Ein bisschen Frieden

  20 Dezember 2019    Gelesen: 902
Ein bisschen Frieden

Harmonie first: Zum ersten Mal waren die neuen SPD-Chefs im Koalitionsausschuss mit dabei, aber an die strittigen Fragen wagte man sich nicht heran. Die GroKo will sich friedliche Weihnachten gönnen.

Hat man sich nur eingebildet, dass die SPD mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vor kurzem zwei neue Vorsitzende an die Spitze gewählt hat, die mit einem klaren Anti-GroKo-Kurs angetreten waren?

Nein.

Es ist einfach nur die nackte Realität, die sich an diesem Abend beim Koalitionsausschuss im Kanzleramt manifestiert. Dazu gehört erstens, dass die Spitzen von Union und SPD jetzt mal wenigstens ein paar Tage Ruhe haben wollen, inklusive des neuen Vorsitzenden-Duos. Und zweitens, dass die Sache mit dem GroKo-Exit eben gar nicht so leicht ist, wie sich das Esken und Walter-Borjans wohl zeitweise vorgestellt haben.

Jedenfalls, so wird von Teilnehmern berichtet, ist in den gut anderthalb Stunden, die man bei Würstchen, Frikadellen und Kartoffelsalat in der Regierungszentrale zusammensaß, vom Ende der Koalition keine Rede gewesen. In lockerer Stimmung sprach man demnach über verschiedene innen- und außenpolitische Themen und vereinbarte schließlich das nächste Treffen für Ende Januar. Und, dass man - wie schon in der Vergangenheit - mehr oder weniger regelmäßige Koalitionsausschüsse abhalten wolle.

"Alles gut", sagt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, als er, sein Fahrrad schiebend, um kurz nach halb neun das Kanzleramt verlässt.

Daran darf man ernste Zweifel haben, nach all dem, was in den vergangenen Monaten vor allem in seiner Partei geschehen ist. Zur Erinnerung: Mützenich ist überhaupt nur im Amt, weil Andrea Nahles im Sommer als Fraktions- und Parteichefin zurücktrat. Und auch hinter dem Koalitionspartner CDU liegen aufreibende Monate. Aber für den Moment ist es eben genau das, was alle Protagonisten sich sehnlichst wünschen: Ein bisschen Frieden.

Wenigstens über Weihnachten und Neujahr.

Ob Esken und Walter-Borjans ihre Partei wirklich noch aus der Koalition führen wollen, daran gibt es inzwischen sowieso ernsthafte Zweifel. Auch, weil sie erkannt haben, wie stark diejenigen bei den Sozialdemokraten immer noch sind in der Regierung, der Bundestagsfraktion und unter den SPD-Ministerpräsidenten, die weitermachen wollen. Auch der im Rennen um den Vorsitz unterlegene Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz ist weiter in seinem Ämtern. Aber vielleicht sondieren die beiden auch erstmal die Lage, sie müssen sich organisatorisch einrichten, nicht einmal einen Sprecher hat das neue Duo bislang.

Ob die Koalition halten wird oder nicht - darüber gibt dieser Abend im Kanzleramt in Wahrheit keinen Aufschluss.

Ingwertee haben Esken und Walter-Borjans zu ihrer Premiere im Koalitionsausschuss mitgebracht, Geschmacksnote "angenehm scharf mit leichter Süße", wird anschließend verbreitet. Zuvor saßen die beiden mit der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder zum Kennenlernen zusammen, dazu hatte der Nürnberger Söder drei Schachteln Lebkuchen aus seiner Heimatstadt spendiert. Alle bemühen sich, nett zu sein.

Nur CSU-Chef Söder stichelt ein wenig

Aber Söder meinte auch, als er zu dem Treffen erschien: "Zu glauben, dass diese Große Koalition jetzt schon in trockenen Tüchern wäre - das glaube ich nicht. Da müsse "noch hart gearbeitet werden", sagte der bayerische Ministerpräsident.

Bloß nicht an diesem Abend.

Esken und Walter-Borjans, das steht auch im eben vom SPD-Parteitag verabschiedeten Leitantrag, wollen einen deutlich höheren Mindestlohn und ein gigantisches Investitionspaket. Dazu kommen Forderungen für ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen, die sie offenbar auch durch das gerade nachverhandelte Paket noch nicht erfüllt sehen.

Spätestens beim nächsten Koalitionsausschuss Ende Januar werden sie das ansprechen müssen, um nicht komplett unglaubwürdig zu erscheinen. Und vielleicht haben sich bis dahin auch CDU und CSU ein bisschen mehr sortiert. Nur darauf zu reagieren, wie sich die Sozialdemokraten mit Blick auf die Koalition aufstellen, das wird auf Dauer für die Union nicht reichen.

Sich aus gemeinsamer Schwäche aneinanderzuklammern, kann schwerlich noch anderthalb Jahre gut gehen. Zumal die CSU ihr Tief überwunden zu haben glaubt und ihr Vorsitzender Söder sich so stark fühlt wie nie. Zu den Lahmen in Berlin wird er irgendwann nicht gehören wollen.

Aber jetzt ist erstmal Ruhe.

spiegel


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