"Intensivkapazitäten sind auch endlich"

  05 April 2020    Gelesen: 537
  "Intensivkapazitäten sind auch endlich"

Der Blick nach Italien bereitet vielen Sorgen: Mehr als 110.000 Menschen sind inzwischen am Coronavirus erkrankt, fast 14.000 bereits gestorben - mehr als in China. Das Gesundheitssystem im Norden des Landes ist überlastet, das medizinische Personal zum Teil am Ende seiner Kräfte. Dass es in Deutschland zu solchen dramatischen Zuständen kommen wird, glaubt Intensivmediziner und Lungenspezialist Christian Karagiannidis nicht. Er ist Mitinitiator des neuen Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Die Datenbank zeigt Ärzten freie Beatmungsplätze, lässt aber vor allem Rückschlüsse auf die Versorgungslage in Deutschland ziehen. Die sei momentan noch ziemlich gut, sagt Karagiannidis im Gespräch mit ntv.de.

ntv.de: Herr Karagiannidis, Sie sind Mitinitiator des DIVI-Intensivregisters. Warum ist das Register in der Corona-Krise so wichtig?

Christian Karagiannidis: Zum einen wollen wir den ärztlichen Kollegen ein Tool an die Hand geben, um zu sehen, wo es freie Bettenkapazität gibt. Wenn jetzt zum Beispiel in Heinsberg, wo das Coronavirus ausgebrochen ist, nachts um drei plötzlich die Intensivstation voll ist, aber der nächste Patient kommt, der intubiert werden muss, kann man über das Register auf einen Blick sehen, wo es in der Umgebung noch freie Betten gibt.

Im Rahmen dieser Pandemie sind wir zum anderen damit konfrontiert, dass der limitierende Faktor für die Versorgung der Bevölkerung nicht die Gesamtzahl der Infizierten ist, sondern die Zahl der Patienten, die auf der Intensivstation beatmet werden müssen. Denn das ist die eigentliche Belastung für das Gesundheitswesen. Mit dem Register haben wir die einmalige Möglichkeit, eine ganz genaue Kurve zu erstellen, an der wir sehen, wie sich die Zahl der Beatmeten im Laufe der Zeit verändern. Und aus dieser Kurve heraus - zusammen mit dem Wissen, wie lange sie beatmet werden müssen und wie lange die Inkubationszeit die Erkrankung ist - kann man ein relativ gutes Modell errechnen, wann die Grenzen der Intensivstationen erreicht sind.

Außerdem sehen wir, wie viele freie Betten vorhanden sind und wie viele in den nächsten 24 Stunden zusätzlich geschaffen werden können. Das gibt uns einen ganz genauen Überblick darüber, wo wir stehen und wie es in den nächsten Wochen weitergeht.

Wie viele Kliniken haben sich mittlerweile eingetragen?

Ins Register haben sich von den knapp 1200 Kliniken in Deutschland, die eine Intensivstation haben, inzwischen 1052 Kliniken eingetragen. Das ist wirklich sensationell. Am Freitag ist die Zahl noch einmal gestiegen, da Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen das Ganze verpflichtend gemacht haben.

Es gibt in Deutschland also genug Intensivbetten, sollte die Zahl der schwer erkrankten Patienten sprunghaft ansteigen?

Im Moment ist Deutschland wirklich gut aufgestellt. Wir sind jetzt bei 2400 Patienten. Damit haben wir noch nicht einmal 25 Prozent unserer Reserve der High-Care-Betten belegt und somit genügend Puffer. Allerdings wird sich erst in den nächsten Tagen zeigen, ob wir genügend Kapazitäten geschaffen haben. Man muss nämlich eine Latenzzeit von acht bis zehn Tagen beachten, bevor das Lungenversagen auftritt. Also jede Maßnahme, die von der Bundesregierung ergriffen worden ist, ist erst zehn Tage später auch bei den beatmeten Patienten sichtbar. Im Moment macht das aber einen ganz guten Eindruck auf mich.

Ein weiterer Knackpunkt könnte allerdings auch fehlendes medizinisches Personal sein. Wie sehen Sie die Krankenhäuser da aufgestellt?

Das Personal ist das A und O. Intensivmediziner berücksichtigen das allerdings bereits, wenn sie sich in das Register eintragen. Wenn eine Klinik also sagt, dass sie so und so viele Betten frei hat, dann bedeutet das im Umkehrschluss auch, dass das Personal dafür zur Verfügung steht. Das ist das Schöne an dem Register. Da ist nämlich schon eine Wertung für die nächsten 24 Stunden mit drin.

Wir können unsere Kapazitäten nicht beliebig verdoppeln, wie das so oft gefordert wird. Das geht nur mit Personal. Und da gibt es im Moment aus allen Bereichen eine sehr hohe Bereitschaft, die Intensivmediziner zu unterstützen. Somit haben wir auch schon mehr Intensivbetten als vor der Krise. Allerdings ist das Ganze auch endlich. Deswegen ist das DIVI-Intensivregister auch so wichtig, denn so sehen wir jeden Tag, wo wir in Deutschland stehen.

Allerdings können Ärzte und Pfleger Covid-19-Patienten nicht ohne Schutzkleidung betreuen. Gibt es in den Krankenhäusern genug Material?

Schutzkleidung ist in meinen Augen das höchste Gut für die Mitarbeiter. Es gibt Kliniken, wo es knapp wird. Aber wir sind im Moment noch so aufgestellt, dass wir überall Schutzkleidung zur Verfügung haben. Aber es ist extrem wichtig, dass alles unternommen wird, dass wir niemals in die Situation kommen, dass wir zu wenig Material haben für die folgenden Tage.

Als Intensivmediziner und Lungenspezialist behandeln Sie im Krankenhaus Köln-Merheim Covid-19-Patienten. Wie viele liegen momentan auf Ihrer Station?

Wir haben auf der Intensivstation zurzeit 14 beatmete Patienten. Neue Patienten kommen sukzessive im Laufe der Zeit dazu und nicht auf einen Schlag, was sehr gut ist für uns. Wir haben auch noch einige Patienten auf der Normalstation zu liegen und in solchen Bereichen, die zum Beispiel nur Sauerstoff geben können. Aber wir sind nicht an dem Punkt, dass wir mit Intensivfällen überschwemmt werden.

Der besorgte Blick geht immer wieder nach Italien, wo das Gesundheitssystem vollkommen überlastet ist. Wenn Sie sich nun die Zahlen in Ihrem Register anschauen, denken Sie, dass Deutschland die Krise besser meistern wird?

Ich glaube, wir müssen nicht so viel Angst haben, wenn wir auf Italien blicken. Wir haben so schon sechs Mal mehr Intensivbetten als die Italiener. Und ich habe auch den Eindruck, dass die Maßnahmen der Bundesregierung schon jetzt bei uns ankommen. Die Krankenhäuser wurden bisher nicht überschwemmt. Entscheidend wird allerdings sein, was in den nächsten Wochen in den Alten- und Pflegeheimen passieren wird. Wenn wir in großen Pflegeheimen Ausbrüche haben, dann wird auch ganz schnell die Patientenzahlen hoch gehen. Aber ich bin verhalten optimistisch, dass es jetzt erst einmal gut weitergeht.

Mit Christian Karagiannidis sprach Hedviga Nyarsik

Quelle: ntv.de


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