Aus Schäubles Sicht sind unsere Gesellschaften „unter den Bedingungen von Globalisierung und Digitalisierung heterogener, unübersichtlicher und konfliktreicher“ geworden. Menschen haben das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Dabei fällt in Deutschland eine Besonderheit auf, die der Bundestagspräsident als „spezifisch ostdeutsches Identitätsgefühl“ bezeichnet.
Identifizierungsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen
Viele Ostdeutsche identifizieren sich „nach wie vor mit ihrem früheren Staatsgebiet“, schreibt der CDU-Politiker unter Berufung auf eine Studie. Die Westdeutschen verstünden sich „in erster Linie als Deutsche“. Im Unterschied zu ihnen sehe sich eine Mehrheit der Deutschen in den neuen Bundesländern „vorrangig als Ostdeutsche“.
„(…) Ein bemerkenswerter Befund 30 Jahre nach der staatlichen Einheit“, so Schäuble.
Unter den Grundlagen für die ostdeutsche Identität nannte er „als zu groß empfundene Unterschiede zwischen den Lebensbedingungen, einen Mangel an Anerkennung von Lebensleistungen, selbst erfahrene und in der Familie tradierte Kränkungen im Transformationsprozess, wie sie sich in der Verteufelung der Treuhand manifestieren“, sowie „die demografischen Folgen der Abwanderung“.
Aus diesem „Gemisch“ basiere eine Identität, die die „Spaltung in Ost und West“ eher zementiere, als „sie zu überwinden“ helfe.
Ostdeutsche: Keine „Opfer“, sondern Menschen mit „wertvoller Erfahrung“
Darüber hinaus warf der Politiker Ostdeutschen Opfergefühle vor. In der Wirklichkeit besitzen die Menschen im Osten eine Erfahrung, die andere nicht haben.
„Mancher pflegt geradezu den eigenen Opferstatus, statt selbstbewusst darauf zu verweisen, den Menschen im Westen eine wertvolle Erfahrung vorauszuhaben: die Anpassung an massive gesellschaftliche Umwälzungen.“
Sollte dieser „Erfahrungsvorsprung“ gesamtgesellschaftlich erkannt und gemeinsam genutzt werden, würde das „nachhaltig zur inneren Einheit beitragen“.
Laut Schäuble ist es notwendig, „eine Basis des Zusammenlebens zu finden, auf der niemand seine eigene Identität, seine kulturellen Wurzeln aufgeben muss, wir andererseits aber offen genug sind, um uns als Teil eines Gemeinwesens zu fühlen“.
mo/sb
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