Die Beamten aus dem Bundesverkehrsministerium drucksten ein wenig herum. Sie seien gekommen, um die Akten zur Pkw-Maut wieder mitzunehmen, sagten sie den Mitarbeitern des Bundestags, die für das Sekretariat des Verkehrsausschusses arbeiten. Einer, der am Montagmorgen dabei war, erinnert sich: "Denen schien die ganze Aktion ein wenig unangenehm zu sein." Die Ministerialen zogen sich nach Angaben von Augenzeugen in den Raum zurück, in dem bis dato 52 Aktenordner lagerten. Dabei handelt es sich unter anderem um jene Akten, die Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) in diesem Sommer medienwirksam auf einem Handwagen in den Verkehrsausschuss geschoben hatte.
Scheuer wollte nach dem Aus für die Pkw-Maut signalisieren, dass er in der Affäre nichts zu verbergen hatte. Später lieferte das Bundesverkehrsministerium (BMVI) weitere Akten nach.
Mit dieser Transparenzoffensive ist es nun vorbei. Als Scheuers Beamte am Montag fertig waren, stapften sie mit den Ordnern aus den Büros im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestags. Die Rausholaktion des BMVI hat nach SPIEGEL-Informationen mit dem anstehenden Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut zu tun. Die Mitglieder des Gremiums haben die 52 Aktenordner zuletzt als Beweismittel angefordert. Sie sollen in den öffentlichen Sitzungen diskutiert werden. Will das Verkehrsministerium dies unterbinden?
Vieles spricht dafür. Das Ministerium leitete die 52 Aktenordner am Dienstag tatsächlich ans Sekretariat des Untersuchungsausschusses weiter. Allerdings waren viele Dokumente jetzt nicht mehr frei verfügbar. Welche genau, das konnten die Abgeordneten in einem Brief des Verkehrsministeriums nachlesen, der ihnen am Dienstagabend vom Ausschusssekretariat weitergeleitet wurde.
Geheimhaltungsgrad "VS - Vertraulich"
Demnach hatten Scheuers Beamte weit über hundert Dokumente neu eingestuft. Bislang waren die meisten der Unterlagen als "VS - Nur für den Dienstgebrauch" gestempelt. Damit waren sie zwar nicht öffentlich, aber der Minister hatte sie selbst vor den versammelten Journalisten in den Ausschuss geschoben und darüber mit den Abgeordneten debattiert.
Nun weisen viele Dokumente den Geheimhaltungsgrad "VS - Vertraulich" auf, wobei "VS" für "Verschlusssache" steht. Das BMVI packte diese Unterlagen in eine eigene "Sammelmappe" und schickte sie an die Geheimschutzstelle des Bundestags. Dort dürfen sie jetzt nur noch von Abgeordneten und "sicherheitsüberprüften Mitarbeitern" gelesen werden. Das war bisher nicht so.
Für die öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses dürften die Unterlagen erst mal tabu sein. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Scheuer die Arbeit des Gremiums durch die Aktion behindert.
Die Liste der Dokumente, die ab jetzt in der Geheimschutzstelle lagern sollen, liegt dem SPIEGEL vor. Es sind Unterlagen, die für die Aufarbeitung des Debakels von zentraler Bedeutung sind. So stufte das BMVI etwa zwei "Statusberichte" neu ein, die in der Aufbauphase des Mautprojekts für die Hausleitung des BMVI gedacht waren. Sie stammen aus den Wochen vor dem negativen Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18. Juni dieses Jahres.
Der Statusbericht für die Zeit vom 1. Mai bis 28. Mai 2019 beschäftigt sich nach SPIEGEL-Informationen unter anderem mit dem Vertragsverletzungsverfahren, das Österreich gegen Deutschland angestrengt hatte. In einer Risikobewertung steht die Ampel auf Gelb. Den Beamten war damals also durchaus bewusst, dass noch etwas schiefgehen konnte. Warum will das Verkehrsministerium diesen Bericht jetzt für die Öffentlichkeit sperren?
Wirre Begründungen
Als Begründung hat das BMVI dem Untersuchungsausschuss mitgeteilt: "Beeinträchtigungen eines etwaigen schiedsgerichtlichen Verfahrens". Offenbar beziehen sich die Beamten damit auf mögliche Rechtsstreitigkeiten mit den Betreiberfirmen. Doch CTS Eventim und Kapsch TraficCom, die beiden Unternehmen, die die Maut erheben sollten, haben noch gar keine Klage eingereicht. Andere Einstufungen begründet das Ministerium mit "Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen des Bieters" oder "Geheimhaltungsbedürfnissen des Vergabeverfahrens".
"Der Vorgang mutet bizarr an", sagt der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Cem Özdemir. "Es wirkt so, als wäre dem Ministerium aufgefallen, dass da doch noch mehr Sachen drin sind, über die nicht berichtet werden darf", so der Grünenpolitiker.
Er vermutet, dass die "anfängliche Aktion zur Transparenz überstürzt und unüberlegt vorgenommen" worden sei. In den 52 Ordnern enthalten sind auch die Protokolle von den Verhandlungen, die Scheuers Beamte mit den Betreibern der Pkw-Maut geführt hatten, Vorlagen für seine Staatssekretäre und Scheuer selbst, sowie der Briefverkehr zwischen dem Ministerium und den Anwälten der Mautfirmen, nachdem der Europäische Gerichtshof die Straßenabgabe für rechtswidrig erklärt hatte. Daraufhin ließ Scheuer den Mautvertrag kündigen, was nun zu hohen Schadensersatzforderungen durch die beteiligten Firmen CTS Eventim und Kapsch TrafficCom führen dürfte. Viele dieser Dokumente sind jetzt als "VS-Vertraulich" eingestuft.
Die Unterlagen dokumentieren beispielsweise, wie das Ministerium in Verhandlungen mit den Betreibern rund eine Milliarde Euro Kosten in einen Schattenhaushalt auslagerte und damit verschleierte. Auf diese Weise wollte das Ministerium die offiziellen Ausgaben für die Pkw-Maut unter die vom Bundestag vorgegebene Grenze von zwei Milliarden Euro drücken. Der Bundesrechnungshof kam unlängst zu dem Schluss, dass das Ministerium mit seinem Vorgehen gegen Vergabe- und Haushaltsrecht verstoßen hat.
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