich die Frauen Union aus Verbundenheit mit Kramp-Karrenbauer wohl fügen - gestärkt dürfen sich dadurch nur die Quotengegner fühlen. Genau dieses Dilemma dürfte zur Sprache kommen, wenn am Samstag über das Thema diskutiert wird.
Und dann sind da noch die Anträge von Junger Union sowie mehreren Kreis- und Landesverbänden nach einer Urwahl oder Mitgliederbefragung über die nächste Kanzlerkandidatur. Damit ist man wieder bei Friedrich Merz - auch wenn nicht ganz klar ist, ob er eine Urwahl wirklich gut findet. Aber den Initiatoren geht es um Merz: Sie glauben, dass er bei einer Beteiligung der Basis bessere Chancen hätte.
Auch wenn es zuletzt aus der CDU-Spitze warnend hieß, "wenn wir noch einigermaßen bei Vernunft sind, werden wir auf dem Parteitag nicht über solche Fragen diskutieren" - die Debatte wird nicht vermeiden lassen. Obwohl auch hier die Antragskommission die Überweisung in ein Satzungsgremium empfiehlt, könnte am Ende abgestimmt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Mehrheit pro Urwahl votiert. Und dann? Hätte Kramp-Karrenbauer ein echtes Problem.
Die einzige geplante Wahl auf dem Parteitag dürfte dagegen ganz nach dem Wunsch der Vorsitzenden ausgehen: Für die Nachfolge Ursula von der Leyens als Vizechefin wurde die niedersächsische Bundestagsabgeordnete Silke Breher von ihrem Landesverband vorgeschlagen - sie macht aus ihrer Verbundenheit mit Kramp-Karrenbauer kein Geheimnis.
Quelle : spiegel.de
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