Turkmenen-Politiker Abdurrahman Mustafa: „PYD verletzt in eroberten Gebieten die Menschenrechte“

  18 Februar 2016    Gelesen: 1067
Turkmenen-Politiker Abdurrahman Mustafa: „PYD verletzt in eroberten Gebieten die Menschenrechte“
Der Vorsitzende des syrischen Nationalrates der Turkmenen, Abdurrahman Mustafa, gab Eurasia News ein Exklusiv-Interview. Er erklärte, dass die Turkmenen in West-Syrien von Beginn der russischen Luftkampagne an ein Dorn im Auge für Moskau und seinen Damaszener Verbündeten gewesen seien. Zudem wiederholte er auch er die Forderung Ankaras nach der Einrichtung einer Flugverbotszone in Nordsyrien, um Turkmenen und andere Zivilisten vor kriegerischen Auseinandersetzungen zu schützen.
Sehr geehrter Herr Mustafa, seit dem Grenzzwischenfall um den Abschuss der russischen Su-24-Maschine wurde das militärische Vorgehen gegen die von Turkmenen bewohnte Region Bayır Bucak massiv ausgeweitet. Sind die syrischen Turkmenen nun die Leidtragenden der Eiszeit zwischen der Türkei und der Russischen Föderation?

Wie Sie wissen, hat Russland offiziell und auch real seit dem 30. September 2015 in Syrien eingegriffen. Die ersten Bombardements der russischen Flugzeuge richteten sich gegen turkmenische Vororte in den Provinzen Hama und Homs sowie den Turkmenen-Bergen in Syrien. Das syrische Regime, das von Russland uneingeschränkte Unterstützung erhält, jedoch bombardiert seit mehr als fünf Jahren Gebiete der Turkmenen und metzelt diese nieder. Der Abschuss der Su-24 reiht sich nur in eine Reihe zahlreicher Ereignisse gegen die Turkmenen ein.

Wir sind uns bewusst, dass Russland eigene Pläne für die turkmenisch geprägte Region in Latakia hat. Diese Region ist der Zugang zum Mittelmeer für Syrien und hier die Oberhand zu haben, ist für Russland sehr wichtig. Der Druck, den es auf die Turkmenen ausübt, die Angriffe und sogar Versuche, eine ethnische Säuberung durchzuführen, sind ein Teil eines größeren Planes.

Die russische Seite wirft – gestützt auf oppositionelle Medienberichte in der Türkei – Ankara vor, extremistische und terroristische Gruppen auf der syrischen Seite der Grenze mit Waffen zu versorgen. Die Türkei gibt an, es habe nur Hilfslieferungen über die Grenze für Turkmenen gegeben. Was können Sie zu diesen Darstellungen aus eigener Beobachtung sagen?

Das stimmt nicht und dass die Türkei das russische Flugzeug abgeschossen hat, war die Konsequenz aus den Einsatz Regelungen (Rules of Engagement), die die türkische Luftwaffe nach zahlreichen Zwischenfällen, die zur Eskalation an der Grenze führen konnte, aufgestellt hatte. Dafür, dass Russland die Turkmenen seit dem Abschuss noch intensiver angreife, ist das alles nur eine Ausrede. Russland will ganz Latakia kontrollieren, um das Mittelmeer abzuschirmen und als einziger Akteur zu kontrollieren.

Die Turkmenen-Berge in Latakia sind türkisches Gebiet. Dort verteidigen turkmenische Jugendliche ihre Heimat. In diesem Gebiet gibt es zu hundert Prozent keinen „Islamischen Staat“. Der operiert vor allem in Ost-Syrien. Latakia liegt am Mittelmeer.

Russische Medien sprechen zudem von „IS-Öl“, das in Konvois durch den Korridor, der sich über die Turkmenenregion erstreckt, über die Grenze geschafft würde. Haben Sie darüber irgendwelche Erkenntnisse?

Nein, diese Aussagen basieren auf einer politisch motivierten Medienkampagne, die dazu dient, die Türkei in der westlichen Gemeinschaft für ihren Syrien-Kurs zu kritisieren. Dabei soll der eigene Kurs gegen einen vermeintlichen Terrorunterstützer auf Kosten der türkischen Regierung legitimiert werden.

