Österreich bekommt Schwarz-Grün

  02 Januar 2020    Gelesen: 701
Österreich bekommt Schwarz-Grün

Ein Bündnis mit Symbol-Charakter für Deutschland und Europa: In Österreich werden die Konservativen und die Grünen erstmals ein Regierungsbündnis bilden. Der alte Kanzler, Sebastian Kurz, wird auch der neue werden. Von den Koalitionsergebnissen zeigen sich beide Seiten überrascht.

Die konservative ÖVP und die Grünen in Österreich haben sich nach etwas mehr als sechs Wochen intensiver Koalitionsverhandlungen auf ein gemeinsames Regierungsprogramm verständigt. Der alte und aller Voraussicht nach auch neue Kanzler Sebastian Kurz wagt damit einen Kurswechsel, nachdem er eineinhalb Jahre mit der rechten FPÖ regiert hatte. Das Übereinkommen der beiden durchaus unterschiedlichen Parteien muss noch von den Gremien der Grünen abgesegnet werden, entscheidend ist dabei das Votum des Bundeskongresses am Samstag. Dass die fast 300 Delegierten zustimmen werden, gilt aber als sicher.

Dem Bündnis wird bereits jetzt Symbol-Charakter für Deutschland und Europa zugesprochen. "Diese Regierungsverhandlungen, so ehrlich muss ich sein, waren nicht einfach, weil die beiden Parteien in ihrer inhaltlichen Ausrichtung sehr, sehr unterschiedlich sind", sagte ÖVP-Chef Kurz. Letztlich habe man es aber geschafft, mehr als nur kleine Kompromisse zu vereinbaren, das Übereinkommen enthalte "das Beste aus beiden Welten". "Es ist möglich, die Steuerlast zu senken und gleichzeitig das Steuersystem zu ökologisieren. Und es ist möglich, gleichzeitig das Klima und die Grenzen zu schützen."

Der Grünen-Chef und künftige Vizekanzler Werner Kogler erklärte, dass sich die Verhandler beim Thema Klimaschutz weiter geeinigt hätten, als erwartet wurde. "Österreich soll zum europäischen und internationalen Vorreiter in Sachen Klimaschutz werden." Details aus dem Regierungsprogramm sollen erst am Donnerstagnachmittag präsentiert werden, während die Ministerliste in großen Teilen seit Montag schon Stück für Stück bestätigt wurde. "Es ist bedauerlich, dass für ÖVP und Grüne derzeit offenbar Namen wichtiger sind als Inhalte", kritisierte der Generalsekretär der liberalen Neos, Nick Donig. "Das wird vor allem ein ÖVP-Programm", prognostizierte Politikberater Thomas Hofer am Mittwoch beim Fernsehsender "oe24".

Die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, hatte in der Zeitung "Der Standard" bereits zugegeben, dass im Regierungspakt auch Dinge stehen werden, die den Grünen nicht behagen. Die Neuwahl und die Koalitionsverhandlungen waren nötig geworden, nachdem die rechtskonservative Regierung nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos zerbrochen war. Der ehemalige FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache wirkte auf den Aufnahmen anfällig für Korruption und musste zurücktreten. Kurz rief Neuwahlen aus und wurde wenige Tage später per Misstrauensvotum aus dem Kanzleramt getrieben.

Große Hürden überwunden

Bei der Wahl im September konnten ÖVP und Grüne dann deutliche Gewinne verbuchen, während die sozialdemokratische SPÖ und die rechte FPÖ viele Wählerstimmen verloren. Damit standen bereits am Wahlabend die Zeichen auf schwarz-grün in der Alpenrepublik. Beide Parteien betonten während den Verhandlungen, dass es zwischen ihnen große Unterschiede gebe und entsprechend große Hürden auf dem Weg zu einem Bündnis überwunden werden müssten. Während Kurz neue Steuern ablehnt, auf einen Anti-Migrationskurs Wert legt und wirtschaftsnah regieren will, benannten die Grünen den Klimaschutz, den Kampf gegen die Kinderarmut und mehr Transparenz als ihre wichtigsten Punkte.

Dass die Verhandlungen erfolgreich enden würden, hatte sich in den vergangenen Tagen abgezeichnet. Die Bekanntgabe zahlreicher Ministervorschläge ließ zudem erahnen, welche Schwerpunkte die beiden Parteien künftig setzen wollen. Zu den Überraschungen gehörte vor allem die Neueinrichtung eines Integrationsministeriums, dessen Leitung Susanne Raab übernehmen soll. Die Kurz-Vertraute war bisher Leiterin der Integrationssektion im Außenministerium.

Kurz lobte sie als "junge und sehr erfahrene Integrationsexpertin". Die Grünen erhalten derweil ein Superministerium, in dem die Themen Umwelt, Verkehr und Infrastruktur, Energie, Technologie und Innovation zusammengeführt werden. Als Ministerin ist Leonore Gewessler vorgesehen. Die 43-Jährige leitete die Umwelt-NGO Global 2000, bis Grünen-Chef Werner Kogler sie zu einer Kandidatur für die Grünen bei der Nationalratswahl im September überzeugen konnte.

Kritik an Größe der Regierungsmannschaft

Im Verteidigungsministerium wird mit Klaudia Tanner, derzeit Bauernbunddirektorin im Bundesland Niederösterreich, erstmals eine Frau Chefin. Innenminister wird der bisherige ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer. Mit Außenminister Alexander Schallenberg darf auch ein Mitglied der Expertenregierung, die derzeit übergangsweise die Geschäfte führt, im Kabinett bleiben. FPÖ-Chef Norbert Hofer kritisierte die erwartete Größe der Regierungsmannschaft und die damit verbundenen Kosten.

Auch die Besetzung des Verteidigungsministeriums sah der frühere Verkehrsminister kritisch. "Der designierten Bundesministerin für Landesverteidigung fehlt jede Beziehung zum Bundesheer, das finanziell an der Kippe steht", sagte Hofer und fügte hinzu: "Die ÖVP ignoriert ihre Wahlversprechen und drängt Österreich in eine Linksregierung".

Nach der Vorstellung des Regierungsprogramms am Donnerstag sind für Freitag Gremiensitzungen beider Parteien angesetzt. Alle Blicke richten sich aber letztlich auf den Bundeskongress der Grünen am Samstag in Salzburg. Ohne die mehrheitliche Zustimmung zum Regierungspaket können die Grünen die Koalition und damit ihre erste Regierungsbeteiligung nicht eingehen. "Wenn es nicht eine deutliche Mehrheit ist, dann würden ja die Grünen ihren Parteichef Werner Kogler sozusagen fast gegen die Wand knallen lassen", sagte der Politikexperte Peter Filzmaier kürzlich im ORF-Nachrichtenmagazin "ZiB2".

Auch Filzmaier geht davon aus, dass die Mitglieder der Grünen dabei durchaus große Brocken schlucken müssen. "Das Dilemma ist natürlich, dass die ÖVP ganz andere Themenschwerpunkte hat auch aus Sicht der Wählerschaft. Das ist vor allem die Wirtschaft und weniger der Umweltschutz."

Quelle: ntv.de, mba/dpa


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