Deutsche spenden viel weniger als bekannt

  18 Dezember 2019    Gelesen: 996
Deutsche spenden viel weniger als bekannt

5,6 Milliarden Euro haben Steuerpflichtige in Deutschland im Jahr 2015 gespendet. Eine stolze Summe - aber sehr viel niedriger als die bisherigen Daten der amtlichen Statistiker. Wie kam es zu den überhöhten Zahlen?

In den Wochen vor Weihnachten sind die Bürger in Deutschland besonders freigiebig bei Spenden für den guten Zweck: Rund ein Fünftel des gesamten Jahresaufkommens fällt Umfragen zufolge im Dezember an. In absoluten Zahlen dürften es allein in diesem Monat also mehr als eine Milliarde Euro sein. Darauf deuten neueste Daten der amtlichen Statistiker hin.

Im Jahr 2015 jedenfalls spendeten Steuerpflichtige in Deutschland insgesamt 5,6 Milliarden Euro, wie das Statistische Bundesamt in dieser Woche mitteilte. Es sind die aktuellsten Werte, weil Einkommensteuerdaten stets erst mit einigen Jahren Verzögerung vorliegen - schließlich ist eine Steuererklärung mitunter auch Jahre rückwirkend möglich.

In Wirklichkeit dürften die Bürger noch mehr Geld für den guten Zweck gegeben haben. Denn berücksichtigt wurden ausschließlich jene Spenden, die das Finanzamt anerkennt und von denen es überhaupt weiß, weil sie bei der Steuer angegeben wurden. Es gibt also blinde Flecken: Gaben an Bedürftige auf der Straße oder die Kirchenkollekte kann die amtliche Statistik nicht erfassen. Spenden an politische Parteien oder Stiftungen sind ebenfalls nicht eingerechnet. Und auch Erbschaften tauchen in dieser Statistik nicht auf. Das gesamte Spendenaufkommen liegt also sicher höher.

Trotzdem ist die stolze Summe von 5,6 Milliarden Euro ernüchternd. Denn diese Zahl liegt deutlich unter dem Niveau der bisher veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamts zum Spendenaufkommen auf Grundlage der Einkommensteuerstatistik. Die Behörde hatte das Aufkommen etwa für das Jahr 2014 auf 8,4 Milliarden Euro beziffert - in Wirklichkeit waren es aber 6,0 Milliarden Euro, wie aus einer begleitenden neuen Untersuchung des Statistischen Bundesamts hervorgeht.

Spendenrechner korrigiert

Die zuvor deutlich erhöhten Daten hatte die Behörde Institutionen und Unternehmen im gemeinnützigen Sektor zur Verfügung gestellt, die die Zahlen dann ihrerseits veröffentlichten - etwa dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen, das das bekannte DZI-Spendensiegel vergibt, der Spendenplattform betterplace (hier auf Folie vier) oder der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Auch die Initiative deutsche Spendenstatistik nutzte diese Daten - unter anderem für den gemeinsam mit dem SPIEGEL entwickelten Spendenrechner, der im Dezember 2018 veröffentlicht wurde und mit dem Nutzer ihr individuelles Spendenverhalten einschätzen konnten. Da die zugrunde liegenden Daten den neuesten Erkenntnissen zufolge massiv überhöht waren, hat der SPIEGEL den Spendenrechner nun deaktiviert und dies transparent gekennzeichnet.

Doch wie kam es zu den deutlich überhöhten Daten zum Spendenaufkommen? Der Grund liegt in den sogenannten Spendenvorträgen - die ähnlich wirken wie die bekannten Verlustvorträge: Spenden können in einem Jahr zwar nur bis zu einer Höhe von 20 Prozent des Einkommens steuerlich geltend gemacht werden - der verbleibende Rest kann aber dann in den Folgejahren geltend gemacht werden, jeweils wieder bis zu einer Höhe von 20 Prozent des Einkommens.

Spendenwachstum deutlich niedriger

In der Statistik wurden diese Spendenvorträge dann aber jedes Mal als neues Spendenaufkommen gezählt. Auf diese Weise ist ein Teil der Spenden gleich mehrfach in die Statistik eingeflossen - und hat die Zahlen enorm verzerrt. Denn inzwischen haben sich diese Spendenvorträge zu einer sehr großen Summe addiert: im Jahr 2015 waren es 3,8 Milliarden Euro. Weil Vorträge auch über viele Jahre hinweg aktiviert werden können, ist es schwierig, das exakte Spendenaufkommen eines Jahres zu bestimmen - das Statistische Bundesamt hat nun eine neue Methode entwickelt, um den Effekt der Spendenvorträge möglichst exakt herauszurechnen und dazu hier einen ausführlichen Artikel veröffentlicht.

Angesichts der nun neu berechneten amtlichen Daten stellen sich nun auch einige Fakten als nicht zutreffend heraus, die der SPIEGEL im Dezember 2018 in einem Artikel und in einem Interview zum Spendenrechner veröffentlicht hat:

Das Spendenaufkommen ist seit 2001 nicht um mehr als das Doppelte gestiegen, sondern weit weniger stark. "Bisher sind wir von preisbereinigten Nettowachstumsraten von durchschnittlich etwa sieben Prozent jährlich in den vergangenen 15 Jahren ausgegangen", sagt Daniel Rahaus von der Initiative deutsche Spendenstatistik. Nun weisen die Daten des Statistischen Bundesamts für den Zeitraum von 2007 bis 2015 lediglich ein preisbereinigtes Wachstum von rund 2,5 Prozent im Jahr aus. "Der Unterschied ist erheblich und kommt einer sprichwörtlichen Enttäuschung gleich", sagt Rahaus.
Damit ist auch die damalige Prognose hinfällig, dass das Spendenaufkommen bereits 2018 die Zehn-Milliarden-Euro-Marke erreicht habe. Weit realistischer ist Rahaus zufolge nun eine Größenordnung von rund acht Milliarden Euro im Jahr 2019.

Auch die Aussage aus dem Interview von Dezember 2018, "dass nur einige Hundert vermögende Ehepaare weit über eine Milliarde Euro gespendet" haben, ist nicht mehr haltbar. Gerade in diesem Personenkreis dürfte der Effekt der Spendenvorträge besonders stark wirken. Die Summe liegt daher wohl deutlich niedriger.

Sowohl den Artikel als auch das Interview hat der SPIEGEL nun mit einer entsprechenden Anmerkung ergänzt.

"Für die Finanzierung von Vereinen und Initiativen werfen die neuen Zahlen erhebliche Fragen auf", sagt Holger Krimmer von der Denkfabrik Ziviz im Stifterverband, die neben Betterplace und Amazon Smile Partner der Initiative deutsche Spendenstatistik ist. Zwar dürfe nicht vergessen werden, dass auch der Bereich der Unternehmensspenden in den Daten nicht enthalten sei, der laut einer Ziviz-Studie allein 9,5 Milliarden Euro im Jahr umfasse. Dennoch sei die Arbeit für das bürgerschaftliche Engagement vor Ort ohnehin meist unterfinanziert, so Krimmer.

Zivilgesellschaft und Politik müssten sich Gedanken machen, wie sie die Spendenbereitschaft konkret fördern könnten, ergänzt Rahaus: "So blühend wie es zu sein schien, ist die finanzielle Realität vieler Tausender gemeinnütziger Organisationen offenbar nicht."

Quelle : spiegel.de


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