Anders als suggeriert, kooperiert die syrische Regierung mit dem IS und der PYD (syrischer PKK-Ableger). Damaskus kauft regelmäßig Erdöl von der Terrormiliz.

In den letzten Wochen keimte mehrfach Hoffnung dahingehend auf, dass die Gespräche über eine mögliche Lösung für Syrien, die in Wien stattfinden, perspektivisch einen Durchbruch bringen könnten. Was sind Ihre diesbezüglichen Erwartungen?

Natürlich sind diplomatische Gespräche wichtig, aber was an diesem Punkt unabdingbar ist, ist, dass die Rechte des syrischen Volkes, die der Ermordeten, die der Vertriebenen verteidigt werden müssen. Die Weltöffentlichkeit muss endlich ihr Augenmerk auf das Leid des einfachen Volkes werfen. Alles andere blockiert einen Friedensprozess nur.

Glauben Sie, dass die Unterstützung vonseiten der Türkei, die privat und staatlich Hilfslieferungen organisiert, ausreichen wird, so dass die Turkmenen den anhaltenden russischen und Regierungsoffensiven auch in Zukunft widerstehen können? Bislang scheint es so, dass die Turkmenen den strategisch wichtigen Berg Kizildağ in Bayir Bucak verloren haben, sich aber in Burdsch al-Kassab halten können. Erkennt Ankara die Bedeutung von Bayir Bucak für das Überleben der Rebellen in Idlib und Aleppo an und glauben sie, dass Bayir Bucak auch in den kommenden Monaten des Jahres 2016 effektiv Widerstand leisten kann?

Die türkische Regierung zählt zu den größten Unterstützern der syrischen Bevölkerung. Besonders bei der humanitären Hilfe hat kein Land, keine Organisation oder keine Einrichtung so viel geleistet wie die Türkei. Zuerst danken wir Gott, dann der Türkei, dass es uns noch gibt.

Aktuell führen die Turkmenen Aleppos einen nicht minder schweren Überlebenskampf rund um die Grenzstadt Azez, wo YPG-Milizen aus dem Westen angreifen, Assad-Truppen aus dem Süden und der IS aus dem Westen. Gibt es immer noch realistische Überlegungen, die rund 400 000 Turkmenen zwischen Azez und Cerablus trotz türkisch-russischer Auseinandersetzungen seit November mittels einer Flugverbotszone zu befreien?

Das Gebiet zwischen Azez und Cerablus als Sicherheitszone einzurichten und zu verteidigen, verlangen wir schon seit der ersten Stunde des Bürgerkrieges. Auch die Türkei wünscht sich die Einführung einer solchen. Entlang dieses Streifens, innerhalb dessen sich rund 150 turkmenische Dörfer befinden, stehen wir immer noch entschlossen hinter dieser Forderung. Wir können nur hoffen, dass die Türkei diese Forderung umsetzt und die lokale Bevölkerung vor dem IS sowie der PYD schützt.

Immer wieder tauchen Berichte auf, wonach sich unzufriedene turkmenische und arabische Stämme aus Tell Abyad gegen die YPG zusammenschließen wollen, nachdem sie aus der Stadt vertrieben wurden, als die YPG die Stadt vom IS 2015 einnehmen konnte. Gibt es bereits konkrete Pläne, wie diese Stämme ihre Heimatstadt wieder einfordern wollen?

Die Handlungen der PYD und ihres militärischen Arms, der YPG, in den Gebieten, die sie erobert haben, verstößt gegen die Menschenrechtskonventionen, dies wurde auch durch Berichte verschiedenster Menschenrechtsorganisationen belegt, darunter Amnesty International, eine unabhängigen UN-Kommission, syrische Menschenrechtsorganisationen und Human Rights Watch. Die in diesen Gebieten lebenden Turkmenen, Araber, Christen und anderen ethnischen Gruppen, sogar die Kurden selbst beschweren sich über ihre Handlungen. Die Menschen, die in diesen Gebieten leben, klagen zu Recht über die vorherrschenden Umstände. Die Welt darf da nicht so einfach wegschauen. Es gibt tatsächlich zahlreiche Bewegungen aus der Region, die sich aus Unmut über die PYD zusammenschließen.

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