Der britische Premierminister Boris Johnson gab den Klimaschutzvorreiter als er jetzt das Programm für den nächsten internationalen Klimagipfel Ende des Jahres im schottischen Glasgow vorstellte. Spätestens 2035 soll der Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotor auf der Insel verboten sein – und das soll nur ein Beispiel für den besonderen britischen Ehrgeiz beim Kampf gegen den Klimawandel sein. Für den Klimaschutz mag das eine gute Nachricht sein, die EU aber stellt das Vorpreschen vor ein Problem. Denn das Vereinigte Königreich steht besser da, wenn seine Klimabilanz nicht durch die Nachzügler aus anderen EU-Staaten verdorben wird – und als Gastgeber der „COP26“ hat das Land großes Interesse daran, gut dazustehen.
In Brüssel geht deshalb die Sorge um, dass die Briten aus der gemeinsamen Klimapolitik ausscheiden und damit nach dem Brexit-Loch im EU-Haushalt auch ein Brexit-Loch in der Klimapolitik entsteht. Ein Loch, das vor allem Deutschland und die anderen EU-Staaten füllen müssten.
Der Grund dafür ist, dass sich die EU zwar insgesamt verpflichtet hat, die CO2-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent verglichen mit 1990 zu verringern, dazu aber nicht alle Staaten gleichermaßen beitragen. Manche Staaten verringern ihren Ausstoß stärker und andere geringer. Großbritannien ist dabei schon heute der Musterschüler. Es hat den CO2-Ausstoß 2018 um mehr als 40 Prozent gesenkt und strebt für 2030 eine Reduktion von 57 Prozent an, also deutlich mehr als die EU im Durchschnitt erreichen will. Wenn die Briten sich also aus der gemeinsamen Klimapolitik verabschieden, reißt das eine große Lücke.
Eine Lücke von 360 Millionen Tonnen
Die anderen Staaten müssten sich umso stärker anstrengen, um das 40-Prozent-Ziel noch zu erreichen. Wie stark hat der deutsche Energiekonzern Steag ausgerechnet: Wenn man die 57 Prozent, die die Briten bis 2030 erreichen wollen, aus dem 40-Prozent-Ziel der EU herausrechnet, erreicht diese insgesamt nur noch eine Reduktion von 37 Prozent. Das entspricht einer Lücke von rund 136 Millionen Tonnen an CO2-Äquivalenten.
Noch größer wird die Lücke, wenn die EU ihre Klimaziele für 2030 wie von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Aussicht gestellt auf 55 Prozent erhöht. Bleiben die Briten bei ihrem nationalen 57-Prozent-Ziel, wächst die Differenz zwischen dem, was die EU mit oder ohne Großbritannien erreicht, auf 360 Millionen Tonnen. Das ist mehr als ein Drittel des gesamten deutschen Ausstoßes.
Das Vorbild Johnson
Kommt es zum harten Brexit in der Klimapolitik muss die EU sich entscheiden: Entweder sie senkt die Ziele für 2030 ab und argumentiert, die Bedingungen hätten sich ohne Großbritannien geändert. Oder die verbleibenden EU-Staaten, die sich bereits schwer tun ihre bisherigen Klimaziele zu erreichen, müssen sich noch stärker anstrengen. Europaabgeordnete wie der CDU-Politiker Peter Liese mahnen angesichts dessen vor zu großen Ehrgeiz. „Wenn die Briten aus der Klimapolitik der EU ausscheren, wird es sehr, sehr schwierig für uns den CO2-Ausstoß bis 2030 um 50 geschweige denn 55 Prozent zu reduzieren.“ Ähnlich klingt es bei Steag.
In der Kommission und bei den Grünen will man von Zurückhaltung hingegen nichts hören. Natürlich mache ein harter Austritt der Briten der EU das Leben auch in der Klimapolitik schwerer, weil die Briten ihre Ziele überfüllt hätten, sagt der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss. Aber das ändere ja nichts daran, dass die EU ihre Klimaziele erhöhen müssen, um ihre Zusagen aus dem Pariser Klimaprotokoll einzuhalten. In der Kommission wird darauf verwiesen, dass die EU das 40-Prozent-Ziel ohnehin übererfüllen werde. Wenn die EU-Staaten alle Unterziele, etwa zum Ausbau der Erneuerbaren oder zur Energieeffizienz, einhielten, lande man bei 45 Prozent, wenn nicht gar 47,5 Prozent.
Es gebe also noch Luft, eine Lücke drohe unmittelbar gar nicht – wobei es tatsächlich momentan nicht danach aussieht, als würden alle Staaten die Unterziele erreichen. Die Kommission sehe Johnson Ehrgeiz in der Klimapolitik eher als Vorbild denn als Problem.
faz.net
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